Pro und Contra: Ist Kretschmers Corona-Absage an den Osterurlaub richtig?

„Zu große Mobilität etwa durch Reiseverkehr und Tourismus bereits im April ist Gift“, hatte Michael Kretschmer der „Bild am Sonntag“ gesagt. „Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben.“ Ist es richtig, dass Sachsens Regierungschef die Erwartungen bremst? Oder hätte es, angesichts des neuesten Lockdowns, nicht gerade eine solche Hoffnung gebraucht? Pro – von Josa Mania-Schlegel: Manchmal ist es hilfreich, pessimistisch an eine Sache ranzugehen. Wer mit Regenwetter rechnet, der freut sich umso mehr, wenn dann doch die Sonne scheint. Ein bisschen ist es so mit den Osterferien. Wenn wir uns jetzt darauf einstellen, dass Anfang April Reisen unmöglich sein werden, muss niemand traurig sein, wenn es dann auch so kommt. Und wie groß wäre die Freude, wenn es dann doch geht? Manche sagen: In Zeiten der Pandemie braucht es immer auch Hoffnungsschimmer. Die Osterferien wären ein solcher gewesen. Nun hat Michael Kretschmer sie einfach so weggewischt, scheinbar ohne Not. Es ist aber nur richtig, dass er das tat. Der Motor der Corona-Politik war die letzten elf Monate die Zuversichtlichkeit. Bald kommen die nächsten Lockerungen, hieß es. Bald ist der Impfstoff da. Mit solchen Versprechen manövrierte uns die Politik noch durch jede Lockdown-Verlängerung. Mittlerweile funktioniert das nicht mehr. Denn es gibt in dieser Pandemie keine echte Zuversicht mehr. Nur als Beispiel: Wer weiß schon, ob nicht bald eine Mutation auftaucht, die gegen alle Impfstoffe resistent ist? Michael Kretschmer kann gar nicht wissen, ob Corona im April beherrschbar sein wird. Vielleicht hätte Kretschmer vor einigen Monaten noch anders agiert. Vielleicht hätte er mit den Osterferien gewedelt wie ein Papa mit den Zehn-Euro-Scheinen für jede eins auf dem Zeugnis. Es wäre für Sachsen der nötige Ansporn gewesen, die abermals verlängerten Schutzmaßnahmen zu akzeptieren. Schlimmer als fehlender Ansporn sind aber nicht eingehaltene Versprechen. Weil sie das Vertrauen in die Politik, ihre Einschätzungen und ihre Maßnahmen zerstören. Genau das braucht es aber, damit die Gesellschaft den Lockdown für richtig hält und umsetzt. Nicht Versprechen, von denen niemand weiß, ob sie gehalten werden können. Contra – von Robert Nößler: Sieben Wochen noch bis Ostern. Doch Sachsens Ministerpräsident macht uns schon jetzt klar, was wir uns bis dahin verkneifen müssen. Reisen und Ausflüge, Restaurantbesuche, Kultur – all das wird bis Anfang April nicht möglich sein. Weil wir damit „alles“ – man beachte Michael Kretschmers Wortwahl – „zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben“. Der MP verpasst damit nicht nur Gastronomen, Hoteliers und Tourismusbetrieben einen Schlag ins Gesicht, sondern auch allen Menschen, die seit inzwischen dreieinhalb Monaten abermals im Lockdown leben. Bei näherer Betrachtung begeht der CDU-Politiker gleich drei Fehler. Der vielleicht schwerwiegendste ist psychologischer Natur. „Ostern wird das neue Weihnachten“, haben uns Zukunftsforscher noch im Dezember vorhergesagt und Sachsens Politiker mit der Teilverschiebung der Winterferien suggeriert. Mit seiner Aussage nimmt Kretschmer nun jede Hoffnung und prescht unnötig vor. Woher weiß er, wie die Lage in eineinhalb Monaten sein wird? Was hält ihn davon ab, eine Öffnung von weiter sinkenden Infektionszahlen abhängig zu machen? Antworten bleibt der MP schuldig. Zweitens: Kretschmers Glaskugel hat einen Riss. Kommt es, wie von ihm angekündigt, wären die Folgen dramatisch. Vielen Hotels und Wirten geht jetzt schon die Luft aus – das Ostergeschäft ist überlebenswichtig. Hygienekonzepte sind da, doch Kretschmer bezeichnet Reisen als „Gift“ und schert damit alles über einen Kamm. Warum keinen Re-Start im kleineren Rahmen ermöglichen? Warum Ausflüge im eigenen Bundesland nicht zumindest in Aussicht stellen? Nicht zuletzt verspielt Kretschmer Vertrauen in seine eigene Politik, indem er alles Erreichte bei Lockerungen in Frage stellt. „Wir leben in einer Zeit, die keine Zwischentöne mehr kennt“, kritisierte der 45-Jährige noch am Wochenende in der Süddeutschen Zeitung. Genau diese Differenzierungen lässt er nun selbst vermissen. Von Josa Mania-Schlegel und Robert Nößler