Quarantäne-WG aus Leipziger Südraum löst sich auf

Sie waren Anfang März nach Ischgl aufgebrochen, um ein paar unbeschwerte Tage im Schnee zu verbringen. In dem österreichischen Skiort fingen sie sich rasch das neuartige Coronavirus ein. Um ihre Familien daheim nicht in die totale Isolation zu treiben, beschlossen die acht Männer aus Leipzig und Umgebung, nach ihrer Rückkehr aus Tirol eine Quarantäne-Wohngemeinschaft aufzumachen. Im Haus von Heiko in Böhlen-Großdeuben kurierten sie sich aus, warteten zwei Wochen lang darauf, Corona-negativ zu werden. Mit Erfolg. Inzwischen ist die WG-Zeit passé. Ein Interview mit dem Leipziger Sven Gerasch (50), Unternehmer in der Finanzbranche, über die Folgen von Ischgl und das Leben nach der Abschottung. Ihre WG haben Sie aufgelöst, die Quarantäne-Phase ist beendet. Wie ging die Befreiung vonstatten? Der letzte von uns acht WG-Bewohnern ist am Sonntag raus. Ich war der erste, ich durfte schon am Donnerstag voriger Woche ab 0 Uhr das Haus verlassen. Das Gesundheitsamt der Stadt Leipzig wollte mich noch am selben Tag in der Corona-Ambulanz in der Bornaischen Straße sehen. Dort habe ich mich gleich um 8 Uhr einem weiteren Test unterzogen und bin danach sofort zurück in die WG. Am Freitagmorgen kam dann die telefonische Benachrichtigung durch das Labor, dass ich Corona-negativ bin. Seit dem 27. März bin ich also wieder ein freier Mensch (lacht). Das habe ich inzwischen auch schriftlich; was mir wichtig war, weil meine Mutter als Krebspatientin einer Risikogruppe angehört. Um sie will und muss ich mich jetzt wieder kümmern. Das tägliche LVZ Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Leipzig täglich gegen 19 Uhr im E-Mail-Postfach Nicht alle aus Ihrer Gruppe stammen aus Leipzig. Wie liefen die Tests bei den WG-Genossen ab? Einer von uns lebt in Sachsen-Anhalt. Er ist wie wir Leipziger ebenfalls getestet worden. Und auch er ist negativ. Das Gleiche gilt für die drei Mitbewohner aus dem Landkreis Leipzig. Welchen Empfang gab’s daheim? Sie können sich denken, dass die Freude groß war. Neben meiner Mutter braucht auch meine Frau ein bisschen Unterstützung. Sie hat sich während meiner Quarantäne ein Bein gebrochen. Nun galt für Sie seit Mitte März ein Sonderstatus. In der Zwischenzeit hat sich draußen viel getan. Ihre ersten Eindrücke? In der WG haben wir in unserer eigenen kleinen Welt gelebt. Wir haben uns super verstanden, unsere grippeähnlichen Wehwehchen mannhaft auskuriert, dabei trotzdem Spaß gehabt. Es wurde viel gespielt, gelacht, oft zusammen gekocht, manchmal auch etwas zu viel getrunken. Im Großen und Ganzen haben wir von den Ängsten in der Bevölkerung nicht viel mitbekommen. Seit ich wieder in Leipzig-Thekla bin, überrascht es mich, wie verrückt doch die große Welt geworden ist. Woran denken Sie? Ein Bekannter hat eine Dachdeckerfirma. Einer seiner Mitarbeiter kommt nicht mehr – aus Furcht, sich während der Arbeit zu infizieren. Dann erzählte mir jemand etwas von einer Million Tote in Deutschland, auf die wir zusteuern. Ich bin verblüfft über diese Panikstimmung innerhalb der Bevölkerung. Die hatte ich so nicht erwartet. Dagegen war unsere Quarantäne-Welt geradezu heil. Sie sind in gewisser Weise fein raus, Sie haben es hinter sich. Trotzdem gelten ja auch für uns die allgemeinen Ausgangsbeschränkungen. Wir können jetzt nicht so tun als wäre nix. Gut, wir werden nicht mehr krank, aber auch wir könnten uns das Virus wieder einfangen und an andere weitergeben. Das wollen wir natürlich nicht. Einige aus der WG sind wie Sie unternehmerisch tätig. Wie sehr trifft Sie Corona geschäftlich? Natürlich fragen auch wir uns, wie lange dieser Ausnahmezustand andauert, wie lange unsere Wirtschaft so etwas Außergewöhnliches verkraftet. Die Frage, ob wir den Lebensstandard, den wir vor der Ischgl-Reise hatten, werden halten können, bereitet uns schon Sorgen. Und die Freunde unter uns, die als Arbeitnehmer ihre Brötchen verdienen, lachen über Kurzarbeitergeld ganz bestimmt auch nicht. Die finanziellen Folgen der Krise für jeden einzelnen, egal ob selbstständig oder angestellt, sind überhaupt noch nicht absehbar. Hoffentlich geht alles gut. Sie könnten sich ja hin und wieder in WG-Stärke treffen und die Zeiten der vergleichbaren Unbeschwertheit hochleben lassen. Vorstellbar? Das haben wir vor. Wir sind auseinandergegangen mit dem festen Vorsatz, bei unserem Gastgeber Heiko einmal im Viertel- oder zumindest Halbjahr zusammenzukommen, etwas zu kochen, zu trinken und dann einen gemütlichen Spieleabend zu machen. Es mag komisch klingen, aber die Quarantäne-Zeit hatte ihr Gutes. Wir sind zu einer verschworenen Truppe geworden. Und wir hatten viele, viele Freunde, die sich rührend um uns gekümmert haben, die uns versorgt haben mit allem, was nötig war. Diesen Menschen gebührt unser herzlicher Dank. Wir werden sie, sobald das Versammlungsverbot aufgehoben ist, zu einem großen Fest einladen. Alles zum Thema lesen Sie hier Von Dominic Welters

Corona und die Folgen - Quarantäne-WG aus Leipziger Südraum löst sich auf