Mitten in der schweren SPD-Krise, die durch den plötzlichen Rücktritt von Parteichefin Andrea Nahles am vergangenen Sonntag noch verschärft wurde, hat Sachsens SPD-Chef Martin Dulig einen deutlichen Weckruf gesendet. In einem 10-Punkte-Programm fordert der Ostbeauftragte des SPD-Vorstandes seine Partei auf, den Titel „Volkspartei“ hinter sich zu lassen.
„Der Begriff „Volkspartei“ hängt uns mittlerweile wie ein Mühlstein um den Hals, der uns hinunter in die Vergangenheit zieht“, schreibt Dulig in seiner „Moritzburger Erklärung“ zur Parteierneuerung, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Freitag exklusiv vorlag. Das Thesen-Papier wurde bereits von Dulig an das kommissarische SPD-Führungstrio um Manuela Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel verschickt.
Antworten statt Kompromissen
Im Bestreben, eine Volkspartei alter Prägung zu sein, sei die SPD inhaltlich beliebig und profillos geworden, so Dulig weiter. Nun bestehe die Herausforderung darin, die SPD zu einer neuen „Gesellschaftspartei“ weiterzuentwickeln, die auf die zentralen Zukunftsfragen der Gesellschaft „überzeugende Antworten statt lauer Kompromisse“ finden müsse.
Der 45-jährige Dulig, der auch SPD-Spitzenkandidat für die sächsische Landtagswahl am 1. September ist, fordert in seiner Erklärung, die mit dem Namen seines Heimatortes verknüpft ist, eine grundlegende Neuorganisation der Partei. „Der gute alte Ortsverein wird so nicht mehr überlebensfähig sein“, schreibt er. „In seiner jetzigen Form entspricht er nicht mehr den Beteiligungs- und Kommunikationswünschen moderner, politisch interessierter Menschen, die wir ansprechen wollen.“
SPD muss jünger werden
Die SPD müsse Organisationsstrukturen über lokale Vereinsgrenzen hinweg aufbauen, außerdem eigene digitale Plattformen, um die Partei transparenter, basisdemokratischer und unabhängiger von Facebook, YouTube oder Instagram zu machen. Außerdem müsse die SPD jünger werden. „Die klassische „Ochsentour“ durch die Parteiinstanzen als das Maß aller Dinge muss ein Ende haben“, schreibt Dulig. Er fordert nicht nur eine Frauen-, sondern auch eine Jugendquote bei der Besetzung von Ämtern.
Außerdem wirbt der sächsische Wirtschaftsminister und Vizeregierungschef der schwarz-roten Koalition im Freistaat für eine neue Haltung seiner Parteifreunde. „Das wehleidige Lamento, dass die Menschen nicht würdigten, was wir für sie tun, muss aufhören“, schreibt er. Wenn Leistungen der SPD nicht gewürdigt würden, heiße das nur, dass die Partei sie nicht eindeutig genug kommuniziert habe. Und er mahnt: „Nie wieder dürfen wir in den Geruch kommen, dass es uns letztlich nur um Posten und persönliche Eitelkeiten geht“.
Von André Böhmer und Andreas Niesmann