Neonazi-Treffen in Hainichen: Karnevalsverein wurde hereingelegt

Für ein paar Stunden ist das gemütliche Dorf Hainichen, ein Ortsteil der Stadt Kitzscher, zu einem bundesweiten Treffpunkt mutmaßlicher Neonazis und Reichsbürger geworden. Beim örtlichen Karnevalsverein HCV, der den Rechtsextremen den Saal vermietet hat, ist man entsetzt. „Wir sind hereingelegt worden“, sagt Vereinsvorsitzender Jörg Hofmann. In dem Saal finden normalerweise die Faschingsveranstaltungen des HCV statt. Das Treffen am Sonntag war von gänzlich anderem Kaliber. „Das war eine Veranstaltung mit einem Zeitzeugenvortrag von einem alten Nazi“, weiß Hofmann mittlerweile, der am Sonntagnachmittag ausgiebig mit Beamten der Polizei und auch des Verfassungsschutzes zu tun hatte. Gemietet hatte den Saal eine Dame, die angeblich aus Ramsdorf bei Regis-Breitingen stammte und sich mit dem Namen Kunze vorgestellt haben soll. Sie hatte vor einiger Zeit schon einmal hier gefeiert, und auch jetzt sollte es wieder um eine Geburtstagsfeier gehen. Nett und höflich sei sie gewesen, sagt der Mann aus dem Vereinsvorstand, der für die Vermietung des Saales zuständig ist. Da habe man sich nicht den Ausweis zeigen lassen. Autos aus ganz Deutschland verstopften den Ort: Erste Anzeichen, dass etwas nicht stimmen könnte, gab es schon am Sonnabend. Eigentlich sei der Saal für diesen Tag gemietet worden. Aber am Sonnabend blieb es nahezu ruhig an der Oelzschauer Straße. Spätestens gegen zehn Uhr abends sollen im Saal die Licher aus gewesen sein. Turbulent wurde es erst am Sonntag. Gegen Mittag begann sich der Ort mit Autos aus ganz Deutschland zu füllen. Kennzeichen aus Berlin, Magdeburg, Cottbus, Stuttgart und so weiter wurden gesehen. Hofmann spricht von „gefühlt“ 200 Autos, die den Ort geflutet und die Straßen verstopft haben sollen. Anwohner erhielten keine Auskunft: Was sich im Saal abspielte, blieb für die Hainichener verborgen. Ein älterer Herr, der gleich in der Nähe des Saales wohnt, schildert, sein Sohn habe am Sonntag einige der Fremden auf der Straße gefragt, aber keine Antwort bekommen. Zwei Hobby-Rennradfahrern aus Leipzig, die nach 80 Kilometern auf der Rücktour durch Hainichen fuhren, ging es ähnlich. Radfahrer riefen die Polizei: Sie vermuteten zunächst ein Volksfest und hofften auf eine Bratwurst für den Hunger. Auf ihre Frage, was denn hier los sei, erhielten auch sie keine Antwort. Am Saal lauschten beide ein paar Minuten am nur leicht geöffneten Fenster. Zu sehen sei nichts gewesen, aber was sie hörten, „hatte nichts mit dem deutschen Rechtsstaat zu tun“, schrieb einer der beiden der LVZ. Es sei unter anderem der Hitlerjugend und der Wehrmacht gehuldigt worden. Die Sportler riefen daraufhin die Polizei. Für die kamen die Hinweise nicht ganz überraschend. Sie hätten sich mit eigenen Erkenntnissen darüber gedeckt, „dass im Großraum Leipzig am 4. Oktober ein sogenannter Zeitzeugenvortrag, organisiert durch Personen der rechten Szene, stattfinden könnte“, bestätigt Maria Braunsdorf, Sprecherin der Polizeidirektion Leipzig. Eine offizielle Anmeldung für eine derartige Veranstaltung sei nicht bekannt gewesen. Redner wird als „absoluter Hammer“ angekündigt: Mitglieder des HCV-Vorstandes, trafen vor dem Saal auf einen reichlich 90-jährigen Mann, der in einer Pause vor der Tür gesessen haben soll. Der war offenbar der Redner der Veranstaltung. Angekündigt wurde er zuvor innerhalb einer Reihe „Zeugen der Zeit“ in einschlägigen Netzwerken. „Dafür haben wir nun für den 04.10. einen absoluten Hammer, mit einen hochinteressanten und sehr seltenen Zeitzeugen im hohen 90er Alter. Dieser wird uns die Ehre geben, zum ersten Mal aus seinem sehr erlebnisreichen und sehr speziellen Leben im 2. WK zu erzählen“, heißt es in einer Einladung, die dem Büro der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linke) in Grimma vorliegt. Der Ort, weiß man dort, werde in solchen Fällen bis kurz vor der Veranstaltung geheim gehalten. Veranstalter verweigert Polizei den Zutritt: Eine ganz ähnliche hatte im Frühjahr 2018 in Regis-Breitingen stattgefunden. Vom dortigen „Zeitzeugenvortrag mit Liederabend“ erfuhr die Öffentlichkeit damals erst nach einer Anfrage im Sächsischen Landtag. Rund 120 Teilnehmer hörten einem 1928 geborenen ehemaligen angehörigen einer SS-Panzerheinheit zu. Beim Eintreffen der Polizei stellte sich den Schilderungen des Vereinsvorsitzenden zufolge den Beamten in Hainichen an der Tür des Saales ein Mann in den Weg, der sich als Mieter auf das Hausrecht berief und die Polizisten nicht einließ. Die Beamten traten daraufhin mit dem Karnevalsverein in Kontakt, der nun sein Hausrecht ausübte und die Polizisten in den Saal ließ. 200 Personen in und am Saal: Die löste die Veranstaltung auf, offenbar wegen des Nichteinhaltens von Corona-Regeln. Die Beamten hätten, teilt Maria Braunsdorf mit, „konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung“ vorgefunden. Im und rund um den Saal hätten sich rund 200 Personen aufgehalten. Die genauen Umstände der Veranstaltung als auch Ermittlung weiterer Betroffener seien Gegenstand laufender Ermittlungen, so die Polizeisprecherin. Bürgermeister nimmt Verein in Schutz: Kitzschers Bürgermeister Maik Schramm hatte nach seinen Worten am Sonntag erst von den Vorgängen erfahren, als die Polizei schon vor Ort war. „Der Verein ist reingelegt, betrogen worden“, nimmt er den HCV in Schutz. „Nie im Leben“, ist Schramm überzeugt, „hätte der Karnevalsverein den Saal für eine rechtsradikale Veranstaltung vermietet.“ Wie in anderen zu Kitzscher gehörenden Orten auch, hat die Stadt den Vereinen die von ihnen genutzten Gebäude in deren Verantwortung übergeben. Sie kümmern sich um den Erhalt und dürfen auf eigene Rechnung vermieten. Vereinsvorsitzender Hofmann geht davon aus, dass gegen den Veranstalter eine Anzeige gestellt werden wird. Er wolle sich dazu noch mit der Stadt abstimmen. Bürgermeister Schramm sagte der LVZ, er werde ein solches Vorgehen unterstützen. Lesen Sie auch: Neonazitreffen 2018 in Regis-Breitingen Verfassungsschutz nimmt Kleingärten wegen rechter Umtriebe ins Visier So findet der Karnevalsverein HCV sein Prinzenpaar Von André Neumann