In Krisenzeiten: Welche Kompetenzen Bewerber jetzt brauchen
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Soft Skills sind für die Zusammenarbeit unverzichtbar.
© Quelle: Campaign Creators/Unsplash
Klima, Corona, Krieg – die Dauerkrisen machen sich inzwischen auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt. In ihrer Analyse haben die Forschenden 48 Millionen deutsche Onlinejobanzeigen untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Deutlich häufiger als vor vier Jahren verlangen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Frustrationstoleranz, Einfühlungsvermögen und eine positive Grundeinstellung von zukünftigen Mitarbeitenden.
Das heißt: Der Umgang mit Gefühlen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Welche Chancen die Veränderungen bergen und wie Stellenausschreibungen in Zukunft aussehen könnten, erklärt Studienleiter Martin Noack, Bildungs- und Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.
Herr Noack, was erwarten Unternehmen heute von Menschen auf dem Arbeitsmarkt?
Das können wir in dem Jobmonitor sehr gut ablesen. Am stärksten nachgefragt wird derzeit die Einsatzbereitschaft. An zweiter Stelle steht Teamfähigkeit und auf Platz drei die Selbstständigkeit. Außerdem gehören Deutschkenntnisse und Verlässlichkeit zu den aktuellen Top 5 der gefragtesten Kompetenzen in Deutschland.
Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang Kompetenzen?
Für unsere Arbeit haben wir den Fokus auf sogenannte transversale Kompetenzen gelegt, also zum Beispiel Soft Skills. Das ist das, was man lernen kann und was hilfreich ist über verschiedene Berufe hinweg – aber auch im Privatleben und im Alltag. Es geht also nicht um fachliche Kompetenzen, wie das Bedienen einer Melkanlage, sondern um Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werte. Dazu zählen zum Beispiel Teamfähigkeit oder Stressresistenz.
Wie sehr haben die Krisen die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt verändert?
Wir leben ja in einer Art Dauerkrisenmodus. Das zeigt sich auch in den Kompetenzen, die einen besonders starken Zuwachs in der Nachfrage erfahren haben. Frustrationstoleranz oder Besonnenheit sind um 71 Prozent angestiegen. Einen ähnlich hohen Zuwachs hat auch das Einfühlungsvermögen. Daraus leiten wir ab, dass der Umgang mit den eigenen Gefühlen in dieser Krise und auch der Umgang mit den Gefühlen anderer auch im Arbeitskontext eine höhere Bedeutung hat.
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Martin Noack ist Bildungs- und Arbeitsmarktexperte bei der Bertelsmann Stiftung.
© Quelle: Jan Voth
Wie wirkt es sich auf die gefragten Kompetenzen aus, wenn mehr Menschen von zu Hause arbeiten?
Statt 4 Prozent haben während der Pandemie 24 Prozent im Homeoffice gearbeitet. Das haben wir auch bei den Kompetenzen gesehen, zum Beispiel bei der Präsentationsfähigkeit, beim Verhandlungsgeschick, beim Selbstvertrauen oder bei den Englischkenntnissen. Der Einbruch von Geschäftsreisen hat bei bestimmten Kompetenzen zum Einbruch in der Nachfrage geführt. Gleichzeitig sehen wir eine große Entwicklung im Bereich digitaler Kompetenzen. Themen wie Datensicherheit oder Umgang mit der eigenen digitalen Identität spielen für die Unternehmen eine immer wichtigere Rolle.
„Kompetenz im Hinblick auf digitale Identität“ – das schreiben Unternehmen ja nicht unbedingt in ihre Stellenanzeigen. Wie finden Sie das also heraus?
Wir haben ein Wörterbuch entwickelt für jede Kompetenz. Insgesamt umfasst das Wörterbuch 16.000 einzelne Suchbegriffe. Diese haben wir in einen Algorithmus eingespielt, der für uns diese Millionen von Stellenanzeigen durchsucht. Für digitale Identität wären das zum Beispiel Begriffe wie „Passwort-Manager nutzen“ oder „Privatsphäre“, aber auch einiges zum Thema soziale Medien, die eine immer wichtigere Rolle spielen.
Sind die Anforderungen der Unternehmen eigentlich sehr ähnlich?
Gerade wenn wir die Regionen betrachten, gibt es spannende Ergebnisse. Im Osten wird Verlässlichkeit zum Beispiel stärker nachgefragt.
Wie erklären Sie sich das?
Das kann mit Werteunterschieden zusammenhängen. Soziologische Studien haben immer wieder gezeigt, dass das Vertrauen den Mitmenschen gegenüber im Osten immer noch weniger stark ausgeprägt ist als im Westen. Es kann auch noch andere Erklärungen geben. Beispielsweise sind in den ländlichen Gebieten im Osten in den letzten Jahrzehnten viele Menschen abgewandert. Wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dort neue Mitarbeitende suchen, dann möchten sie sicherstellen, dass die auch bleiben, weswegen Verlässlichkeit dann vielleicht explizit in die Stellenanzeige geschrieben wird.
