Golzerner Uwe Glöckner: Ich habe die größten Eier

Nein, an Jurassic Park erinnert auf dem durch und durch friedlichen Hof von Uwe Glöckner nichts. Fast nichts. Denn der Vogel Strauß stammt durchaus vom Dinosaurier Rex ab. War T. Rex noch ein Fleischfresser, hat sich der Strauß in Jahrmillionen zum reinen Vegetarier gemausert. Vorsicht ist trotzdem geboten. Niemand sollte es wagen, den Urviechern zu nahe, geschweige denn ins Gehege zu kommen, empfiehlt Halter Uwe Glöckner: „Ein ausgewachsener Hahn, ein Kerl wie ein Baum, bringt es auf bis zu 2,70 Meter Höhe beziehungsweise 130 Kilo Lebendgewicht!“ Zwar ergreife der Strauß, der in Afrika noch immer in freier Wildbahn lebt, lieber die Flucht als sich zu wehren. Doch manchmal bleibe eben nur die Flucht nach vorn: „Dann tritt er zu. Gerade bei Menschen könne das böse enden, da die markante Kralle an der größeren der beiden Fußzehen den Angreifer mitunter aufschlitzt.“ Dabei will der Strauß niemandem weh tun. Warum auch sollte er sich etwa mit einem Löwen anlegen? Er frisst eh kein Fleisch. Er hängt ihn lieber ab. Mit 70 Kilometern pro Stunde gilt er als ausdauernder Sprinter im Tierreich. Abstand halten ist oberstes Gebot: Der 57-Jährige Uwe Glöckner ist der Anmut der Strauße regelrecht verfallen. 1996 kam der Leipziger nach Golzern, baute dort einen Vierseitenhof aus und widmet sich seit 2005 der Zucht. 70 Jahre können Strauße in freier Natur alt werden. Herbert, sein dienstältester Hahn, ist zumindest schon 21. Damals, Glöckner arbeitete noch bei der Telekom, fing alles mit einigen wenigen Exemplaren an. Inzwischen halten 62 Urvögel die Wiesen in Golzern und Großbardau kurz. Abstand halten sei oberstes Gebot – und das ausnahmsweise mal nicht wegen Corona. „Ich habe die größten Ostereier“, tönt der kultige Tierhalter mit Augenzwinkern. Immerhin: Ein Straußenei entspricht 25 Hühnereiern. Im Urlaub an der Müritz entbrannte eines Tages seine Liebe zu den Laufvögeln: „Wir waren zu viert, besuchten den Straußenhof der Familie Brandt in Vipperow und kauften uns ein 1,5 Kilo schweres Frühstücksei. Was soll ich sagen, wir schafften das viele Rührei nicht annähernd.“ War es damals noch ein Abenteuer, das Ei mit Akkuschrauber und Zehn-Millimeter-Bohrer zu öffnen, so ist es für ihn heute Routine. Das Trinkröhrchen kommt ins Bohrloch: In seiner Wirtsstube können Gesellschaften – so Corona irgendwann besiegt ist – selbst Hand anlegen. „Du brauchst eine ziemlich starke Lunge, um die Eier auszublasen. Du steckst das Trinkröhrchen in das gebohrte Loch und pustest. Durch den Druck läuft der Inhalt nach und nach in die bereit gestellte Schüssel.“ Danach wird mit einem halbem Teelöffel gesalzen, um das Ganze anschließend mit dem Schneebesen zu verrühren. Der Inhalt kommt nun in die vorgeheizte Pfanne und kann mit Schinken, Speck und Schnittlauch garniert werden. Nach nur fünf Minuten ist das perfekte Oster-Gericht fertig. Es reicht für sechs Personen und schmecke am besten zu Brot, Bier oder Wein. „Wenn Frauen zu mir in die Gaststube kommen, wähle ich immer einen möglichst kleinen, meist den Acht-Millimeter-Bohrer. Dann blasen und blasen die, die Augen drückt es schon raus, und die Ohren laufen knallrot an.“ On top und gratis gibt es dann Geschichten über Strauße: Etwa, dass es meist nicht die Weibchen sind, die die Eier ausbrüten. Es sei der Hahn, der 42 (!) Tage lang auf den Eiern hocke. Die ausgeblasenen Straußeneier lassen sich genauso mit Wasserfarbe bemalen wie normale Hühnereier. Dem Einfallsreichtum des Pinselschwingers sind da keinerlei Grenzen gesetzt. Doch Vorsicht! Zwar ist die Schale mit einer Dicke von zwei Millimetern etwas stabiler als die handelsüblicher Ostereier, doch sollte man den Stresstest lieber unterlassen. Der Sturz aus mittlerer Höhe etwa auf Fliesen übersteht selbst ein Straußenei nicht immer unbeschadet. Besonders gut eignen sich die Straußeneier für die Gestaltung mit Serviettentechnik. Mit einem Dremel, einer kleinen Maschine mit biegsamer Welle, lassen sich wunderbare Motive in das ausgeblasene Ei fräsen. Verstärkt werden kann die Wirkung, wenn im Innern ein Licht leuchtet, weshalb sich solche aufwendig verzierten Schmuckstücke auch