Stefan Weppelmann, neuer Direktor des Leipziger Bildermuseums: „Die Werke gehören den Besuchern“

Seit dem 1. Januar ist Stefan Weppelmann (51) neuer Direktor des Museums der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig. Mit „Gesichter der Renaissance“ in Berlin oder Pieter Bruegel in Wien machte er spektakuläre Ausstellungen. Im Interview spricht er über seine Ansprüche an das Museum und den „Liebeszauber“, den er seit einem Besuch in Leipzig bei sich hat. Sie sind seit einer guten Woche an Ihrem neuen Arbeitsplatz. Wie surreal fühlt sich das noch an? Einmal am Tag muss ich um das Museum laufen, um mir zu versichern, dass ich das jetzt wirklich bin, der in dieses Gebäude reingeht. Ich versuche so, ein wenig Abstand zu bekommen, von mir selbst zurückzutreten. Und dann schaue ich wieder neu auf die Dinge. Welche Beziehung hatten Sie zu Leipzig, bevor Sie sich als Museumsdirektor beworben haben? Anfang der 90er Jahre habe ich als Student eine Reise nach Mitteldeutschland gemacht, weil ich die Orte sehen wollte, die ich vorher nicht besuchen konnte. Ich wollte mal nach Weimar, nach Dresden, nach Dessau. Ich wollte sehen, wo Schiller seine Gedichte geschrieben hat, warum Goethe meinte, dass er sich sein Leipzig lobt, und was es mit diesem Plenzdorf auf sich hat, dessen Roman „Die neuen Leiden des jungen W.“ ich in der Schule lesen musste. W., das war irgendwie auch ich, der diese Reise machen wollte. Die Sache mit dem „Liebeszauber“: Hat dieser junge Weppelmann dann auch das Museum der bildenden Künste besucht? Ja, damals war es noch im Gebäude des ehemaligen Reichsgerichts. Ich erinnere mich noch ziemlich gut, wie ich erstaunt war, dass in diesem wuchtigen Gebäude so eine dichte, vielgestaltige, auch kleinteilige Kunstsammlung untergebracht war. Ich habe mir Kunstpostkarten gekauft. Und die habe ich jetzt über die Weihnachtszeit auf dem Dachboden gesucht, weil ich diese Reise noch einmal nachvollziehen wollte. Wovon hatten Sie Postkarten? Unter anderem vom „Liebeszauber“, den ich durch meine Studentenzeit mit mir rumgetragen habe. Es geht auf dem kleinen Bild darum, dass man im Leben von etwas verzaubert wird, dass man sich etwas wünscht. Und nun sind Sie hier. Bevor sich Leipzig für Sie entschieden hat, mussten Sie sich für Leipzig entscheiden. Wie haben Sie das für sich rausgefunden? Ich bin ihm Dezember 2019 hingefahren. Die Stadt wirkte fast idyllisch, nicht nur wegen des Weihnachtsmarkts. Ich war beeindruckt vom Museumsgebäude mitten in der Stadt – mit seiner Architektur, den Öffnungen und dem pulsierenden Charakter. Die Möglichkeiten, hier Kunst zu inszenieren, haben mich echt geflasht. Ich bin dann zwei Tage von früh bis spät durch die Räume gelaufen, dachte: entweder spricht das hier zu mir oder nicht. Hat es offenbar. Ja, es war viel von dem da, was ich mir wünsche. Ich habe ja viel mit Altmeister-Sammlungen gearbeitet, hier war nun ein Bestand mit Grafik, Fotografie, Skulptur, Malerei – und dieser reicht vom 14. Jahrhundert bis zur gerade eben erst entstandenen Kunst! Ein riesiges Potenzial. Ich habe in meinen Ausstellungen immer gezeigt, dass die so genannten Alten Meister nicht im Museum enden, sondern mit ihren Bilderfindungen ungeheure Kraft für die Gegenwart haben. Denn sie sind ja mit dem, was aktuell produziert wird, untrennbar verbunden. Erinnern ist, obwohl es so rückwärtsgewandt klingt, eigentlich ein in die Zukunft gerichteter Prozess. Eine Stadtgesellschaft sammelt Kunst und baut sich ein Museum selbstbewusst ins Zentrum, weil sie fest an ihre Zukunft glaubt. Ich habe das Gefühl, in eine wachsende, dynamische, jugendliche Stadt zu kommen, die die Zukunftsidee lebt. Vor meinem Besuch war das einfach eine Ausschreibung. Als ich zurückkam, dachte ich: Ich sollte mich echt kümmern, dass ich diese Stelle bekomme. Stefan Weppelmann wurde 1970 im westfälischen Dülmen geboren. Er promovierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er arbeitete unter anderem am LWL-Museum für Kunst- und Kultur in Münster sowie an einer gemeinsamen Forschungsstelle der Universität Florenz und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz. Zudem absolvierte er einen Forschungsaufenthalt am Metropolitan Museum of Art in New York. Ab 2003 arbeitete er an der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen Berlin als Kurator für italienische und spanische Malerei der Renaissance. Von 2015 bis 2020 war Weppelmann Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien. Am Museum der bildenden Künste in Leipzig ist er Nachfolger des Österreichers Alfred