Sachsens Autoindustrie im Umbruch: Vier Zulieferer sind bereits pleite

Corona hat auch in Sachsens Autoindustrie Spuren hinterlassen. Obendrein ist die Branche im Umbruch. Die E-Mobilität bringt nicht nur neue Chancen, sondern birgt auch Risiken, wie Dirk Vogel, Manager beim Netzwerk der Automobilzulieferer (AMZ) Sachsen, im LVZ-Interview sagt. Herr Vogel, die Corona-Krise hat den Absatz in der Autoindustrie einbrechen lassen. Wie sieht es in Sachsen aus? Weil Autohäuser geschlossen und die Lieferketten unterbrochen waren, ist die Pkw-Produktion in Europa im ersten Halbjahr um 2,4 Millionen Fahrzeuge, also um 20 Prozent, auf ein historisches Tief eingebrochen. Gegenüber der Finanzkrise 2007 fiel der Rückgang dreimal stärker aus. Die Produktion in den sächsischen Werken und bundesweit läuft inzwischen wieder stabil. Sachsen profitiert von der gestiegenen Nachfrage nach E-Mobilen. Sowohl bei Volkswagen in Zwickau als auch bei BMW und Porsche in Leipzig rollen die Autos mit reinem Elektroantrieb beziehungsweise Hybridfahrzeuge von den Bändern. Die Neuzulassungen von E-Fahrzeugen haben im ersten Halbjahr um 42 Prozent zum Vorjahr zugelegt. Zwickau hat sogar komplett auf Elektroantrieb umgestellt. Wie schätzen Sie das ein? Die Nachfrage nach E-Mobilen ist wie gesagt sprunghaft angestiegen. Wurden 2019 in Europa 276 500 Fahrzeuge verkauft, werden es in diesem Jahr schon 474 600 Fahrzeuge sein. Zwickau ist das erste Werk von VW mit ausschließlicher E-Auto-Produktion. Ein Wagnis, sicher. Zugleich zeigt die weiter steigende Nachfrage genau in diese Richtung. Im Augenblick können die Fahrzeughersteller die Kapazität nicht genug ausbauen. Auch Porsche in Leipzig beginnt früher mit der Montage des elektrischen Macan. Wie alles hat aber auch das zwei Seiten. Die Transformation kennt nicht nur Sieger. Sie sprechen die Zulieferindustrie an. Wie viele Firmen sind vom Strukturwandel in der Autoindustrie in Sachsen bereits betroffen? Vier Zulieferer mussten in diesem Jahr bereits Insolvenz anmelden. Fünf Standorte wurden geschlossen. Davon betroffen sind 1949 Mitarbeiter. Aber auch vier Dienstleisterund ein Ausrüster mit zusammen 32 Beschäftigten. Da viele Hersteller ihr Modellprogramm anpassen, sprich weniger Modelle mit Verbrenner-Aggregaten anbieten, rechne ich auch in Sachsen mit weiteren Betriebsschließungen. Bekanntlich kommen in Elektroautos weniger Teile zum Einsatz. Und die Produktion von Verbrennern wird bis 2022 nicht das Niveau vor Corona erreichen. Welche Chancen sehen Sie in der Umstellung auf Elektroautos? Allein die Transformation zur E-Mobilität wird in Sachsen bis zu 5000 Arbeitsplätze kosten, zugleich können aber auch über 4000 neue entstehen. Chancen sehe ich für das Land viele, weil sich zum Beispiel Batteriehersteller wie Dräxlmaier in Leipzig ansiedeln. Infineon und Bosch bauen in Dresden ihr Personal aus. Selbst VW in Zwickau stellt wieder ein. Im Zuge des Umbaus bei VW haben sich weitere Lieferanten in Meerane angesiedelt. Zulieferer für den Elektro-VW ID.3 aus Zwickau, berichten von steigenden Aufträgen, andere versuchen ihre Produktion umzustellen beziehungsweise zu erweitern. Das fällt nicht allen leicht, auch weil sich ständig die Rahmenbedingungen ändern. Sie meinen die steigenden Energiekosten? Die Regierung hat zwar eine Deckelung der EEG-Umlage beschlossen, notwendig ist aber, dass die Energiekosten sinken. Mit dem Ausstieg aus Kohle und Kernenergie werden wir Strom aus dem Ausland importieren, Kohlestrom aus Polen oder Atomstrom aus Frankreich. Die Energiekosten sind in Deutschland aktuell nahezu doppelt so hoch, wie in Südosteuropa oder auch in Frankreich. Das gerade von der Bundesregierung beschlossene Emission-Handelsgesetz startet 2021 mit 25 Euro pro Tonne CO2-Ausstoß. Man will damit Investitionen in CO2-arme Produktion in Deutschland anzuregen. Die Unternehmen stellt das aber vor große Herausforderungen. Für die Gießerei Lößnitz im Erzgebirge, um ein konkretes Beispiel zu nennen, bringt das kurzfristig Mehrkosten in Höhe 300 000 Euro pro Jahr. Beide Themen zeigen, wie in Deutschland ständig an der Kostenschraube gedreht wird. Dies verschlechtert weiter die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandortes. Und wie reagieren die Unternehmen? Die großen Zulieferer verlagern ihre Standorte nach Südosteuropa und die Fahrzeughersteller kaufen immer mehr außerhalb Deutschlands ein, dort wo Energiekosten günstiger sind und keine CO2-Strafzahlungen drohen. Das Ergebnis ist ein weiter steigender Arbeitsplatz-Abbau in Deutschland – auch in Sachsen. Diese Auswirkungen werden in der aktuellen öffentlichen Diskussion viel zu wenig berücksichtigt. Das trifft auch auf synthetische Kraftstoffe zu, warum ist das so? Der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen in Fahrzeugen ist technisch heute schon ohne Probleme möglich. Die Herstellung aus regenerativen Energien kann heute schon CO2-neutral erfolgen. Und in der Großserie werden die Herstellungskosten nicht mehr wesentlich über heutigem Benzin liegen. In der TU Bergakademie Freiberg gibt es eine Pilotanlage. Der Chemieanlagenbau Chemnitz hat in der Herstellung eine über zehnjährige Erfahrung. Anlagen werden aktuell auch errichtet, aber nur im Ausland. Der Kraftstoff spielt in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle, weil sein Einsatz nicht auf die Einhaltung der CO2-Ziele der Automobilindustrie angerechnet wird. Bei über 1,4 Milliarden Fahrzeugen, die weltweit unterwegs sind, wird man aber am Einsatz synthetischer Kraftstoffe nicht vorbeikommen. Die Mobilitätswende ist Ihrer Meinung nach also im vollen Gange? Das ist sie. Und die heimische Automobilindustrie und ihre Zulieferer können es mit ihrer Innovationskraft schaffen, dass noch in diesem Jahrzehnt E-Antrieb, Wasserstoff und sogenannte e-fuels die Fahrzeuge antreiben. Allerdings muss die Politik damit aufhören, den Produktionsstandort Deutschland ständig weiter zu verteuern – und zwar isoliert in Europa. Dies treibt die Produktion in unsere Nachbarländer. Wir dürfen nicht vergessen, dass Branchen wie die Autoindustrie die Gesellschaft anreiben. Sie erarbeiten die Steuermilliarden für die derzeitigen unterschiedlichen Hilfsprogramme. Von Andreas Dunte