Vor zehn Jahren rutschte Eilenburgs Berg ab

Es ist der 10. Januar 2011. Der neue Tag ist zwei Stunden alt, als der damalige Oberbürgermeister von Eilenburg, Hubertus Wacker, im heimischen Kospa aus dem Schlaf geklingelt wird. Was er zu hören bekommt, ist ungewöhnlich wie alarmierend zugleich: Ein Teil des Burgberg-Hanges auf der Ostseite ist abgerutscht. 600 Kubikmeter Erdmasse und Gestrüpp sind auf die Mühlstraße gestürzt und haben sich zwei Meter hoch aufgetürmt. Feuerwehr und Polizei sperren weiträumig ab. Hinweise auf verschüttete Menschen oder Autos gibt es zunächst nicht. Am Morgen danach werden Spürhunde zur Suche eingesetzt – zum Glück bleibt es dabei, Menschen sind nicht betroffen. Berg wurde seit Jahren überwacht: Doch was ist passiert? Erklären lässt sich zunächst nicht, warum sich das rund 300 Quadratmeter große Teilstück gelöst hat. Der Burgberg, so Wacker damals, stehe seit Jahren unter geologischer Beobachtung und werde mit Inklinometern überwacht. In den Jahren zuvor sind Teile mit mehreren Millionen Euro Aufwand stabilisiert worden. Das abgestürzte Teilstück gehört nicht dazu, grenzt jedoch an einen sanierten Bereich. Bereits bereits vier Hangrutsche in 200 Jahren: Bekannt ist aber auch: Es ist nicht der erste Bergrutsch. Innerhalb der letzten 200 Jahre gab es allein vier, weiß Wolfgang Beuche. 1906 war gar ein Toter zu beklagen. Der 84-jährige Eilenburger kennt den Berg, führt jedes Jahr bei Sonntags-Touren Hunderte Besucher über das Gelände. In Sachbüchern hat er seine historischen Erkenntnisse niedergeschrieben, zuletzt im 2020 erschienenen Werk „Der Eilenburger Schlossberg – Die Geburtsstätte Sachsens.“ Die Erde, so Beuche, habe sich immer etwa in dem auch 2011 betroffenen Bereich in Bewegung gesetzt. „Alle Bergrutsche passierten nach langen Regenperioden“, so der Hobby-Historiker. „Aufgeschüttete nichtbindige Erdmassen rutschten über bindige, gewachsene.“ Das Wetter wird auch diesmal als ein Faktor benannt. Um den Jahreswechsel 2010/11 hat es heftig geschneit, bis kräftiger Regen, zweistellige Plusgrade und milder Südwestwind den Schnee binnen weniger Tage schmelzen lassen. Mühlstraße fast zwei Jahre gesperrt: Mit den Folgen muss Eilenburg fast zwei Jahre leben. Vor allem die gesperrte Mühlstraße, die Anwohner und Gewerbetreibende zu Umleitungen zwingt, zerrt an den Nerven. Unmittelbar nach dem Abrutsch beginnt die Hangsicherung, zunächst mit einer Notsicherung mittels Plane. Parallel läuft die Suche nach einer technischen Lösung. Gremien wie Denkmalschutz, Kampfmittelbeseitigungsdienst, Naturschutz müssen beteiligt, Beschlüsse gefasst werden. Der wohl wichtigste fällt Anfang Oktober 2011 – der Baubeschluss. Am 16. Februar 2012 liegt der Fördermittel-Bescheid vor – der Freistaat Sachsen zahlt 75 Prozent. Am 8. Mai ist Baubeginn. Bis Dezember werden rund 1,15 Millionen Euro verbaut. Mit 161 Verpresspfählen, die insgesamt 1,93 Kilometer lang sind, und 205 Bodennägeln mit einer Gesamtlänge von 930 Metern ist der abgerutschte Teil des Osthanges haltbar gemacht worden. 1996: Erste Hangsicherungsarbeiten in der Mühlstraße für 320 000 Mark 2000/2001: Sanierung eines einsturzgefährdeten Bergkellereingangs in der Mühlstraße (30.000 Mark) Dezember 2000 bis Februar 2001: Notsicherung der oberen Stützmauer (400.000 Mark) August 2001 bis März 2002: Fortsetzung der Arbeiten an der oberen Stützmauer (insgesamt weitere 1,6 Millionen Mark) bis März 2002, die damit statisch gesichert ist 2006: Stabilisierung der Burgberges u.a. mit 27 Bohrpfählen in der Nähe des einstigen Gefängnisses, Bodennägel werden im Bereich Mühlstraße und Bergstraße in den Berg getrieben, die Mauern im Bereich der Bergstraße werden stabilisiert und das Klinkermauerwerk erneuert. 