Pfarrer aus Nordsachsen arbeitet als Seelsorger für Soldaten in Afghanistan

Ein Wochenende im Feldlager Marmal in Nordafghanistan. Die Hügelkette mit dem gleichen Namen, die in der Ferne zu sehen ist, wird vom Dunst verschluckt. Die rund 1000 Angehörigen der Bundeswehr sind im Rahmen der Nato-Mission Resolute Support (RS) im Auslandseinsatz. Fern von daheim. Auch Samstag und Sonntag gilt für die Soldatinnen und Soldaten, die hier stationiert sind, 24/7. Das heißt: Die ständige Einsatzbereitschaft. Zwischen acht Wochen und sechs Monaten, je nach Aufgabe oder Gefährdungsgrad, dauert ein Aufenthalt im größten Feldlager der Bundeswehr. Freie Tage oder Urlaub gibt es nicht. Der dritte Einsatz in Afghanistan: Pfarrer Martin Hüfken wartet im Soldaten-Treffpunkt „Oase“ im Zentrum des deutschen Feldlagers auf das Gespräch. Die Räume der Militärseelsorge ein paar Schritte entfernt bezeichnet er als geschützten Bereich, wo ein Austausch mit Betroffenen nur unter vier Augen stattfindet. Es ist Hüfkens dritter Auslandseinsatz in Afghanistan. Seit 34 Jahren ist er verheiratet. Die Familie, zu der sechs Kinder gehören, akzeptiert den Einsatz des Mannes und Vaters in Krisengebieten. „Es gehört zu deinem Beruf dazu, dann machst du es“, wiederholt er die Zustimmung seiner Frau. Geboren in der Altmark kam er zum Studium der Theologie 1978 ins geteilte Berlin. „Ich hatte mich schon lange vorher mit dem Sinn des Lebens beschäftigt und einen Prozess in mir angestoßen“, sagt er heute. „Anlass für das Studium war mein Weltbild, das ich immer rational erklären konnte. Doch plötzlich begann es zu wanken.“ Später machte er noch Zusatzausbildungen zum Familientherapeuten und Suchtberater. „Für meine jetzige Tätigkeit kann ich diese gut gebrauchen“, sagt der begeisterte Gitarrenspieler. Nach dem Studium machte er das Vikariat in Wittenberg. Gesprächsbedarf bei den Soldaten: Er denkt an seinen ersten Gottesdienst im Camp Marmal kurz nach der Ankunft im vergangenen November zurück: „Ich war ganz schön aufgeregt!“ Denn mit den wöchentlichen Andachten kommen auch die Aufgaben als Seelsorger auf ihn zu. „Da geht es um Gesprächsbedarf in ganz unterschiedlichen Angelegenheiten. Das können schwierige persönliche Situationen sein, zum Beispiel die Trennung von der Familie, Beziehungsfragen, aber auch Konflikte mit Vorgesetzten oder die Tatsache, im Dienst eine Waffe tragen zu müssen. Immer wieder sind es prägende Erlebnisse, die im Umgang mit seinen Schützlingen entstehen. „Manche Ereignisse im Einsatz, die vorgefallen sind, vergesse ich nie.“ Mehr dazu kann und will der Pfarrer nicht sagen. Zu Hause ist Hüfken in Elbingerode im Harz und stationiert ist er an der Feldwebel-Boldt-Kaserne in Delitzsch, wo er als Dozent für Ethik und Lebenskunde Soldatinnen und Soldaten auf Herausforderungen im späteren Einsatz vorbereitet. Auch Andachten gibt er regelmäßig in Delitzsch, Leipzig und Weißenfels. Bis 2009 war er als evangelischer Pfarrer zivil tätig. Zur Militärseelsorge kam er durch eine Ausschreibung der Bundeswehr: In Delitzsch wurde ein Militärpfarrer gesucht. Das war es – Hüfkens Aufmerksamkeit war geweckt. Heute bezeichnet er die Zeit als Suche nach einer neuen Aufgabe: „Dieses Thema interessierte mich. Seit über zehn Jahren ist er nun schon dabei, will aber später in einen zivilen Beruf zurück. „Als Militärpfarrer gibt es höchstens zwei Verträge auf jeweils sechs Jahre“, erklärt er. Bis seine Dienstzeit von zwölf Jahren erreicht sei, werde er weiterhin als Lehrbeauftragter in Delitzsch arbeiten. „Vielleicht klappt noch ein weiterer Auslandseinsatz“, fügt er hinzu. „Doch jeder Posten, der im Ausland besetzt wird, fehlt in Deutschland“, fasst er zusammen. Wo die Geschosse der Taliban nicht hinreichen: Solange er im Feldlager Marmal ist will er Gottes Wort verkünden, und als Seelsorger den Soldatinnen und Soldaten praktisch beistehen. „Als Pfarrer stehe ich außerhalb der militärischen Strukturen.