Unmut im Kohlerevier: Neukieritzsch hält Signal für falsch

Den Auftakt für den Kohleausstiegs-Strukturwandel im Landkreis Leipzig haben sich Kommunalpolitiker in Neukieritzsch einschließlich des Bürgermeisters Thomas Hellriegel (CDU) anders vorgestellt. Ein Turboprojekt für neue Arbeitsplätze in einer Region, die mit Braunkohleförderung und Energiegewinnung kaum etwas zu tun hat, hält man in der Bergbaugemeinde für das falsche Signal. Hintergrund der Kritik: Die Gemeinde Thallwitz im Norden des Landkreises will den Stall eines Rittergutes in Röcknitz sanieren lassen und dort unter anderem zukunftsfähige Kreativ-Arbeitsplätze ansiedeln. Der Landkreis hat das Vorhaben als eines von zwei sogenannten Turboprojekten für eine vorgezogene Förderung aus dem 40-Milliarden-Euro-Topf des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen angemeldet. Abgeordneter: Politik muss sensibler sein: „Das ist das falsche Signal“, ist Werner Winkler aus dem Neukieritzscher Gemeinderat überzeugt. Natürlich müsse die gesamte mitteldeutsche Region betrachtet werden, meint er. Aber wenn man mit Pilotprojekten in die Strukturwandel-Förderung einsteigt, dann sollte das dort geschehen, wo Kohleabbau und Landschaftszerstörung beheimatet waren und wo Arbeitsplätze betroffen sein werden. „Hier bei uns haben die Menschen Sorgen, wie es weitergeht, da sollte die Politik sensibler sein“, rät der Abgeordnete der Freien Wählervereinigung Neukieritzsch/Sport. Und er weiß, dass der Neukieritzscher Bürgermeister das genauso sieht. Denn der hat seinen Unmut gleich nach der LVZ-Veröffentlichung aus Thallwitz mit den Gemeinderatsabgeordneten geteilt. Neukieritzsch zwischen Tagebau und Kraftwerk: Hellriegel bestätigt auf Nachfrage, dass er sich über den Vorgang ärgert. In der Region des Turboprojektes werde kein einziger Kumpel wegen des Kohleausstiegs seinen Arbeitsplatz verlieren, vermutet er. In Neukieritzsch schon. Das sieht auch Maik Simon, Sprecher des Bergbauunternehmens Mibrag so. Das Unternehmen wolle sich zwar offiziell nicht zu kommunalen Projekte und Förderungen äußern, dennoch glaubt Simon: „Ein Tagebau-Baggerfahrer und dessen Familie werden nichts davon haben, wenn in Röcknitz ein Pferdestall saniert wird.“ Neukieritzsch grenz mit einigen seiner Ortsteile direkt an den aktiven Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain der Mibrag. Außerdem steht im Ortsteil Lippendorf das 20 Jahre alte 1800-Megawatt-Braunkohlekraftwerk des Lausitzer Unternehmens Leag. Kunze: Kohlereviere dürfen nicht hinten runterfallen: Auf der anderen Seite grenzt die Stadt Groitzsch an den Tagebau. Auch die und deren Einwohner werden unmittelbar mit den Folgen des Kohleausstiegs zu tun haben. Bürgermeister Maik Kunze (CDU) bemüht sich dennoch um Gelassenheit, auch wenn er das Turboprojekt am Rande der Hohburger Berge selbst auch nicht für eine glückliche Wahl hält und er die Reaktion seines Neukieritzscher Kollegen verstehen kann. „Der Fehler“, sagt der Groitzscher Bürgermeister, „liegt nicht in Thallwitz, sondern dort, wo die Förderregeln gemacht werden.“ Für ihn sei es kein Problem, wenn Fördermittel auch in die Fläche des Landkreises gehen. „Aber es müssen nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen werden, und die eigentlichen Kohlereviere dürfen nicht hinten runterfallen.“ Das Problem sei auch, dass es oft Jahre dauere, überhaupt ein förderfähiges Projekt zu entwickeln. Landratsamt: Andere Projekte noch nicht reif für Förderung: Das Landratsamt weist auf Anfrage darauf hin, dass laut Gesetz jede Kommune im Landkreis und auch die Stadt Leipzig Geld aus dem Strukturwandel-Topf bekommen können. Das Projekt in Thallwitz und ein weiteres in Markkleeberg (Jugendherberge am See) seien laut Aktenlage am weitesten entwickelt gewesen und deshalb kurzfristig im ersten Schritt angemeldet worden. Bei drei weiteren in „Revierorten“ müsste die Förderfähigkeit noch hergestellt werden. „Jede Kommune“, sagt Ladratsamts-Sprecherin Brigitte Laux, „kennt das Gesetz und die Förderrichtlinie, sodass jederzeit Projekte beantragt werden können.“ Thomas Hellriegel fällt auf Anhieb ein Projekt ein, dass für ihn eher als Zeichen für den Aufbruch aus der Braunkohlezeit geeignet gewesen wäre. Bei Lippendorf gebe es noch Kohlebunker und andere Anlagen auf dem Gelände des alten Kraftwerkes. Diese abzureißen und die Flächen für neue Investitionen zu erschließen, wäre für ihn ein besseres Pilotprojekt gewesen. Von André Neumann