Corona-Virus-Laborchef am Leipziger St. Georg: Immer mehr Tests, aber Reagenzien werden knapp

Die stark gestiegene Anzahl der Coronavirus-Tests setzt auch das Labor im Leipziger Klinikum St. Georg unter Hochdruck. „Vor vier Wochen hatten wir noch 800 bis 1000 Tests pro Woche, im Moment sind wir bei 2000 bis 3000“, erklärt Dr. Stephan Borte (35), Chefarzt der Labormedizin am St. Georg. Das sei mit dem vorhandenen Personal nur schwer zu schaffen. Das Labor lasse daher so viel wie möglich automatisiert bearbeiten. „Wir schaffen es auch nicht mehr in jedem Fall, unseren Vorsatz einzuhalten, das Ergebnis der Proben in sechs Stunden zu liefern. Es werden auch mal 12 Stunden. Da sind wir aber immer noch schneller als viele andere Labore“, erklärt der Experte. Labor erhält immer mehr Anfragen: „Durch die Zunahme der Tests merken wir, dass immer mehr Labore nicht mehr das schaffen, wofür sie eingeplant sind. Uns wird zunehmend mehr zusätzliches Probenmaterial zugewiesen von Gesundheitsämtern und öffentlichen Stellen“, sagt der Fachimmunologe und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin der LVZ. Gerade habe er mit der Branddirektion Leipzig gesprochen. Die Feuerwehrleute führen auch Rettungstransporte durch und müssen regelmäßig getestet werden. Die dafür eigentlich zuständige Landesuntersuchungsanstalt sei damit derzeit offenbar überfordert, konstatiert Borte. Pro Tag bekomme er mehrere Anfragen von kleineren Landratsämtern oder Gesundheitsämtern aus dem Umland, ob er in seinem Labor noch Kapazitäten habe, erzählt er. Für die Hochrisiko-Kontakte der Kategorie 1 habe er in diesen Fällen im begrenzten Rahmen immer noch Kapazitäten. Keine Kapazitäten für Umfeld-Diagnostik: Aber für Umfeld-Diagnostik seien keine Freiräume mehr vorhanden. Als Beispiel nennt er eine Kita-Erzieherin, die sich zu Hause mit Corona angesteckt habe und danach mit 25 Kindern und fünf weiteren Erziehern Kontakt hatte. Dazu kämen dann noch die Eltern der Kinder und die Familien der anderen Betreuerinnen. Diese alle auf Corona zu untersuchen, sei schlicht nicht möglich, seufzt der Mediziner. Er empfiehlt in solchen Fällen, die Antigen-Schnelltests einzusetzen, obwohl da die Qualität, wie er sagt, nicht so gut sei. Man müsse bei diesen Schnelltests im Hinterkopf haben, dass 10 bis 20 Prozent der Corona-Positiven nicht erkannt werden. Für Interessierte empfiehlt er einen Blick auf die Homepage des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ( BfArM). Dort ist eine Liste der Tests zusammengestellt. Wer soll überhaupt alles getestet werden? Und er kommt auf das heikle Thema, wer überhaupt alles einen PCR-Test brauche, den derzeit besten Corona-Nachweis. Da fehle es an Konzepten, kritisiert Borte. Natürlich müsse sich nicht jeder, dem es gut geht, der aber durch die täglichen Infektionszahlen verunsichert sei, testen lassen. Aber für diejenigen, die nicht aus einem Risikogebiet kommen, die aber eine Infektsymptomatik aufweisen und das gern abklären lassen möchten, müsse es mehr Möglichkeiten geben, fordert er. Borte sieht da die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in der Pflicht. Sie betreibt zum Beispiel die Teststation am Flughafen Leipzig/Halle und hat vier Schwerpunktpraxen für Corona-Testungen in Leipzig benannt, darunter eine Kinderarztpraxis. Nur eine Praxis für Kinder, das sei viel zu wenig, moniert der Mediziner. Inzwischen ruft die KV Sachsen alle Hausärzte dazu auf, in ihren