als ganz besonders eigenwillige Lampenschirme eignen. Wird das entleerte Straußenei mittig durchtrennt, können die dadurch entstandenen Halbschalen mit Ostergras, Osterhasen und ähnlichem dekoriert werden. Wer einen grünen Daumen besitzt, kann sie auch mit Frühblühern bepflanzen. Als Geheimtipp gilt der Einsatz der Halbschale als Schwimmkerze in Pool oder Teich: Einfach Teelicht rein, aufs Wasser setzen und los geht’s. Die wasserfeste Schale besteht fast nur aus Kalk und ist somit nicht brennbar. Vögel (fast) wie aus dem Lehrbuch: Von wegen Hahn im Korbe! Nichts is. Der Kerl brütet nicht selten 20 Eier seiner zwei bis drei Verehrerinnen gleichzeitig aus. Während der Osterhase immer mit der saftig grünen Wiese assoziiert wird, befindet sich das Nest der Strauße meist in Sandhaufen. Die Henne legt im Jahr 30 bis 50 Eier. Es gebe Phasen, in denen die Damen alle zwei Tage Eier legen, und Ruhephasen, in denen sie kürzer treten. Das richte sich auch nach dem Wetter. „Wenn es weder zu kalt noch zu warm ist, ist die Aktivität am größten“, sagt Glöckner. Es sind Vögel wie aus dem Lehrbuch. Wäre da nicht ein Makel: Sie können nicht fliegen. Obwohl sie elegant wie eine Primaballerina mit den Flügeln schlagen, bleiben sie doch auf dem Teppich. Die Evolution ist schuld. Ob das Fliegen zu viel Energie kostet oder ob ein Meteoriteneinschlag die Strauße auf Trab hielt – keiner weiß es genau. „Nun fliegen sie nur noch in der Samsung-Werbung“, bringt es Glöckner auf den Punkt. Aber im Ernst: Die Flügel spenden Schatten im Sommer, Wärme im Winter. Und: Sie dienen als Fingerzeig der Lust. Bereits zum dritten Mal war Uwe Glöckner vom gleichnamigen Golzerner Straußenland mit einem eigenen Stand auf der Grünen Woche in Berlin vertreten. In seinem Hofladen vermarktet er seit Jahren frisches Straußenfleisch – als Braten, Steak oder Filet. Ob Knacker, Leberwurst oder Schinken – das dunkelrote Fleisch der Strauße ähnelt weder farblich noch geschmacklich jenem von Geflügel. Es geht eher in die Richtung von extrem zartem Rindfleisch. Die Produktpalette reicht bis zum Fläschchen Eierlikör. Mit einem Trennschleifer wird das Ei in gefülltem Zustand behutsam geöffnet. Im nächsten Schritt ist das Eigelb vom Eiweiß zu trennen. Aus diesem Eigelb und unter Zugabe von 96-prozentigem Primasprit, Puderzucker und Kondensmilch ensteht der Eierlikör mit 17 „Umdrehungen“. Ein begehrtes Accessoire rund um den Strauß ist auch seine samtweiche Feder. Ob gefärbt oder nicht – sie eignet sich wahlweise als Dekoration oder Staubwedel. Die Federn stecken in der Haut. Nach der Schlachtung wird diese abgezogen und in der Doberlug-Kirchhainer Traditionsgerberei zu Leder gemacht. Da das Leder ähnlich strapazierfähig ist wie jenes vom Krokodil, eignet es sich zur Herstellung von Hosen, Lederjacken oder Couchgarnituren. Er sei diesbezüglich noch auf der Suche nach einem geeigneten Schneider, Kürschner oder Polsterer, sagt Uwe Glöckner. Tiefpunkte: Nächtlicher Riss und Vogelgrippe: Glöckner erlebte mit seinen Straußen nicht nur eitel Sonnenschein. Einmal wurden seine gefiederten Lieblinge über Nacht gerissen. Bis heute ist unklar, wer der Missetäter war. Gleich zweimal schlug die Vogelgrippe zu. „Ich hatte dabei zwar keine Tiere eingebüßt. Doch ich musste mehrere Tausend Euro zahlen.“ Die seien fällig geworden, weil das Amt über Monate den Stuhl der Strauße wöchentlich beprobte und die Kosten nicht wie andernorts von der Tierseuchenkasse übernommen, sondern von den Haltern gezahlt wurden. Sie freuen sich auf das Osterfest, sagen Uwe und Katrin Glöckner. Zwar dürfe das Paar die Kinder und Kindeskinder in Corona-Zeiten nur per Videokonferenz sehen, aber immerhin. Die Ostereier seien eh viel zu groß, um sie zu verstecken. Die Glöckners fühlten sich wohl in Golzern: Da bringen die einen Fallobst für die Tiere vorbei, da holen die anderen Knochen ab, damit ihre Hunde was zu „beißen“ hätten. Aus der Welt sei man selbst in Golzern nicht: „Teilnehmer vom Wave-Gothic-Treffen in Leipzig haben die Krallen der Strauße längst für sich entdeckt. Die stecken sich die Dinger auf die Finger!“ Von Haig Latchinian

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