“ Im Unterschied zum Truppenpsychologen, der einer Meldepflicht unterliegt, garantiert der Einsatz von Hüfken absolute Verschwiegenheit. So kann er dem einzelnen Menschen nahe sein und für ihn genügend Zeit aufbringen. „Ich begleite Entscheidungen und reflektiere sie im gemeinsamen Gespräch.“ Für ihn stecke hinter jeder Person mehr als das, was sie ausmache und was er sehe. Deshalb sei das Befassen mit ihr umso wichtiger. „Den Job als Militärpfarrer kann man nur machen, wenn man für die Menschen ein Herz hat und es öffnet.“ Und ein Herz hat Pfarrer Martin Hüfken. Draußen auf dem Rollfeld dröhnen die Rotoren. Startbereit ist der MI-17. Rund zehn Soldaten boarden den Helikopter in wenigen Minuten. Trotz ihrer schweren kugelsicheren Westen, den Waffen und Helmen auf den Köpfen wirken sie fast schwerelos. Das Tempo ist vorgegeben, schnell muss es gehen. Kaum ist die Tür geschlossen, beginnt auch schon der Aufstieg. Bis der Hubschrauber in den Wolken verschwindet, müssen die Gefechtshelme sitzen bleiben. Das Gleiche gilt für den Rückflug. Denn die Geschosse der Taliban können nur eine bestimmte Höhe erreichen. Unterhalb der Wolkendecke. Die Schutzwesten werden den ganzen Flug über getragen. Genau wie die Ohrenstöpsel, denn im Heli ist es sonst unerträglich laut. 90 Minuten dauert der Flug über die dichte Wolkendecke bis Kundus. Jeder Einzelne im Bauch des Fliegers bleibt für sich. Einige schlafen, die Wange auf die Gewehrkolben gestützt. Ein anderer schaut auf das Display seines Handys: Ein kleines lachendes Mädchen. Die Heimat lässt grüßen! Der Ansatz eines Lächelns zuckt über die angespannte Miene des Uniformierten und vielleicht auch Familienvaters. Sonnenbrillen werden getragen, zum Schutz vor der Sonne oder möglichen Splitterteilen. Durch das Bullauge erkennt man die weißen Gipfel des Hindukusch, die die Wolkendecke durchbrechen. Die Welt hier oben ist eine andere – blau und sonnig. Irgendwie friedlich. Das täuscht, erkennbar am nahen Begleithelikopter. Auch ein MI-17. Ohne Ladung, leer. Für den Fall einer Notlandung im Nirgendwo. Um Crew und Passagiere aufzunehmen, sie einzusammeln, sie zu retten. Lieber den Flieger zurücklassen als Menschenleben zu riskieren, lautet die Devise. Verwundete nach schweren Gefechten: „Camp Pamir“ oder „Safe Haven“ heißt der Außenposten der Deutschen in Kundus, innerhalb dessen Mauern gelandet wird und der sich in der Gemarkung der afghanischen Armee befindet. In den vergangenen Monaten hat das einheimische Korps mehrere hundert Soldaten verloren, bei Angriffen. Die deutschen Soldaten unterstützen die Planung von Operationen oder beraten, wie die Truppe den Winter am besten übersteht: Mit entsprechender Kleidung, Schuhen und genügend Vorräten. „Aufbauarbeit“ heißt auch hier das Zauberwort. In der Nacht hat es einen Zwischenfall gegeben. Schwere Gefechte. In der notfallchirurgischen Einrichtung der Deutschen wird seitdem gearbeitet. Mehr erfährt man nicht. In der Regel werden Schwerverletzte ins Feldkrankenhaus nach Marmal transportiert. Die Standards dort sind mit einem deutschen Regionalkrankenhaus vergleichbar. Auch afghanische Soldaten werden behandelt. Im Notfall. Kundus ist wahrlich kein sicheres Pflaster. Wer reden möchte, kann reden. Die Tür von Pfarrer Hüfken steht offen. Auch oder gerade nach solchen Ereignissen, die lebensgefährlich sind und aufgearbeitet werden wollen. Von Sabine Ludwig

Einsatz im Krisengebiet - Pfarrer aus Nordsachsen arbeitet als Seelsorger für Soldaten in Afghanistan