Oberwiesenthaler Bürgermeister: „Bitte bleiben Sie zu Hause!“

Um diese Jahreszeit ist in dem Wintersportort eigentlich Hochsaison für Skifahrer. Wegen Corona haben die Lifte geschlossen. Doch das hält nicht alle Schneetouristen davon ab, sich illegal an den Fichtelberg zu begeben. Wie blickt Oberwiesenthals Bürgermeister Mirko Ernst auf die Lage? Herr Ernst, normalerweise sind Touristen für Sie ein Grund zur Freude. Wie gut gelingt es Ihnen gerade, sie sich vom Leib zu halten? Am 27. Dezember war es krass. Da fiel der erste Tag nach Weihnachten auf einen Sonntag, wir hatten Schnee, gutes Wetter. Es kamen Hunderte Rodler, die an den Fichtelberg wollten. Die Polizei hat die Massen dann zum Umdrehen aufgefordert. Anstatt wieder zu fahren, sind sie nach Hammerunterwiesenthal, einen Ortsteil des Kurorts, und haben dort einen Hang bevölkert. Nur mit viel Mühe konnten wir sie zum Umdrehen bewegen. Es ist mir eine innige Bitte an alle Schneetouristen: Bitte bleibt zu Hause! Am vergangenen Wochenende gab es wieder 45 Anzeigen… … was aber eher keine Rodler waren, sondern Drifter oder Leute, die Skijöring betreiben. Bitte, was? Drifter sind junge Leute, die mit getunten, also: frisierten Autos herkommen und auf dem Eis eine kunstvolle Brems-Rutsch-Partie hinlegen. Die kommen im Winter teilweise aus Berlin oder Cottbus zu uns. Wir sind der höchstgelegene Ort Deutschlands und oft die ersten mit gefrorenem Boden. Auf dem lässt es sich gut driften, so nennt man das. „Einige mogeln sich trotzdem auf die gesperrten Hänge“: Und das andere? Beim Skijöring schnallen sich die Leute Skier an und halten sich an einer Leine fest, die ein Auto zieht. Das machen die hier auch. Wir haben absichtlich nicht die Hänge oder Parkplätze präpariert, um es für Touristen unwirtlich zu machen. Aber darüber freuen sich die und die Drifter eher. Davon abgesehen ist es aber ruhig hier, fast gespenstisch ruhig. Woran liegt das? In Nordrhein-Westfalen musste die Polizei teilweise an den Hängen patrouillieren oder ganze Ski-Gebiete abriegeln. Was haben Sie anders gemacht? Wir hatten die Grenze von 15 Kilometern, die man sich vom Wohnort entfernen darf, in Sachsen einfach schon länger. Im Erzgebirge war die Corona-Lage aufgrund der Grenznähe zu Tschechien, den Berufspendlern und Tanktouristen schon länger angespannt. Da war es richtig, dass so früh durchgegriffen wurde. Die Ski-Gebiete haben wir daher gar nicht erst geöffnet. Natürlich mogeln sich trotzdem Leute auf die gesperrten Hänge. Glauben Sie, es wird diesen Winter möglich sein, legal am Fichtelberg Ski zu fahren? Nein. Wir werden das Skigebiet auch nicht nur ein bisschen öffnen, sondern wenn, dann ganz. Die Hauptsaison ist normalerweise der Januar und der Februar, vielleicht noch ein bisschen März. Wenn ich mir die Infektionszahlen und die Virusmutation in London angucke, dann sehe ich dieses Jahr aber niemanden mehr bei uns Skifahren. „Im Sommer waren wir ausgebucht – das gab es seit DDR-Zeiten nicht“: Wie wirkt sich das auf den Kurort aus? Sie müssen sich das einmal vorstellen: Wir sind ein Ort mit 2100 Einwohnern. An einem schönen Wochenendtag, mit Schnee und Sonne, fallen hier an die 8000 Touristen ein. Die Leute parken dann in privaten Hofeinfahrten, am Straßenrand, in der Pampa. Der Ort ist aber völlig darauf ausgerichtet. 95 Prozent unserer Geschäfte leben vom Tourismus. Ich bin hier in der Gegend geboren und aufgewachsen, einen solchen Winter habe ich noch nicht erlebt. Ich bin sicher, dass es das hier seit 1896 nicht gab, als die Schmalspurbahn und erste Pisten errichtet wurden. Die Verluste der Geschäfte werden durch staatliche Hilfen gedeckt. Das schon, aber wir als Kommune bekommen nicht alles ersetzt. Beispielsweise wird uns am Ende dieser Saison knapp eine Million Euro an Kurtaxe-Einnahmen fehlen. Die geplante Sanierung unserer Ortsdurchfahrt für sechs Millionen Euro mussten wir daher erst einmal auf unbestimmte Zeit verschieben. Was macht Ihnen in diesen Tagen Hoffnung? Der Sommer! 2020, als niemand ins Ausland reisen durfte, waren wir ausgebucht. Das hat es hier seit DDR-Zeiten nicht gegeben. Da gab es ja zum letzten Mal keine Reisefreiheit. Unsere Hoffnung ist jetzt, dass die Leute, die letzten Sommer hier waren, auf den Geschmack gekommen sind und wiederkommen. Ich denke, dass sich der Sommertourismus hier fest etablieren könnte. Auf die nächsten Jahre gesehen, könnten wir sogar ein Pandemie-Gewinner sein. Was hat Oberwiesenthal denn im Sommer zu bieten? Ach, Sie können hier wunderbar wandern. Oder Sie gehen ins Meeresaquarium, auf die Sommerrodelbahn oder fahren mit unserer Flyline den Fichtelberg runter: Eine 1,5 Kilometer langes Stahlseil, an dem Sie in einem Sitzgurt bis ins Tal rutschen. Mirko Ernst (FDP), 52, ist in Annaberg-Buchholz geboren und arbeitet als selbstständiger Ingenieur im Kurort Oberwiesenthal. Seit 2007 ist er amtierender Bürgermeister der Stadt. Info: Sport und Bewegung, also Spazierengehen, Rodeln oder Skifahren, sind in Sachsen erlaubt, dürfen aber nur im Umkreis von 15 Kilometern ab der eigenen Unterkunft erfolgen. Ein rein touristischer Tagesausflug über diese Grenze ist kein triftiger Grund, diese Ausgangsbeschränkung zu durchbrechen, und somit verboten. Folglich dürfen sich nur die Oberwiesenthaler selbst und Menschen aus der Umgebung dort für Sport und Bewegung aufhalten. Von Josa Mania-Schlegel