Bad Lausick: Enkel für Erinnerung an Nachkriegs-Bürgermeister Mühlberger

Zwei Stolpersteine sollen Spaziergänger in Bad Lausick demnächst innehalten lassen: Oberschüler wollen sie, wenn es Corona zulässt, am Holocaust-Gedenktag Ende Januar gemeinsam mit Künstler Gunter Demnig in der Fabianstraße verlegen. Sie verweisen auf Dora und Erich Otto Baunack, die als Kommunisten im Dritten Reich Widerstand leisteten und dafür Repressionen erlitten. An Karla, die Tochter des Paares, kann sich Helge Heinig (76) gut erinnern. Sie gingen Anfang der Fünfziger-Jahre gemeinsam zur Schule. Die Stolperstein-Verlegung wirft bei ihm aber auch eine Frage auf: Verdiente nicht Bad Lausicks erster antifaschistischer Bürgermeister nach 1945 eine Anerkennung? Wilhelm Mühlberger war mit Baunack im Konzentrationslager Colditz eingesperrt – und Heinigs Großvater. Mühlberger stand 1923 auf einer Todesliste: „Der hatte ein sehr bewegtes Leben hinter sich“, weiß der Enkel über seinen Großvater, der – Jahrgang 1890 – aus Flößberg stammte und dort in den Jahren der Weimarer Republik einziger Kommunist im Gemeinderat war. „Schon nach dem Märzaufstand 1923 stand er auf einer Todesliste und musste sich eine Zeit lang verstecken.“ Der Maschinenschlosser hielt sich mit Gelegenheits-Jobs über Wasser. Als die Nazis an die Macht gelangten, wurde er ebenso wie Baunack von der SA abgeholt, in der einstigen Tanzgaststätte „Drei Rosen“ misshandelt und auf dem Colditzer Schloss „in Schutzhaft“ genommen, lange bevor dort ein Lager für kriegsgefangene britische Offiziere eingerichtet wurde. Später gewährten Wilhelm Mühlberger und seine Frau Martha Regime-Gegnern Unterschlupf. Als der Krieg zu Ende war, die US-Amerikaner abzogen und die sowjetischen Behörden übernahmen, machten sie Mühlberger zum Bürgermeister. Bürgermeister durfte er nach der Scheidung nicht bleiben: „Baunacks und meine Großeltern waren, ich möchte das so sagen: ehrliche Kommunisten. Die haben viel aushalten müssen“, sagt Helge Heinig, der selbst Zeit seines Lebens parteilos blieb, nach der Wende als Parteiloser für die SPD im Bad Lausicker Stadtrat mitarbeitete. Dass sich die Bad Lausicker Oberschüler seit Jahren schon mit der Geschichte befassen, zum KZ-Außenlager Flößberg forschten, Stolpersteine für die jüdische Familie Hirsch, einen Sozialdemokraten und einen Zeugen Jehovas verlegten, begrüßt er: „Geschichte sollte man nicht vergessen.“ Auch nicht den Einsatz seines Großvaters, der aufgrund seiner Scheidung von Martha nicht mehr lange Bürgermeister bleiben durfte. Von Martha, der Großmutter, die als hoch geehrte Veteranin im Altern von 92 Jahren starb, ist dieses ambivalente Urteil über die DDR überliefert: „Wenn unser Thälmann noch leben würde, der hätte das so nicht gewollt.“ Die Zehntklässler der Oberschule, unterstützt vom Leipziger Verein Erich-Zeigner-Haus, wollten die den Baunacks gewidmeten Steine bereits im November verlegen. Pandemie-bedingt verschoben sie den Termin auf den 27. Januar. Von Ekkehard Schulreich