Das Bach-Museum in Leipzig wird digitaler und inklusiver

„Es war zweifellos ein ungewöhnliches Jahr“, blickt Kerstin Wiese, die Leiterin des Bach-Museums, auf 2020 zurück. Doch trotz längerer Schließzeit, der Verschiebung von Ausstellungen und einem Rückgang der Besucherzahlen um 35 000 habe das Corona-Jahr durchaus auch Möglichkeiten geboten. „Wir konnten vor allem der konzeptionellen Arbeit mehr Aufmerksamkeit widmen, die sonst neben den alltäglichen Aufgaben leider oft zu kurz kommt.“ Museumspädagogische Programme und digitale Angebote wurden überarbeitet: Während der vordergründige Museumsbetrieb im Frühjahr und nun im Herbst/Winter mehrere Monate ruhte, wurde hinter den Kulissen eifrig weitergearbeitet. Besonders die museumspädagogischen Programme und digitalen Angebote sind überarbeitet und weiterentwickelt worden. Herausgekommen ist dabei unter anderem ein interaktiver Stadtspaziergang für Schulklassen, der unabhängig von der Corona-Situation draußen stattfinden kann, und die Kinder auf eine Reise zu verschiedenen Bach-Wirkungsstätten in Leipzig schickt, bei der sie zugleich Unterschiede zwischen dem damaligen und heutigen Stadtbild kennenlernen. In Zusammenarbeit mit den Klangkünstlern Erwin Stache und Knut Müller wurde für die Dauerausstellung des Museums eine interaktive Komponierstube entwickelt, die aus einem Komponiertisch und Liedgerät besteht. Auf dem Komponiertisch befinden sich Gegenstände aus Bachs Alltag (etwa eine Uhr oder Tabakdose), die angehoben, bewegt und so zum Klingen gebracht und beliebig kombiniert werden können. Am Liedergerät können mit „Wortkarten“ Wörter zu einem Lied zusammengefügt werden. Es kann zwischen Tonsystemen (Dur, Moll, Halbtonleiter) und Frauen- bzw. Männerstimme (oder beiden) gewählt werden. In digitaler Hinsicht wurden vor allem die Angebote auf der Homepage ausgebaut. Neben einem Online-Schreibkurs in Kurrentschrift, die übrigens auch Bach benutzte, und an der Interessierte sich versuchen können, lässt sich das Bach-Museum dank einer Virtual-Reality-Tour nun auch von zu Hause aus erkunden. Ein weiteres Projekt: Für die historischen Tasteninstrumente im Sommersaal wurden Videos produziert, in denen die Funktionsweise von Cembalo, Truhenorgel und Co. erklärt und Klangproben gegeben werden. Lehrkräfte können diese Videos nun beispielsweise in ihrem Unterricht einsetzen. Musikvermittlung soll stärker in den Fokus rücken: Auch die eigene Museums-App wurde in der Corona-Pause überarbeitet. Während die Entwicklung einer speziell auf Kinder zugeschnittenen Museumstour im Laufe des nächsten Jahres noch in Planung ist, sind in der App bereits jetzt deutlich mehr Beispiele Bachscher Musik zu hören. Denn besonders auf der Musikvermittlung soll künftig ein größeres Augenmerk liegen, wie Museumsleiterin Wiese betont. „Als Bach-Museum sind wir auch ein Musik-Museum. Und da an vielen Schulen ein Mangel an Musiklehrkräften herrscht und im Unterricht nur wenig gesungen wird, möchten wir das aktive Musizieren verstärkt in unsere Programme packen.“ Je nach Altersstufe würden daher Rhythmusspiele, Bodypercussion oder das Ausprobieren von Instrumenten angeboten. Ziel sei es, einen niederschwelligen Zugang zur Musik zu schaffen und den Kindern und Jugendlichen das eigenständige Musizieren näher zu bringen. Da dies im direkten Austausch oft einfacher gelingt, sollen persönliche Vermittlungsangebote vor Ort – trotz aller Digitalisierung – nicht ersetzt werden, sondern sobald wie möglich wieder stattfinden. „Wir sehen digitale Angebote als wunderbare Ergänzung, um die Beschäftigung mit einem bestimmten Thema auszuweiten“, erklärt Wiese. Inzwischen könne man daher viel mehr Inhalte des Bach-Museums von zu Hause erfahren. Eine Gefahr, dass die Menschen deshalb gar nicht mehr ins Museum kommen, sieht die Museumsleiterin nicht. Ganz im Gegenteil: „Die Erfahrung zeigt, dass die Leute sogar eher zu uns kommen, wenn sie mehr wissen. Weil sie sich die Dinge dann auch real vor Ort anschauen möchten.“ Besucher können Komponist spielen: Denn nicht nur digital, sondern auch in der Ausstellung selbst, hat sich einiges getan. So wurde das bisherige Filmkabinett in eine interaktive Komponierstube umgewandelt. Hier können Besucherinnen und Besucher zukünftig selbst in die Rolle des Komponisten schlüpfen und mit Hilfe von Geräuschen und Wörtern ein eigenes Lied kreieren. Damit auch Menschen mit Beeinträchtigungen diese Möglichkeit haben, ist die Komponierstube – wie viele andere Angebote auch – mit Brailleschrift versehen. Inklusionsprojekt für Menschen aus Autismus-Spektrum: Bereits seit 2010 wird das Bach-Museum Schritt für Schritt zu einem inklusiven Museum umgebaut. In diesem Jahr startete das Museum ein Pilotprojekt für Menschen aus dem Autismus-Spektrum, wofür es mit dem sächsischen Inklusionspreis ausgezeichnet wurde. Um eine Überforderung zu vermeiden, erhalten diese Menschen bereits im Voraus zahlreiche Informationen zu ihrem Museumsbesuch (z. B. in welchem Raum es keine Fenster gibt, wann es besonders voll ist) und können sich so eine Tour individuell zusammenstellen. Von Simon Ecker