Reportage von Grenze zu Tschechien: Bundespolizei kontrolliert Pendler

„Führerschein, Fahrzeugpapiere, digitale Einreiseerlaubnis, negativer Corona-Test bitte.“ „Ich bin Pendler“, sagt der Fahrer des VW Passat, der sich gerade aus Richtung Kraslice genähert hat. Der Mann hat fast alles dabei, als er von der Polizei hier auf dem kleinen Parkplatz im dichten Nebel der dunklen, vogtländischen Wälder kontrolliert wird. Doch eine digitale Einreiseanmeldung fehlt. Nun muss er schriftlich eine Ersatzmitteilung ausfüllen, damit klar wird, wo er in Deutschland arbeitet. Nach ihm kommen rasch weitere Fahrzeuge. Es ist der neue Alltag an der Grenze. An einer Grenze, die sonst kaum eine ist – zumindest außerhalb von Pandemie-Zeiten. Und so merkt man bei der Fahrt eigentlich gar nicht, dass man plötzlich drüben ist: Hinab nach Klingenthal, ein Kreisverkehr, dann noch einer, schließlich eine feuerrote Tankstelle mit verdächtig guten Preisen: 1,05 Euro für den Liter Super. Und schon ist man drüben. Eine Grenzüberschreitung. Und was nun? „Einreise ohne Test: Quarantäne“: Es grüßen gleich mehrere Schilder: „Klingenthal“, „Bundesrepublik Deutschland“ und „Bei Einreise ohne Test: Quarantäne“. Auf dem kleinen Parkplatz unmittelbar hinter den Schildern steht an diesem Tag Polizeioberkommissar Eckhard Fiedler. Seit 9 Uhr an diesem Morgen kontrolliert die Bundespolizei gemeinsam mit Beamten der Polizeidirektion Zwickau und der Verkehrsinspektion Reichenbach von hier aus die Grenzgänger. Fünf Beamte sind im Einsatz. Irgendwann kommt auch noch die Autobahnpolizei hinzu. „Seit Anfang Dezember führt die Bundespolizei vor allem an Wochentagen und nahezu täglich gemeinsame Kontrollen durch“, erklärt Fiedler freimütig. Mit den anderen Beamten ist es etwas komplizierter. Sie unterteilen sich in drei Kategorien: 1. in jene, die ihren Namen nicht nennen möchten 2. in jene, die ihren Namen nicht nennen und nicht fotografiert werden möchten 3. in Polizeimeister-Anwärter Robin Krüger, dem beides nichts ausmacht. Direkt vor dem geschlossenen „Ersten böhmischen Frisiersalon“, noch unmittelbar vor der Grenze, hebt von nun an ein Beamter regelmäßig die rote Kelle und winkt Autos auf den Parkplatz mit dem Corona-Schnelltestcontainer des Rettungszweckverbandes Südwestsachsen. Viele fahren zur Arbeit: Nach dem Pendler mit dem VW-Passat, folgt noch einer, der zur Arbeit in die Bäckerei nach Oelsnitz will sowie eine junge Frau, die als Ziel die Werkzeugfabrik gleich um die Ecke hat. Fährt jemand ohne Test an die Kontrolle, kann er diesen im Container nachholen oder auch bei seinem Arbeitgeber vor Arbeitsbeginn. Sachsen beteiligt sich dabei mit zehn Euro pro Test und Pendler. Der Freistaat Sachsen hat die Regelungen für Menschen, die aus dem Ausland einreisen, um einer beruflichen Tätigkeit im Freistaat Sachsen nachzugehen Mitte Januar geändert. Grund ist der Erlass einer Bundesverordnung, nach der bei der Einreise aus einem Hochinzidenzland wie Tschechien ein negativer Test mitgeführt werden muss. Die Regelungen besagen, dass grundsätzlich jeder Einreisende aus Tschechien einen negativen Test haben muss. Da es aber eine Vielzahl von tschechischen Arbeitnehmern in Sachsen