Klima-Forscher: Darum regnet es so wenig in Leipzig

Dr. Andreas Marx leitet das Mitteldeutsche Klimabüro am Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ). Wir sprachen mit ihm über die mitteldeutsche Klimabilanz der letzten Jahre und die Folgen für Wälder und Flüsse. Herr Dr. Marx. wie fällt Ihre Klimabilanz für Mitteldeutschland bislang im Jahr 2020 aus? Der Winter 2019/2020 war quasi nicht vorhanden. Es war viel zu warm. Ich bin selbst Skifahrer und hatte am Fichtelberg viele traurige Momente. Wintersport, der über 1000 Metern nicht mehr möglich war, das war schon sehr ungewohnt und auch ein neues Klimamerkmal. 2018 hatte Leipzig 36 Tage mit über 30 Grad: Wie schätzen Sie den Sommer 2020 ein? Die großen Hitzewellen der Jahre 2018 und 2019 sind diesmal in Leipzig ausgeblieben. 2020 war eher ein relativ normaler Sommer, ein bisschen zu warm, aber die großen Hitzewellen wurden nicht registriert. Im Jahr 2018 hatte Leipzig 36 Tage, die heißer als 30 Grad waren, 2019 waren es auch noch 29 Tage. Wie ist das statistisch einzuordnen? Wir vergleichen Klima immer langfristig. Deshalb ziehen wir die Periode von 1961 bis 1990 heran, mit einem Klima, das es ja eigentlich gar nicht mehr gibt. Da lag Leipzig statistisch gesehen bei knapp unter acht Tagen im Sommer über 30 Grad. Jetzt haben wir das Vierfache davon, das zeigt doch wie sich das Klima verändert. Mit welchen Folgen für die Region? Zur Hitze gab es 2018 und 2019 deutlich zu wenig Niederschlag mit großen Auswirkungen. Für die Landwirtschaft war 2018 ein Katastrophenjahr für ganz Deutschland, 2019 war es im Südwesten eher nicht so schlimm, dafür im Nordosten und auch in Sachsen mit deutlichen Ernteausfällen. 2020 war es eher gemischt, das Ertragsjahr ist knapp unterdurchschnittlich. Elbe leidet unter Trockenheit: Können Sie anhand dieser Zahlen schon von einem langfristig wärmeren Klima in Mitteldeutschland sprechen? Ein Jahr ohne Winter, da lässt sich nicht mehr von einem normalen Jahr sprechen. Wenn wir über Dürre reden und den Blick weg von der Landwirtschaft lenken, dann sind wir relativ schnell bei der Elbe und damit bei den Transporten auf Wasserwegen in der Region. Ab Juni 2018 und 2019 ist südlich von Magdeburg kein Frachtschiff mehr gefahren. Auch 2020 hatten wir bei Barby Wasserstände von 50 Zentimetern. Der Wasserhaushalt in Mitteldeutschland läuft schon seit vielen Jahren aus dem Ruder. Waldverlust in der Größe des Saarlands: Seit wann genau? Seit dem Hochwasser im Juni 2013. Da hatten wir die letzten Grundwasser-Höchststände. Seitdem fallen sie in Sachsen kontinuierlich. Was hat das für Auswirkungen? Da braucht man nur auf die Wälder zu schauen, auch die Stadt Leipzig hat in dieser Zeit tausende Bäume verloren. Die Dürre, die 2018 im Boden eingesetzt hat, ist 2019 nicht ausgeglichen worden und 2020 erhalten geblieben. 2018 sind die ersten langsamen Schäden in den Wäldern aufgetreten, das hat sich 2019 verschärft und 2020 fortgesetzt. Auch wenn dieses Jahr nicht mehr ganz so schlimm war: Deutschland hat in zwei Jahren eine Waldfläche verloren, die größer als die des Saarlandes ist. 285.000 Hektar – der Wald ist einfach weg. Das macht schon betroffen. Unser Wald wird ein anderes Gesicht bekommen: Lässt sich da gegensteuern? Wir denken in langen Klima-Zeiträumen. Unsere Waldgebiete, die wir jetzt haben, müssen wieder aufgeforstet werden, sie werden ein anderes Gesicht bekommen. Von Nadelbaum-Monokulturen werden wir dann einen Schritt wegkommen