Studie zeigt: Lebensstil und Umwelt bestimmen maßgeblich, wie alt man wird
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Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller ist Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) an der Universität Leipzig.
© Quelle: Stefan Straube
Leipzig. Als Datenquellen der dreijährigen Studie dienten vor allem die Todesursachenstatistik, Befragungsdaten und Krankenkassen-Routinedaten. Im Interview erklärt Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) an der Universität Leipzig, wie einige Ergebnisse der Studie zu werten sind.
Wie eine Studie zeigt, ist die Krankheitslast bei Frauen und Männern unterschiedlich. Kopfschmerzen und Demenzen sind bei Frauen häufiger als bei Männern. Männer wiederum haben höhere Belastungen durch Lungenkrebs oder Alkoholmissbrauch. Liegt das an der biologischen oder an der sozialen Ungleichheit von Frau und Mann?
Prof. Riedel-Heller: Sowohl als auch. Es ist zu sehen, dass es bei den häufigsten Erkrankungen keine großen Unterschiede gibt. Koronare Herzkrankheit und Schmerzen im unteren Rücken liegen bei Frauen und Männern vorn.
Dann gibt es aber geschlechtsspezifische Differenzierungen, wie die Kopfschmerzerkrankungen und Demenzen bei den Frauen und Lungenkrebs und alkoholbezogene Störungen bei den Männern. Ich denke, dass hier die Unterschiede der Geschlechter bezüglich des Lebensstils, des Risikoverhaltens, der Ernährung und des Gesundheitsbewusstseins zum Tragen kommen. Und das hat durchaus biologische und zugleich soziale Ursachen.
Wie meinen Sie das?
Es gab einmal eine Kloster-Studie. Darin wurde das Leben von Nonnen und Mönchen untersucht mit dem Ergebnis, dass es bei ihnen nur geringe Unterschiede im erreichten Lebensalter gibt – in der Gesellschaft außerhalb der Klostermauern aber durchaus. Frauen werden heutzutage in Deutschland im Durchschnitt 83,4 Jahre alt, Männer 78,5.
Woran liegt das? Am Lebensstil. Im Kloster wird ohne Stress und Ausschweifungen diszipliniert gearbeitet und gelebt. Das traf für die Mönche und die Nonnen gleichermaßen zu. Die Lebensbedingungen beider sind vergleichbar, bis hin zur Ernährung. Wenn man außerhalb dieser Gebäude sozusagen hemmungslos arbeiten und leben kann, tritt die Risikobereitschaft der Männer – ob beim rasanten Autofahren, beim Alkoholtrinken, Rauchen oder bei den anderweitigen riskanten Aktivitäten – deutlicher zu Tage.
Natürlich gibt es überall Ausnahmen, aber viel Frauen übernehmen Verantwortung für gesundheitliche Belange der gesamten Familie. Sie haben eine traditionelle Fürsorgerolle. Was am Ende auch den Männern zugutekommen kann, wenn sie verheiratet sind.
https://youtu.be/kyQNwpER24U
Laut der Studie machen Kopfschmerzen und Alkoholfolgen vor allem in der Altersgruppe der Berufstätigen Probleme. Welche Schlussfolgerungen sollten Krankenkassen, Arbeitgeber und Politik daraus ziehen?
Ich würde erst einmal die Schlussfolgerung ziehen, dass Stress im Beruf und Alltag sich durchaus mit Kopfschmerzen und alkoholbezogenen Störungen in Verbindung bringen lässt. Soweit zu möglichen Ursachen.
Was Krankenkassen und Arbeitgeber betrifft, glaube ich, dass das Problem schon erkannt ist. Denn sowohl die Kassen als auch große Arbeitgeber machen ihren Mitgliedern beziehungsweise Mitarbeitern interessante und nützliche gesundheitsfördernde Angebote.
In höheren Lebensjahren, so mit Mitte 50, steigt die Krankheitslast durch Herzkrankheiten, Lungenprobleme und Diabetes. Ist ja klar: Ein alternder Körper fängt an, nicht mehr richtig zu funktionieren – oder?
Nein, das kann man so nicht sagen. In den meisten Fällen ist es nicht das Altern, das Beschwerden macht. Vielmehr sind die erwähnten Erkrankungen, die typischen Zivilisationskrankheiten, also das Ergebnis des Lebensstils oder anders gesagt: Es sind die Sünden des ganz persönlichen Lebens, die sich bei vielen summieren. Gerade in mittleren Jahren wird ja der Grundstein dafür gelegt, wie gut oder schlecht man ins Alter startet. Und die fitten alten Damen und Herren von heute sind ja der Beleg, dass man durchaus gesund alt werden kann, wenn man sein Leben lang auf Ernährung und Bewegung geachtet hat.
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In einer Grafik der regionalen Verteilung von Krankheiten kann man die gewesene DDR erkennen. Das wird besonders bei den Depressionen deutlich, die es heute im Osten kaum gibt. Dafür gibt es in Ostdeutschland mehr Herzerkrankungen als im Westen. Woran kann das liegen?
Sobald solche Auswertungen von Daten kleinräumig werden, muss man aufpassen. Dann da gibt es viele Einflüsse, wie Risikoprofile oder die regionale medizinische Versorgungssituation. Also will ich das einmal ganz vorsichtig interpretieren. Dass die koronaren Herzkrankheiten in Ostdeutschland stärker zur Krankheitslast beitragen, kann durchaus am Lebensstil hierzulande liegen.
Daten zum Rauchen, zu Adipositas und zum Bewegungsmangel sprechen dafür, dass sich dieser Lebensstil in Herzkrankheiten niederschlägt. Es gibt keine hinreichenden Belege dafür, dass diese Unterschiede versorgungsbedingt sind. Es sind schon die Risikoprofile, die hier zum Tragen kommen.
Anders sehe ich das bei den depressiven Störungen. Hier zeigt sich möglicherweise die unterschiedliche psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsdichte; die ist im Westen höher als im Osten. Es ist also mitnichten so, dass wir mit Blick auf Depressionen Entwarnung für die ostdeutschen Länder geben können. Zudem muss man wissen, dass viele psychischen Störungen unbehandelt sind, bei Depressionen sind das ein Drittel aller Fälle.
Da die Verteilung der Krankheitslast recht kleinteilig erfasst wurde, lassen sich sogar Unterschiede innerhalb eines Bundeslandes erkennen. Beispielsweise kommt COPD im Raum Leipzig deutlich stärker vor als in den anderen Teilen von Sachsen. Kann das sein?
Wie gesagt, wenn es kleinräumig wird, steigt die Schwierigkeit der Interpretation. Man sollte das Zahlenmaterial auch nicht überstrapazieren. Aber durchaus können die Umweltbedingungen in Leipzig einen Einfluss haben, wie viele Menschen hier in der Großstadt an Atemwegserkrankungen leiden.
Deshalb betone ich auch immer: Beim Betrachten von Krankheitsursachen spielen Lebensstil UND Umwelt eine Rolle. Das bedeutet auch für die Prävention: zum einen ist die Verhaltensprävention relevant (Stichwort Lebensstilmodifikation), zum anderen die Verhältnisprävention. Bei letzterer geht es darum, wie wir unsere Lebensumwelt gesundheitsförderlich gestalten, ob es zum Beispiel Radwege gibt, Parks zum Joggen oder erschwingliches Gemüse im Supermarkt. Nur wenn man über die individuelle und engere medizinische Sicht hinaussieht, kommt man der Wahrheit näher.