Alt und verschuldet: Brandis verkauft kommunale Wohnhäuser

Die Brandiser Wohnstätten (BWS), eine 100-prozentige Tochter der Stadt, soll verkauft werden. Einer achtzeiligen Meldung im dieser Woche erschienen Brandiser Stadtjournal war zu entnehmen, dass der Stadtrat Bürgermeister Arno Jesse in nicht öffentlicher Sitzung am 15. Dezember beauftragt hat, „mit kommunalen und genossenschaftlich organisierten Anbietern in verbindliche Verkaufsverhandlungen zu treten“. Zwölf Stadträte sprachen sich dafür aus, drei dagegen. Zuvor hatte der Stadtrat den Jahresabschluss 2019 der BWS zur Kenntnis genommen. Lesen Sie auch Das sind die größten Baustellen auf dem Brandiser Wohnungsmarkt Prüfauftrag schon 2019 ausgelöst: Auf dem Tisch liegt dieses Thema bereits seit 2019. Damals hatte der Stadtrat ebenfalls hinter verschlossenen Türen entschieden und mit dürren Zeilen im Stadtjournal kommuniziert, ein so genanntes „Interessenbekundungsverfahrens zum Verkauf von Gesellschafteranteilen der beiden städtischen Wohnungsgesellschaften“ – der Brandiser Wohnstätten und der Beuchaer Bau- und Wohnungsgesellschaft – „als Teilschritt zur Entscheidung für die zukünftige Entwicklung der beiden Wohnungsgesellschaften“ einzuleiten. Heißt: Man wollte mittels eines „unverbindlichen Prüfauftrages“ den Stand der Gesellschaften am Markt ausloten. Sanierungsstau und Schulden: Hintergrund ist der Instandhaltungs- und Modernisierungsbedarf, „der uns zwingt“, so Jesse damals, „als Stadt aktiv zu werden“. Es gehe um nicht weniger als „um die Zukunftssicherung der Wohnungen“. Insbesondere die BWS machte der Stadt Sorgen: „Sie ist hochverschuldet und hat einen enormen Sanierungsstau.“ In der LVZ sprach Jesse damals von sieben Millionen Euro für beide Gesellschaften, wobei das Gros die BWS betrifft. Zum aktuellen Stand sagt Jesse auf LVZ-Nachfrage: „Der Sanierungsstau hat sich sogar erhöht, da ja keine Sanierungsaktivitäten stattfanden. Auch an der Schuldensituation hat sich seitdem substanziell nichts geändert.“ Als die BWS im Oktober 2020 ihr 30-jähriges Bestehen feierte, berichtete Prokuristin Gabriele Gaffron, dass für Sanierungen gerade einmal 20.000 Euro monatlich zur Verfügung stünden – ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die letzten große Sanierungsmaßnahmen fanden 1993 und 1995 statt. Wir haben ein Ausstattungsniveau aus dem vorigen Jahrhundert.“ Erst im vergangenen Jahr wurden wieder einige wenige Wohnungen saniert. Zur Finanzierung wurden zwei Objekte, Mehrfamilienhäuser in Brandis und Polenz, verkauft. Fusion und Zuschuss waren weitere Optionen: Neben der Verkaufsvariante sollte die Stadtverwaltung auch noch zwei andere prüfen. Die erste: ein Zuschuss aus dem städtischen Haushalt. „Wir nehmen jährlich eine halbe Million über die Dauer von fünf Jahren und geben sie in die BWS, um den Sanierungsstau aufzuheben“, beschrieb Jesse diese in der 9. Online-Bürgersprechstunde im September 2020. „Das ist kritisch, weil dieses Geld an anderen Stellen fehlt.“ Die zweite Möglichkeit wäre eine Fusion, meinte er mit Blick auf die Beuchaer Bau- und Wohnungsgesellschaft, weil „für eine kleine Stadt wie Brandis zwei Gesellschaften nicht sinnvoll sind“. Kreis der Verhandlungspartner beschränkt: Warum der Kreis der Verhandlungspartner nun auf kommunale oder genossenschaftlich organisierte Anbieter beschränkt wurde – womit theoretisch ja auch die Beuchaer Bau- und Wohnungsgesellschaft in Betracht käme –, dazu wollte sich Jesse mit Verweis auf die nicht öffentliche Sitzung nicht äußern: „Der Beschluss vom Dezember ist ein reiner Handlungsauftrag, nun konkret auf die Interessenten aus dem unverbindlichen Interessensbekundungsverfahren zuzugehen, um ein verbindliches Angebot zu erhalten. Über dieses Ergebnis wird dann selbstverständlich öffentlich beraten und gegebenenfalls beschlossen.“ Da der Januar-Stadtrat Corono-bedingt ausfällt, stellt der Bürgermeister das für die Februar-Sitzung in Aussicht– voraussichtlicher Termin ist der 23. Februar. Öffentlichkeit erst bei Ergebnisdiskussion: Noch in besagter Online-Bürgersprechstunde hatte Jesse in Bezug auf die Variantendiskussion zugesichert: „Wir werden das in diesem Jahr auch öffentlich machen.“ Nun soll also erst das Verhandlungsergebnis öffentlich diskutiert werden. Ein Blick in die sächsische Gemeindeordnung zeigt, dass dieses Vorgehen zumindest grenzwertig ist: Dort schreibt der Paragraf 11 „Unterrichtung und Beratung der Einwohner“ vor, dass Einwohner „über Planungen und Vorhaben der Gemeinde, die für ihre Entwicklung bedeutsam sind oder die die sozialen…. oder wirtschaftlichen Belange ihrer Einwohner berühren, … frühzeitig und umfassend zu informieren“ sind. Und was die BWS anbelangt, sind die sozialen und wirtschaftlichen Belange von Mietern in über 530 BWS-eigenen Wohnungen und weiteren 337 im Auftrag verwalteten berührt. Die Mieter müssen nun darauf vertrauen, das die Stadt in ihrem Sinne verhandelt. Immerhin war damals in das Interessenbekundungsverfahren eine Sozialcharta implementiert worden sowie weitere Forderungen zum Mieterschutz und eine Investitionsverpflichtung. „Genau das wollen wir ja: ein Mietangebot zu moderaten Mieten, um unserer sozialen Verpflichtung gerecht zu werden in Wohnungen, die unserem heutigen Standard entsprechen“, hatte der Bürgermeister damals im LVZ-Interview betont. Von Ines Alekowa