müssen. Artenreiche Wälder mit mehreren unterschiedlichen Baumarten können mit Extremereignissen viel besser umgehen. Das betrifft nicht nur Dürreereignisse, sondern auch Stürme. Rein hypothetisch: Wie lange müsste es regnen, um die Trockenheit im Boden wieder auszugleichen? Wir sind in diesem Jahr in einer besseren Situation als 2018 und 2019. Die Niederschläge der letzten Wochen haben für eine ordentliche Durchfeuchtung der oberen Bodenschichten gesorgt. Ein Winter mit leicht überdurchschnittlichen Niederschlägen würde die Böden auch wieder tiefer durchfeuchten und die Grundwasserstände stabilisieren. Nach der extremen Dürre seit 2018 müsste die feuchte Witterung aber über mehrere Monate anhalten. Leipziger Seen tragen nicht zur Trockenheit bei: Die sächsische Bauernverband hat darauf verwiesen, dass die Trockenheit in der Region um Leipzig durch die vielen neuen Tagebauseen verursacht ist. Sehen Sie das auch so? Das habe ich mit großen Erstaunen gelesen. Die Behauptung trifft nicht zu. Die Seen um Leipzig sind mit insgesamt weniger als acht Quadratkilometern so klein, dass sie klimatisch keine Rolle spielen. Das trifft im übrigen auch auf die Flüsse zu. Der einzige See, der in Deutschland ein eigenes Klima ausbildet, ist der Bodensee – mit einer Wasserfläche von 536 Quadratkilometern. Aber die Region Leipzig ist doch besonders trocken. Woran liegt es dann? Leipzig ist mit wenig über 500 mm Jahresniederschlag eine relativ trockene Region in Deutschland. Das liegt aber nicht an den Seen, sondern an den Erhebungen rings um uns. Harz, Erzgebirge und Thüringer Wald bilden Regenschatten. Im Harz regnet es in Gipfellagen über 1800 Liter im Jahr, während südlich davon in Freyburg an der Unstrut deutlich weniger als 500 Liter sind. Leipzig liegt zwar nicht direkt im Regenschatten, aber in jeder Richtung, aus der Regen kommen könnte, liegt quasi eine Erhebung, die den Regen abfängt. Braunkohleausstieg 2038 kommt zu spät: Sachsen und Thüringen bleiben von den Klima-Folgen nicht verschont. Die Fridays-for-Future-Bewegung warnt vor allem mit Blick auf die Braunkohle vor Spätfolgen. Wie sehen Sie FFF? Seit die FFF-Aktivisten und Aktivistinnen das Thema Klimafolgen aufgegriffen haben, ist es in der Öffentlichkeit viel präsenter. Und das sehe ich als Forscher natürlich positiv, da wir zum Klimawandel kein Kenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Ich denke, dass sich jetzt eine breitere Bevölkerungsschicht mit dem Klimawandel beschäftigt. Das fängt im Kleinen an, wenn mehr Wege per Fahrrad zurückgelegt werden. „For Future“-Gruppen gibt es heute aber auch für zum Beispiel Eltern und Omas, Wissenschaftler oder jetzt auch für Mediziner und Unternehmer. Und wie werten Sie das politische Signal zum Braunkohleausstieg im Jahr 2038? Das erste globale Klimaschutzabkommen wurde 1997 in Kyoto verabschiedet. Da es jedoch nicht konsequent umgesetzt wurde, haben wir gut 20 Jahre Handlungsspielraum verloren. Der Braunkohleausstieg kommt aus wissenschaftlicher Sicht zu spät und ist wenig ambitioniert. Ich hätte mir den Beschluss schon 2010 und einen Ausstieg vor 2030 gewünscht. Ziel muss es bei einem Strukturwandel immer sein, die Braunkohleregionen zu stabilisieren und vor allem ihren Bewohnern Perspektiven zu liefern. Und der Strukturwandel braucht Zeit und Geld – die insgesamt 40 Milliarden Euro aus dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen des Bundes müssen jetzt in zukunftsfähige Konzepte umgesetzt werden. Von André Böhmer