8. Juni 2007. Eilenburg feiert den Abschluss der ersten Hangsicherungsarbeiten. Knapp sechs Millionen Euro flossen in die Sicherung des Burgberges, aber auch in Rundweg und in die sechs Jahre lang gesperrten Hundertstüfchen. 2530 Meter Pfähle, 4400 Meter Bodennägel und 1680 Meter Spannanker sorgen jetzt dafür, dass der von den Vorfahren aufgeschüttete Berg nicht mehr rutscht. Es zeichnet sich aber schon damals ab, dass weitere Arbeiten im Bereich der Marienkirche erfolgen müssen. April 2009: Die Bergstraße wird für mehrere Monate halbseitig gesperrt. Nun droht der Hang oberhalb des Marien-Friedhofes abzurutschen. Im Oktober wird die eine Million Euro teure Sanierung der Stützmauern durch den Stadtrat beschlossen. Dafür stehen Mittel aus dem Fonds für Städtebauliche Erneuerung zur Verfügung. 2010: Mit dem bereits 2009 abgerissenen Wohnhaus an der Ecke Bergstraße/Marienstraße wird Baufreiheit für die Hangsicherung unterhalb der Marienkirche geschaffen. Diese selbst erfolgt 2010 und 2011 (Kosten: rund eine Million Euro). 10. 1. 2011: Um 2 Uhr kommt der Eilenburger Burgberg ins Rutschen. An einer bisher nicht gesicherten östlichen Stelle lösen sich rund 600 Kubikmeter Erde. Sie begraben die Mühlstraße unter sich. Am 19. Januar beginnt die Notsicherung, für die ein Spezialkran erforderlich ist. Von dessen Auslegerkorb können sich die Bauleute auch abseilen, um eine Plane über die Abbruchstelle zu spannen. Diese soll weitere Abbrüche verhindern. Knapp zwei Jahre dauert es, bis die Mühlstraße wieder frei gegeben werden kann und auch der Osthang für knapp zwei Millionen Euro gesichert ist. 2012: Ein Jahr nach dem Bergrutsch ist die Mühlstraße noch immer gesperrt. Der Zeitplan für die Hangsicherung steht mit der Auftragsvergabe am 2. April im Stadtrat, Bau von April bis November. Der Bau wird um die zwei Millionen Euro kosten. Bis zum Jahresende sorgen hier unter anderem 161 Verpresspfähle und 205 Bodennägel für Halt. Am 11. Dezember 2012 wird die Mühlstraße dann tatsächlich nach fast zwei Jahren wieder freigegeben. Ein Teilbereich ist noch ungesichert: Und heute? Kurz vor dem zehnten Jahrestag hat es wieder geschneit. Die weiße Pracht bleibt diesmal nicht lange liegen. Der Berg, so lautet die Einschätzung aus dem Rathaus, ist „sehr sicher im Bereich der erfolgten Hangsicherung.“ Weitere Ereignisse dieser Art habe es nicht gegeben. Dass es wieder Rutsch-Prozesse geben könne, sei aber nicht völlig auszuschließen: „Allerdings nicht im Bereich der erfolgten neuen Sicherung“, so Stadtsprecherin Katharina Eidner. Der weniger steile Teilbereich an der Mühlstraße zwischen Hundertstüfchen und neuer Hangsicherung sei noch ungesichert. „Wenn der Boden zum Beispiel durch tagelangen Dauerregen aufweicht, nimmt die Stabilität ab und Rutschungen werden wahrscheinlicher.“ Regelmäßige Messungen erfolgen: Die Stadt habe den Berg immer im Blick. Der Hang werde in regelmäßigen Intervallen mit einer Inklinometermessung und anschließender ingenieurtechnischer Auswertung überwacht. Um die Messungen weiterhin durchführen zu können, werden in diesem Bereich in Kürze Grünpflegemaßnahmen durchgeführt. Zuletzt wurde zudem die Stützwand an der Mühlstraße in Teilbereichen neu verfugt. Handlungsbedarf zwischen Berg-Schule und Röhrenweg: Handlungsbedarf zeichne sich derzeit im Bereich des Schutzwaldes zwischen Berg-Schule und Röhrenweg ab. „Dort müssen größere Bäume entnommen werden. Ziel ist es hier, den Wald in Richtung Niederwald zu entwickeln, da durch umstürzende Großbäume die Hangstabilität in Mitleidenschaft gezogen werden kann“, so Katharina Eidner. Grundsätzlich würden alle Hangbereiche im städtischen Besitz überwacht und beobachtet. Für diverse private Bereiche, insbesondere am Sorbenweg, ist dies nicht der Fall. Hier sind die Eigentümer in der Pflicht. Von Kathrin Kabelitz