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Wir sprechen ja über Kompetenzen, die man lernen kann. Wie genau geht das?
Das hängt von der Kompetenz ab. Eine Nachfrage zum Beispiel, die ebenfalls stark gestiegen ist, bezieht sich auf Deutschkenntnisse. So etwas kann man natürlich wunderbar im Sprachkurs erwerben. Insgesamt aber kann man sagen: Wir lernen Kompetenzen von klein auf und ein Leben lang. Gerade die von uns fokussierten transversalen Kompetenzen gehören schon zentral zur frühkindlichen Bildung. Wichtig ist aber, dass wir diese Kompetenzen im Alltag anwenden und uns Feedback von Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten, Familie und Freunden einholen. Außerdem sollten wir sie kontinuierlich über das Learning by Doing weiterentwickeln.
Diese Soft Skills oder das, was ich an Zeugnissen und Noten vorlegen kann: Was ist von größerer Bedeutung?
Man braucht schon die Fachkompetenz. Aber ohne die transversalen Kompetenzen geht es auch nicht. Es muss auch im Team, im Umgang mit Kundinnen und Kunden stimmen.
Inwiefern werden sich die Krisen, der Fachkräftemangel und der demografische Wandel auf die Anforderungen am Arbeitsmarkt auswirken?
So ganz genau wissen wir das natürlich nicht. Aber eines ist jetzt schon klar: Der Arbeitsmarkt ist zunehmend ein Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmermarkt. Das kann dazu führen, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ihre Bedarfe genauer beschreiben werden, damit ein zunehmend schwerer herzustellendes Match zwischen beiden wirklich funktioniert. Eine zweite Konsequenz könnte sein, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen ihre Ausschreibungen inklusiver formulieren, damit sich nicht nur Teile des Arbeitsmarktes angesprochen fühlen.
Was bedeutet eine inklusivere Ausschreibung?
Studien aus Österreich konnten zeigen, dass bestimmte Formulierungen in Stellenanzeigen eher eine jüngere oder eher eine männliche Bewerberschaft ansprechen. „Agil“ oder auch „karriereorientiert“ wären klassische männliche Begriffe, „unterstützen“ und „lernbereit“ eher weibliche.
Personaler und Personalerinnen werden sich also in Zukunft mehr Mühe geben müssen?
Wenn wir den Fachkräftemangel vor allem dadurch beilegen wollen, dass wir alle Bevölkerungsteile gewinnen wollen, dann müssen wir sie auch ansprechen und abholen. Dazu gehört natürlich ebenso ein Kulturwandel in den Unternehmen. Und so etwas drückt sich auch in Stellenanzeigen aus.
Bergen diese ganzen Veränderungen auch Chancen für Menschen, die sonst eher benachteiligt werden?
Auf jeden Fall. Der Arbeitsmarkt ist trotz der ganzen Krisen immer noch sehr eng, wie wir das sagen. Wir haben eine sehr geringe Arbeitslosenquote. Was wiederum bedeutet, dass immer mehr Menschen Zugänge in die Arbeit hinein finden. Die gestiegene explizite Nachfrage nach Deutschkenntnissen zeigt, dass auch Migrantinnen und Migranten mit Fachkompetenzen gefragt sind – wenn sie denn die deutsche Sprache beherrschen.
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© Quelle: dpa
Kann das Fordern von Deutschkenntnissen nicht auch ein Zeichen dafür sein, dass Unternehmen weniger inklusiv denken? Englisch zu sprechen reicht ja zum Beispiel nicht aus.
Ein Umstieg auf Englisch wäre eine inklusivere Lösung. Aber die Frage ist, wie realistisch das dann ist. Einem Unternehmen hilft es nicht, wenn beispielsweise ein Programmierer oder eine Programmiererin nur Englisch spricht und die Anforderungen der Kundinnen und Kunden nicht versteht. Die Sprache ist also nicht nur eine Frage der Unternehmenskultur, sondern auch eine Frage, welche Anforderungen die Arbeit selbst hat.
Was bedeutet der Wandel am Arbeitsmarkt für Eltern mit kleinen Kindern? Kann sich gerade für sie der Fokus auf Kompetenzen lohnen?
Unbedingt. Da kann tatsächlich auch ein Blick auf unseren Jobmonitor helfen, in dem man sich überlegt, welche Kompetenzen man aus seiner Familien-Care-Arbeit aufzuweisen hat. Das könnten zum Beispiel Planungskompetenz sein, Organisationskompetenz, aber auch Kommunikations- und Führungsfähigkeit.
Worauf wird es in Zukunft ankommen?
Mit dem Jobmonitor machen wir die Nachfrage der Vergangenheit und der Gegenwart transparent. Eine der nächsten Schritte bei uns im Projekt ist es, einen Ansatzpunkt für die zukünftigen Kompetenzbedarfe, die Future-Skills, zu finden. Wichtig werden dabei vermutlich digitale Kompetenzen sein, aber auch sogenannte Green Skills – also Kompetenzen, die wir in der Gesellschaft und Wirtschaft für die Bekämpfung der Klimakrise brauchen.