Weidinger, der im April 2020 nach nur zweieinhalb Jahren Amtszeit an die Oberösterreichischen Landesmuseen in Linz gewechselt war. Was ja geklappt hat. Sie werden mit der großen eigentlich schon früher geplanten Ausstellung des in Leipzig geborenen Fotokünstlers Andreas Gursky wiedereröffnen, außerdem ist eine Schau zu Caspar David Friedrich und der Düsseldorfer Malerschule geplant. Wie geht das Programm weiter? Zum einen wissen wir noch nicht, wann es wieder losgeht, und zum anderen möchte ich mich erst mit meinem Team austauschen. Was meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mir zu sagen haben, ist viel wichtiger als das, was ich ihnen zu sagen habe. Über das Programm und die Dauerausstellung werden wir gemeinsam sprechen. Das wird nicht das Stefan-Weppelmann-Museum, sondern das der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt. Wichtig ist mir auch: Ein Programm ist nicht nur ein Ausstellungs- sondern auch ein Forschungs- und ein Bildungsprogramm, mit dem wir auch fragen: Wie können wir in Bereiche der Stadt wirken, wo ein Museumsbesuch für die Menschen etwas Neues, Überraschendes sein kann, wie können wir zur Lebensqualität in ganz Leipzig beitragen. „Die Werke gehören den Besuchern“: Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste, das ein Museum erreichen sollte? Dass Bindungen entstehen. Ein Kunstwerk geht nicht weg, flimmert nicht – außer es handelt sich um Videokunst. Was sich verändert, bin vielleicht ich selbst, der Betrachter, die Betrachterin. So kann es gelingen, dass man mit den Kunstwerken durch seine eigene Zeit lebt. Denn wem gehören die Werke? Sie gehören den Besuchern, die sie anschauen, sich auf sie einlassen, mit ihnen nach Hause gehen. Wir können uns Werke aneignen, daraus über uns selbst lernen. In Wien konnte ich noch die momentan geschlossene Ausstellung „Beethoven bewegt“ mit organisieren. In einem Raum geht es darin um die originalen Noten, Grafiken von Jorinde Voigt und um die Musik Beethovens. Ich habe einen Besucher beobachtet, wie er eine halbe Stunde zugehört, die Augen geschlossen und immer wieder mal geöffnet hat, um die Kunstwerke anzusehen. Solche Momente sind mir wichtiger, als zu sagen: Bei der Bruegel-Ausstellung hatten wir Tausende Besucher. „Man hat hier erkannt, was Kultur bedeutet“: Wie beurteilen Sie die finanzielle Ausstattung des MdbK? Ich bin froh, dass die Kultur so einen starken Stellenwert in Leipzig hat. Natürlich müssen wir mit den Handlungsspielräumen auskommen, die die Stadt hat. Und als städtische Bedienstete haben wir auch eine Querverantwortung: Die Gelder, die wir ausgeben, können andere – Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Straßenbau und so weiter – nicht verbrauchen. Das MdbK ist verglichen mit anderen Museen in vergleichbaren Städten ein gut finanziertes und gut ausgestattetes Haus. Es ist hier keine Mängelverwaltung. Man hat hier erkannt, was Kultur bedeutet und zur Stadt beitragen kann. Kann das Museum selbst Spielräume erweitern? Ja. Indem wir ein professionelles, strategisch ausgerichtetes und personell unterlegtes Fundraising aufbauen – nicht nur für einzelne Ausstellungen, sondern auch für Forschungs- oder Vermittlungsprojekte. „Offene Membran zur Stadt“: Viele Leipziger nennen Ihren Arbeitsplatz „Bildermuseum“. Mögen Sie das? Es ist vielleicht nicht der Begriff, der das Herz des Museumsdirektors höherschlagen lässt, weil ja „Bilder“ nicht das einzige Medium sind, das wir zeigen. Aber wenn man bildtheoretisch rangeht, dann ist es am Ende immer ein Bild, das im Kopf entsteht, auch wenn wir eine Skulptur ansehen. Ich bin mit dem Begriff nicht auf Kriegsfuß. Wie etwas heißt, ist schon wichtig, aber wichtiger ist der Ort, die Architektur dieses Hauses mit seiner offenen Membran zur Stadt. Alle betonen, wie wichtig heute Provenienzforschung ist, also die Klärung der – öfter ja problematischen – Herkunft der Bilder. Im vergangenen Jahr ist dazu im Museum ein über mehrere Jahre immer wieder verlängertes Projekt ausgelaufen, jetzt gibt es eine Leerstelle. Ist dieser Zustand tragbar? Es wird und muss weitergehen. Es ist keine Option, die wir haben, Provenienzforschung ist notwendig und sollte – jenseits von Projektförderung – verstetigt betrieben werden, vergleichbar mit einer Kuratorenposition. Nochmal zu Ihnen: Wie viel Westfale steckt in Stefan Weppelmann? Ich fürchte: 100 Prozent. Man wirft den Westfalen oft vor, sie seien stur. Ich versuche manchmal, das zu überwinden, aber ich denke auch, es ist ok, seine Herkunft als positives Asset mit sich herumzutragen. Von Jürgen Kleindienst