gibt, regelt der Freistaat, eine Ausnahmemöglichkeit per Allgemeinverfügung. Konkret bedeutet dies, dass tschechische Arbeitnehmer, die in Sachsen einer Arbeitstätigkeit nachgehen, zunächst ohne Testung einreisen dürfen. Bei der Einreise besteht die Pflicht, den Arbeitsvertrag mitzuführen und mindestens zweimal wöchentlich eine Testung auf eine Infektion mit dem Coronavirus vornehmen zu lassen. Die erste dieser Testungen hat direkt nach der Einreise und zwingend vor der Arbeitsaufnahme zu erfolgen. Die entsprechenden Nachweise sind dann natürlich mit sich zu führen und bei Kontrollen vorzuzeigen. Die Ergebnisse der Antigen-Schnelltests aus Tschechien werden in Sachsen anerkannt. Doch bei fast allen das gleiche Problem: die digitale Einreiseanmeldung. Mit ihrer Hilfe überwache das Gesundheitsamt, ob „eine Pendler-Eigenschaft“ vorliege, erläutert Fiedler. „Glaubhaft machen“ lautet das bürokratische Zauberwort. Ein Tscheche im Fiat Ducato hat tatsächlich alles dabei – gültige Papiere, negativen Corona-Test, Arbeitsstellennachweis und sogar die digitale Einreiseanmeldung auf dem Handy. Die Beamten sind für einen kurzen Moment begeistert. „Vorbildlich“, lobt Fiedler. Ein Test für 35 Euro: Die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge kommt aus Tschechien. Wenige Deutsche fahren langsam heran und nehmen – wenn sie die Polizeifahrzeuge sehen – eine andere Ausfahrt. Sehr viele Verstöße habe man hier bisher nicht feststellen können, räumt Fiedler ein. Und wenn, dann eher von deutschen Einkaufstouristen. „Die setzen meist auf Lücke, so lange keine festen Grenzkontrollen angeordnet sind.“ Bezogen auf die Gesamtzahl sei ihr Prozentsatz aber minimal. Selbst vor Silvester wurden lediglich in einem Fahrzeug aus dem Raum Torgau größere Mengen illegalen Feuerwerks gefunden. Eine Frau im schwarzen Audi mit tschechischem Kennzeichen gibt an, ein Medikament holen zu wollen. Sie verfügt weder über eine Einreiseanmeldung noch über einen gültigen Corona-Test. Mit der Kontrolle hat sie offenbar nicht gerechnet. „Ich machen Test“, sagt sie zerknirscht. „Wie viel muss zahlen? 35 Euro?“ Da kehrt sie dann doch lieber wieder um. Übersetzer wird oft gerufen: Nicht alle verstehen, was die Beamten von ihnen wollen. In solch einem Fall wird der Tscheche Jakub Falatek aus dem Corona-Testcontainer gerufen. Er spricht beide Sprachen und versucht darüber hinaus, auch noch freundlich zu sein. „Eigentlich war ich Restaurantleiter im Waldhotel Mühlleithen“, sagt er. Bis die Pandemie kam. Ob er sehr oft gerufen werde? Falatek lacht: „Ja, schon.“ Im Testcenter sind sie als Johanniter zu dritt. Er mache die Anmeldung, die anderen die Tests. Am Vortag kamen immerhin 180 zusammen. Zweimal pro Woche müssten die Pendler sich testen lassen. „Erscheint nach zehn Minuten kein Streifen, ist er ungültig, erscheint ein roter, gibt es Entwarnung. Nur bei zwei Streifen ist der Test positiv“, demonstriert sein Kollege Rudi Austel. Das passiere aber nur selten. „Zwei, drei Leute seit vergangener Woche.