Seit 2015 rettete der Verein Sea-Watch, eine zivile Initiative, 37 000 Menschen vorm Ertrinken im Mittelmeer. Allerdings, so dokumentierte der Verein, ertranken allein vergangenes Jahr 2275 Menschen. Beim dritten Oschatzer Dialog diskutierten Marian Wendt, CDU-Bundestagsabgeordneter und Tamino Böhm, engagiert bei Sea-Watch, im E-Werk – und sechs der 25 Besucher.
Böhm gab Einblicke in den Seenotretteralltag, erklärte dass Sea-Watch im Zuge der Kriminalisierung seines Tuns mehr Zeit in juristische Auseinandersetzungen denn in die Kernaufgabe investiere („Ich erlebe den deutschen Staat da als sehr blockierend.“). Wendt hielt dagegen, es müsse mehr getan werden, um Menschen von der Flucht übers Wasser abzuhalten. „Ich verteufle nicht das Engagement von Sea-Watch. Allerdings vertrauen Geflohene zu oft dubiosen Schlepperorganisationen. Diese müssen bekämpft werden“. Jeder habe Recht auf „professionelle Rettung“. Barbara Scheller schüttelte den Kopf angesichts dessen: „Es geht um Menschenleben. Da ist die Frage nach Professionalität zweitrangig.“
Auf die Frage Janin Gjokajs, was getan werde, um Flucht zu verhindern, verwies Wendt auf Aufklärungskampagnen und die Bekämpfung von Fluchtursachen vor Ort. Tamino Böhm strafte dies als „Lippenbekenntnis“ ab, nach wie vor sei der Export von Waffen lukrativer für die Bundesregierung. Dr. Peter Grampp sprach von der „gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für das Ertrinken“: Staaten der Europäischen Union (EU), Seenotretter, Fluchtländer – alle schöben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. „Die so oft gepriesene Solidarität herrscht zwar für Unternehmen, die Steuerflucht begehen, im Mittelmeer hört sie aber auf“.
Ingo Schneider monierte Tatenlosigkeit und das „Verstecken der EU-Staaten hinter gemeinsamen Zielen“. Anstatt nur zu reden, solle man als einzelnes Land „vorpreschen“ um etwas zu ändern. Wendt warf hier ein, es fehlten gesetzliche Rahmenbedingungen, um Kompromisse mit den Fluchtländern zu erringen – wer dort handle, mache sich ebenso strafbar.
Janett Rohnstock wandte ein, dass die Perspektive für Gerettete in Deutschland vielfach nicht gegeben sei. Der Glaube, alle integrieren zu können, sei angesichts fehlender Sprachkurse, nicht anerkannter Zeugnisse, fehlender Arbeitserlaubnis und weiterer Bürokratie „utopisch“.
Marian Wendt verwies darauf, dass ab 2015 mehr Menschen aufgenommen als zurückgeschickt wurden. „Zuvor war das Verhältnis umgekehrt.“ Wenn man nun weiterhin Menschen aufnehme, schmälere das die Akzeptanz der Partei beim Wähler. „Schließlich sind wir nicht für die Interessen eines Einzelnen gewählt, sondern als Vertreter für das gesamte Volk.“
Anja Kohlbach konterte, verantwortliche Politik solle sich nicht Europakritikern und ihrer Meinung unterwerfen, die von einer Minderheit vertreten werde. „Wo die AfD ein Viertel der Wählerstimmen erhalten hat, vergisst man oft, dass 75 Prozent andere Alternativen wählten.“ Die Kriminalisierung der Seenotrettung nannte sie „unerträglich“, ebenso die Tatsache, dass deutsche Steuerzahler die Prozesse gegen Retter mitfinanzieren.
Von Christian Kunze