Hagelkanonen im Obstland – vertreiben sie Regen?

Wenn rund um Dürrweitzschen dunkle Gewitterwolken aufziehen und Hagel verkünden, wird die Obstland AG aktiv. Um ihre wertvolle Ernte zu schützen, schießt sie gewaltige Druckwellen gen Himmel. Sie sollen die Wolken zerstören. Allerdings sind die Hagelschutzkanonen nicht nur unter Fachleuten, sondern auch in der umliegenden Bevölkerung umstritten. Vor allem in Böhlen artikuliert sich der Unmut, in einem offenen Brief wurde die Stadt Grimma jüngst aufgefordert, „gegen die Beeinträchtigungen von Mensch und Umwelt“ vorzugehen. Obstland AG wendet Methode seit zehn Jahren an: Seit zehn Jahren wendet die Obstland Dürrweitzschen AG diese Methode an. Es ist dabei weniger der explosionsartige Lärm, der die Menschen umtreibt. Sie kritisieren vielmehr den angeblich ausbleibenden Regen und die zunehmende Trockenheit in ihrer Region. Die Sorgen gipfelten in einem Brief des Ortschaftsrates Böhlen an Umweltminister Thomas Schmidt (CDU), der im Mai auf Reisen ging und im Juni eine – eher abweisende – Antwort erfuhr. Vor wenigen Tagen setzten sich Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos), Obstland-Vorstand Jan Kalbitz, Böhlens Ortschefin Jana Wnuck und der Böhlener Protest-Initiator Roland Kühnel erneut an einen Tisch, um weitere Schritte zu beraten. Nach Kabinettsbildung soll Umweltminister ins Boot: Dabei einigte man sich laut Berger, zunächst die Landtagswahl und Kabinettsbildung abzuwarten und sich dann an den neuen Umweltminister zu wenden. Ziel sei es, perspektivisch auf Schutznetze oder andere Methoden zu setzen, so Berger. Dafür erwartet man vom Ministerium Unterstützung und Förderung. Obstland-Chef Kalbitz geht jedoch weiter. Er ist der Meinung, dass für den Schutz der Früchte mehr Geld in die Forschung gesteckt werden müsste. Vorerst würden die Kanonen weiter eingesetzt, sagte er der LVZ. Aktuell gebe es keine sinnvolle Alternative. Grimmas Rathauschef nimmt die Sorgen der Leute ernst. Keiner könne aber belegen, ob die Druckwellen etwas bringen und eine extreme Trockenheit die Folge ist, sagt er. Ein fundierter Nachweis über die Niederschlagsmengen rund um Dürrweitzschen fehlt in der Tat. Roland Kühnel verweist aber auf die Vernunft der Bewohner. „Bei jeder Gewitterlage werden die Kanonen eingeschaltet, und eine Viertelstunde später haben sich die Wolken aufgelöst. Das ist für uns Beweis genug“, bekräftigt der 70 Jahre alte frühere Elektrotechniker und Unternehmer. Im Döbelner Raum würden sich die Wolken wieder zusammen ziehen. Im Brief an den Umweltminister heißt es denn auch unmissverständlich: „Niemand hat ein verfassungsgemäß verbrieftes Recht, unser Wetter vereinnahmen zu dürfen.“ Ministerium: Keine wissenschaftlichen Beweise: Um Hagelschäden abzuwenden, empfehlen die Briefautoren zwei Methoden: Hagelschutznetze beziehungsweise sogenannte Hagelflieger oder -raketen. Mit letzteren wird eine Silberjodidlösung in die Wolken geführt, wodurch sich harmlose, mikroskopisch kleine Eispartikel bilden. Die Antwort von Falk Hohmann, Referatsleiter im Umweltministerium, dürfte enttäuscht haben. Eine mögliche Beeinflussung des Wetters durch Hagelkanonen sei wissenschaftlich ebensowenig bewiesen wie die Wirksamkeit von künstlichen Kondensationskeimen, eine Methode, die umstritten und kostenintensiv sei. Hohmann verweist auf die 50-prozentige Förderung von Hagelschutznetzen und bilanziert: „Es ist letztlich eine betriebswirtschaftliche Entscheidung des Unternehmens selbst, in welche Schutzmaßnahmen es investiert.“ Obstland AG möchte erstklassige Ware: „Wir möchten erstklassig vermarkten können, was auf unseren Plantagen wächst“, betont Obstland-Chef Kalbitz, verantwortlich für 380 Mitarbeiter und beste Qualität. Doch mit Netzen sei nur bedingt Hagelschutz möglich. An den Reihen der Apfelbäume arbeitet die Firma mit vertikalen Netzen, die wie Gardinen herunterhängen und keinen 100-prozentigen Schutz bieten. Denn horizontale Netze führten nachweisbar zu geringerer Qualität und Menge, begründet das Kalbitz. Bei allen anderen Kulturen wie Kirsche, Erdbeere und Pflaume funktionieren seinen Worten zufolge Hagelnetze gar nicht. Investitionen in die Forschung sind für Kalbitz deshalb unumgänglich, zumal auch das Thema Kondensationskerne umstritten ist. Dass die insgesamt sieben Kanonen, die sein Unternehmen von Mai bis Oktober im Einsatz hat, zu weniger Niederschlag führen, glaubt Kalbitz nicht. „Unsere Kulturen brauchen ja auch Wasser.“ Kalbitz findet es „spannend und hilfreich“, dass Bürger das Anliegen seines Unternehmens unterstützen. Die Initiatoren wiederum blicken hoffnungsvoll zur Obstland AG. Deren Chef mache einen „konstruktiven Eindruck“, lobt Roland Kühnel, nach dessen Meinung die Firma in der Vergangenheit auf eine Billigvariante gesetzt habe und nun ein Investitionsvakuum entstanden sei. Gemeinsam wolle man Lösungen im Interesse der Umwelt und der Menschen finden – auf sachlicher Ebene und mit aller Konsequenz. Eines bekräftigt Kühnel dabei: „Wir wollen die Kanonen abgeschafft haben.“ Von Frank Prenzel

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