Praxen Tests anzubieten. Borte bemängelt unzureichende Vorsorge bei Testkapazitäten: Borte hätte sich gewünscht, dass man zum Beispiel auf Bundesebene umfangreichere Vorsorgen für mehr Testkapazitäten getroffen hätte. „Es ist doch bekannt gewesen, dass wir im Oktober/November wieder in eine Phase hineinkommen, in der die Testhäufigkeit zunimmt. Die Anzahl der Tests steigt bei uns derzeit pro Woche um 50 bis 100 Prozent. Diese saisonale Entwicklung wurde vorhergesagt. Da hätten die Labore entsprechend aufgerüstet werden müssen mit Personal und Material, insbesondere die, die in den öffentlichen Gesundheitsstrukturen eine wichtige Rolle spielen, wie die Landesuntersuchungsanstalt und andere Labore, die von der KV benannt sind“, unterstreicht er. Klinikum wollte Testzentrum aufbauen, KV sieht derzeit keinen Bedarf: Das Klinikum St. Georg hat übrigens der Bezirksstelle der KV in Leipzig angeboten, ein komplettes Corona-Testzentrum aufzubauen mit Entnahme der Proben – per Gurgeltest, der am Klinikum bevorzugt wird – und anschließenden Untersuchungen im eigenen Labor, um die angespannte Lage zu entlasten. Die Patienten hätten nach kurzer Wartezeit von einer halben Stunde das Ergebnis erfahren können. Das Angebot wurde aber abgelehnt, sagte der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsens, Dr. Klaus Heckemann, der LVZ. Als Begründung nannte er, dass das angebotene Testzentrum momentan aus Kapazitätsgründen noch nicht für erforderlich gehalten werde. Keiner wisse aber, was bei der derzeitigen Entwicklung in einer Woche sei. Da könne sich viel ändern, dann seien neue Entscheidungen nötig, so Heckemann. Chefarzt sieht Zukunft in „All-in-One-Testzentren“: Abgesehen davon, sieht Borte die Zukunft in solchen „All-in-One-Testzentren“. Es müsse vor Ort abgestrichen, getestet und das Ergebnis sofort und direkt mitgeteilt werden. Das vereinfache die Arbeitsschritte, es entfalle die aufwendige Informationskette. „Manche warten sonst tagelang und lassen sich dann, weil sie kein Ergebnis bekommen, noch mal testen“, weiß der Mediziner aus Erfahrung. 80 Prozent der Tests mit Gurgelwasser: Im St. Georg laufen 80 Prozent der Tests nicht mit Stäbchen, sondern mit Gurgelwasser. Dabei wird in einen Messbecher eine kleine Menge keimfreies Wasser gegossen. Dann heißt es für den Patienten, tief im Rachen zu gurgeln und die Flüssigkeit zurück in den Becher zu geben. Dieser ist dann zu verschließen und mit den Daten der Testperson zu versehen. Ab geht es ins Labor. Dort wird diese Lösung auf Coronaviren mit einer üblichen PCR-Methode untersucht. Nur 20 Prozent der Tests erfolgen per Wattestäbchen, vorwiegend bei Kindern und schwer Erkrankten, die nicht in der Lage sind zu gurgeln. Reagenzien nicht ausreichend lieferbar: Keimfreies Wasser zum Gurgeln steht genügend bereit, aber bei den Chemikalien hapert es, konstatiert der Chefarzt. „Knapp sind die Reagenzien für die Aufreinigung des Virus, das heißt, für sein Herauslösen aus dem Untersuchungsmaterial, also aus dem Tupfer oder aus dem Rachenspülwasser. Das ist die Engstelle. Da sind die meisten Firmen derzeit nicht in der Lage, ausreichende Mengen zur Verfügung zu stellen“, erklärt Borte die Lage. Die Reagenzien für den eigentlichen Nachweis, also ob das Coronavirus vorhanden ist im Testmaterial und in welcher Menge, seien dagegen verfügbar. Da das Labor des Klinikums stark auf den Gurgeltest setze, seien nicht so viele Tupfer nötig. Von Anita Kecke