Aktion "Kulturgesichter": Nordsachsens Kulturszene zeigt im Corona-Lockdown Gesicht

Mit ernster Mine blicken die Teilnehmer der Kampagne „Kulturgesichter“ in die Kamera von Fotografin Christina Gaudlitz. Denn vor wenigen Tagen haben die Mitarbeiter der Kulturbastion Torgau nicht nur Musiker zusammengerufen, sondern auch Tänzer, Tontechniker, Bühnenbauer, Ticketverkäufer, Veranstalter, Lichtinstallateure und viele andere mehr – und das aus ganz Nordsachsen. In der ersten Runde kamen so knapp 50 Personen zusammen. „Mein Herz hängt an der Branche. Und natürlich bin ich bei der Aktion dabei. Es ist cool zu sehen, welche Gesichter es alles in Nordsachsens Kulturbranche gibt“, sagt die Fotografin und weiß, wie sie die Teilnehmer für die Fotos ins richtige Licht rückt. Viele Einschränkungen in der Kulturbranche: „Die Kampagne läuft bereits in vielen größeren Städten. Wir sind nur ein kleiner Ableger davon. Die Initiatoren aus Dresden haben sich bei uns gemeldet und gefragt, ob wir so etwas auch auf die Beine stellen könnten. Und ja, das haben wir. Es geht darum, die Akteure sichtbar zu machen. Dadurch entstehen Vernetzungen. Man sieht, wer eigentlich alles betroffen ist. Wir wollen damit eine große Bandbreite machen“, sagt Mandy Jäckel von der Kulturbastion Torgau. Besonders die Kulturbranche musste seit Beginn der Pandemie viele Einschränkungen erleben. Schienen die meisten der Betroffenen am Anfang noch optimistisch, bald wieder loslegen zu können, schwand diese Hoffnung jedoch mit jeder verschobenen oder abgesagten Veranstaltung. Existenzbedrohliche Situation: Und um eben auf genau diese existenzbedrohende Situation aufmerksam zu machen, wurde die deutschlandweite Initiative der Veranstaltungsbranche „Kulturgesichter – Ohne uns ist’s still“ Anfang Juni von dem Veranstalterverband in München ins Leben gerufen. Es wurde überlegt, wie die damals erlassenen Auflagen für Veranstaltungen umgesetzt werden können. So entstand schließlich die Fotoaktion, um gemeinsam Gesicht zu zeigen, um zu zeigen, dass Konzerte und andere Veranstaltungen unter Einhaltung aller Auflagen wirtschaftlich nicht tragbar sind. Beim Shooting mit so vielen Leuten war es wichtig, auf die Hygienemaßnahmen zu achten. Alle zehn Minuten wurde jeweils ein Teilnehmer hereingelassen und abgelichtet. Der erste, der sich in der Kulturbastion vor die Kamera stellte, war Thomas Richter. Der 45-jährige Veranstalter aus Torgau ist besonders für das Open-Air-Musikfestival „In Flammen“ bekannt. Und das nicht nur deutschlandweit. „Jedes Gesicht zählt. Es geht nicht um die einzelne Person, sondern um die Vielzahl der Betroffenen“, betont er. „Bei einer Veranstaltung geht es nicht alleine, man braucht viele Leute. Vom Verkäufer an der T-Shirt-Bude bis zum Techniker und Musiker. Ich weiß nicht, ob es die Herrschaften oben interessiert. Doch wir wollen ein Zeichen setzen. Irgendwas muss man ja mal machen. Man lebt mit der Sache, hofft aber trotzdem, dass es irgendwann weitergeht. Die Unsicherheit, die man hat, ist manchmal schwer auszuhalten. Man plant und weiß nicht wofür und ob es überhaupt Sinn hat. Aber ich bin ein Optimist.“ „Das Schlimmste ist, den Kopf in den Sand zu stecken“: Auch Stefan Bräuer aus Oschatz war zum Fototermin nach Torgau gefahren. Der Eventmoderator betont, wie wichtig es ist, Gesicht zu zeigen. „In der Zeit, in der nichts läuft, ist es wichtig, auf eben das aufmerksam zu machen. Ich selbst bin zum Glück breit aufgestellt und habe es nicht ganz so schwer wie andere. Ich hoffe, dass die Aktion etwas bewirkt. Das Schlimmste ist, den Kopf in den Sand zu stecken. Den Schlafmodus hatten wir lange genug. Ich appelliere an die Politiker. Hier muss etwas passieren. Kunst ist gerade jetzt ganz, ganz wichtig“, so der 53-Jährige. „Diese Aktion ist mir einfach zu wichtig. Dafür komme ich gerne nach Torgau“, sagt er beim Verabschieden. Aus Eilenburg, Oschatz, Wurzen und Bergwitz haben die fünf Musiker der Band „Voice of Thistle“ zur Kulturbastion gefunden. „Wir durften seit einem Jahr nicht mehr wirklich auftreten. Wir wollen uns den Leuten wieder ins Gedächtnis rufen“, sagt Bandmitglied Kristin Bittig aus Oschatz. „Im Oktober, bevor wieder alles geschlossen wurde, hatten wir einen einzigen Auftritt in Leipzig. So standen wir 2020 insgesamt zweimal auf der Bühne. Sonst sind es um die 20 Konzerte“, ergänzt Jens Herrling aus Eilenburg. Neue CD aufgenommen: Die Zeit, in der die Bandmitglieder nicht auf der Bühne stehen können, nutzen sie nun, um ihre neue CD und Videos aufzunehmen. „Wir haben die Aktion bereits in anderen Städten wahrgenommen und finden es toll, dass es nun auch in Nordsachsen umgesetzt wird. Damit können wir ein Zeichen setzen und andere wachrütteln. Wir sind zwar selber keine Berufsmusiker, kennen jedoch viele von ihnen persönlich. Sehr gute Leute, denen es richtig schlecht geht.“ Seit Oktober haben sich die Bandmitglieder nicht mehr alle zusammen gesehen. Mit ihnen zusammen reiste Julia Krenzke aus Eilenburg an. Sie ist Tänzerin der Irish Dancer Company in Dresden und vertritt somit ihre Tanzgruppe. „Es ist sehr schade, dass die Auftritte in Dresden und Umgebung ausgefallen sind. Besonders jetzt beim St. Patricks Day. Es ist nicht nur das Training, das fehlt, sondern die Menschlichkeit. Wir versuchen online zu trainieren. Unsere Trainerin geht so mit uns unsere Choreographie durch“, sagt die 29-Jährige, die sich endlich wieder Auftritte erhofft. Um das zu erreichen, zeigt auch sie Gesicht bei der Kampagne „Kulturgesichter“. Am Ende ein Strahlen: Mit einer traurigen Miene blickt sie in die Kamera. Dann kommt ein Strahlen auf ihr Gesicht und sie klatscht tänzerisch in die Hände. Die Fotografin hatte noch eine andere Idee: „Und nun zum Schluss noch einmal richtig freuen. Denn irgendwann muss das Ganze ja mal vorbei sein und wir können wieder loslegen. Genau diese Freude wollen wir auf dem Foto festhalten. Damit es nicht still ohne uns bleibt, sondern wir alle bald wieder loslegen können.“ Von Kristin Engel