“ Was den Johannitern aufstößt, ist die Einreiseanmeldung. Gestern habe die Bundespolizei gesagt, das brauchten nur Lkw-Fahrer, heute sei eine andere Streife da und es gelte auf einmal für alle. Falatek beharrt: Wer sich unter 24 Stunden in Tschechien oder Deutschland aufhalte, benötige das laut Merkblatt eigentlich nicht. Ihn betreffe es ja auch. „Die müssen schon eine klare Ansage machen“, sagt er in Richtung Polizei. Es ist bei Weitem nicht das Einzige, was kompliziert ist an der Grenze. Die Corona-Bestimmungen seien eine verwirrende Vielfalt an unterschiedlichen Dokumenten, räumt Fiedler ein. Eigentlich, sagt er, sei die Bundespolizei für diese „Landeseindämmungsverordnungen“ nicht zuständig. Auch die Landespolizei leiste lediglich Vollzugshilfe. Das Gesundheitsamt dagegen sei die „originär zuständige Behörde“, weshalb beispielsweise bei der Polizei auch keine Daten gespeichert würden. Allerdings könne das Gesundheitsamt zwar Bußgelder verhängen, habe aber kaum Vollzugsmöglichkeiten. Ob dann wirklich auch Bußgelder erhoben werden, erführen die Beamten meist nicht. Regionen sind stark verflochten: „Man staunt immer wieder, wie Sachsen und Tschechien verwoben und wirtschaftlich verflochten sind“, so der Polizeioberkommissar. „Es gibt so viele Lebens-Sachverhalte, die in keine Verordnung Eingang finden, weil man sich das einfach nicht vorstellen kann“, philosophiert Fiedler, dessen Frau selbst in einem von Corona betroffenen Altenheim arbeitet. Kürzlich ist er einem Tschechen begegnet, der nach Klingenthal gezogen ist, nun aber wieder die demente Mutter in der Heimat betreuen muss. Rund 11 000 Tschechinnen und Tschechen arbeiten mittlerweile in Sachsen. Ohne sie sehe es nicht nur im Gesundheitswesen finster aus. Auch die Filiale einer Drogeriekette in Klingenthal und die Supermärkte bekommen das deutlich zu spüren, seit die Kunden von jenseits der Grenze ausbleiben. Teilweise musste bereits das Verkaufspersonal reduziert werden. Die Grenze existiere für viele Menschen hier unten halt nur noch auf dem Papier, so Fiedler. Supermärkten fehlen Kunden: Der Lockdown im Frühjahr, als die Grenzen dicht waren, hat darum wie ein Schock gewirkt. Und doch – als die Betonblöcke auf der Straße standen, waren die Regelungen zumindest eindeutig: Keiner rein, keiner raus. Bis man sich der wirtschaftlichen Folgen bewusst wurde. Eine Grenzerfahrung im wahrsten Sinne. Dabei ist es gerade mal 35 Jahre her, dass Reisende nach Karlsbad im Zug von Offizieren angeherrscht wurden, wenn sie während der Ausweiskontrolle ihr Frühstücksbrot aßen. Weil die wenigen gegen DDR-Geld umtauschbaren Kronen lieber für Bier, Knödel und Oblaten aufgespart wurden. Vor diesem Hintergrund gleicht die Kontrolle in Klingenthal an diesem Tag eher einem Termin beim verständnisvollen Therapeuten. Am Ende dieses Vormittags sind es rund 20 bis 30 Fahrzeuge, die kontrolliert wurden. Nachmittags soll es weitergehen. Und auch ich komme am Ende ungeschoren davon. Hoffen auf Hilfe von oben: Am Wochenende findet in Klingenthal der Weltcup der Skispringer und Nordisch Kombinierten statt. Ohne Zuschauer. Aber zumindest mit ein paar Gästen für die Hotels. Während die Beamten allmählich einpacken und wegfahren, besucht ein Pfarrer aus der Gegend den Corona-Testcontainer und winkt über die Straße herüber. „Ab März wird es bestimmt besser“, ruft er heiter. Von Roland Herold