Messerattentat in Dresden: LKA-Chef: „Nur Ausweisung hätte Tat verhindert“

Nach der Festnahme eines Syrers im mutmaßlichen Mordfall an einem Touristen in Dresden ist eine Debatte über mögliche politische Konsequenzen ausgebrochen. Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) fordert, „Gefährder und schwere Straftäter“ künftig auch in Länder abzuschieben, in denen Bürgerkrieg herrscht. „Die Sicherheit der Bevölkerung geht eindeutig vor“, so der Politiker. Deshalb könne es keinen generellen Abschiebestopp mehr geben. Am Dienstagabend hatte die Polizei in einem Dresdner Asylbewerberheim einen 20 Jahre alten Tatverdächtigen festgenommen, der in Aleppo geboren wurde und seit Oktober 2015 in Deutschland lebt. Ihm wird vorgeworfen, am 4. Oktober hinter dem Kulturpalast der Landeshauptstadt auf zwei Touristen im Alter von 53 und 55 eingestochen zu haben. Das ältere Opfer starb im Krankenhaus an der Verletzung. Weil ein radikal-islamistischer Hintergrund als wahrscheinlich gilt, hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich genommen. Von dort heißt es, der Täter sei mit zwei Messern bewaffnet gewesen. Der erste, tödliche Stich sei von hinten erfolgt. Gerüchte über homophobe Motive des Verdächtigen wollte der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt am Donnerstag auf einer Pressekonferenz nicht kommentieren. Die Behörden hatten den Beschuldigten schon seit August 2017 als „Gefährder“ auf dem Schirm. Im November 2018 verurteilte das Oberlandesgericht Dresden den damals 18-Jährigen zu einer Jugendhaftstrafe, weil er unter anderem über soziale Medien im Internet zum Kampf gegen aus seiner Sicht „Ungläubige“ aufgerufen und nach einer Bauanleitung für einen Sprengstoffgürtel gesucht hatte. Nachdem er in Haft Vollzugsbeamte angegriffen hatte, verlängerte das Amtsgericht Leipzig im September 2019 die Strafe. Erst wenige Tage vor dem Attentat – am 29. September 2020 – wurde er aus der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen entlassen. Die Gefährlichkeit des Mannes schätzten die Behörden weiterhin als hoch ein. Daher unterlag er strengen Meldepflichten, denen er auch nachgekommen sei. Wie Oberstaatsanwalt Schmidt sagte, waren dem Beschuldigten „bestimmte internetfähige Endgeräte, Hieb-, Stich-, und Schusswaffen“ verboten. Zudem stand er unter Beobachtung. „Eine nachrichtendienstliche Observation ist aber nicht auf Gefahrenabwehr angelegt“, schränkte Dirk-Martin Christian, Präsident des sächsischen Landesverfassungsschutzes ein. Petric Kleine, Präsident des Landeskriminalamtes, nahm die Behörden gegen Kritik in Schutz. Im konkreten Fall seien alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft worden. Wohl nur eine Abschiebung hätte die Tat verhindern können, glaubt er. Mobilisierung der rechtsradikalen Szene befürchtet: Seit November 2019 existiert eine Ausweisungsverfügung gegen den Tatverdächtigen, die jedoch wegen eines generellen Abschiebestopps in das Bürgerkriegsland Syrien nicht vollzogen wurde. „Der Umgang mit Gefährdern, die nicht abgeschoben werden können, ist ein deutschlandweites Problem“, sagte Innenminister Wöller. Er betonte, dass er sich in der regelmäßig tagenden Innenministerkonferenz „seit 2018 vergeblich dafür eingesetzt“ habe, „Gefährder und schwere Straftäter“ davon auszunehmen. Die sächsische Grünen-Politikerin Petra Čagalj Sejdi warnte jedoch davor, „das Ereignis für solche vorschnellen Forderungen auszunutzen“. Sie sagte: „Eine Aufweichung des Abschiebestopps nach Syrien ist mit uns Bündnis-Grünen nicht zu machen. In dem Land herrscht nach wie vor ein schrecklicher Bürgerkrieg.“ Sachsen wird von einer Koalition aus CDU, Grünen und SPD regiert. Sebastian Wippel, Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, warf Wöller ein „umfassendes Versagen“ vor. Verfassungsschützer Christian sagte, seine Mitarbeiter beobachteten aktuell die sozialen Medien, ob nun in Dresden mit einer Mobilisierung der rechtsradikalen Szene ähnlich wie 2018 nach einer Messerstecherei in Chemnitz zu rechnen sei. Von Mathias Wöbking