Viele Plätze, wenige Bewerber: So stehen die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt
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Ausbildungsplätze in der Gastronomie bleiben häufig unbesetzt.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Für Schulabgänger und ‑abgängerinnen sind die Aussichten so gut wie lange nicht. Wer nach dem Ende der Schulzeit nicht studieren, sondern lieber in die Lehre gehen will, hat in diesem Jahr gute Chancen, eine Stelle zu finden.
Fast 514.000 neue Ausbildungsstellen sind in diesem Jahr in Deutschland neu zu besetzen. Bewerberinnen und Bewerber dagegen gibt es nur 392.000. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Juli noch 228.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Eine endgültige Bilanz lässt sich zwar erst im Herbst ziehen, doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass wohl viele Zehntausend Plätze unbesetzt bleiben werden.
Im Schnitt 76 Bewerber auf 100 Ausbildungsstellen
Regional ist die Verteilung dabei sehr unterschiedlich. Während im Landkreis Rostock auf 100 freie Stellen nur etwa 20 Bewerberinnen und Bewerber kommen, sind es nach Angaben der BA an anderen Orten wie Berlin, Wolfenbüttel, im Ruhrgebiet, Peine, der Südwestpfalz oder Offenbach deutlich über 100. In Delmenhorst kommen sogar mehr als doppelt so viele Bewerber auf 100 Ausbildungsplätze.
In einem Großteil der Kreise und kreisfreien Städte liegt die Relation aber unter 100. Im landesweiten Durchschnitt bewarben sich 76 Männer und Frauen auf 100 verfügbare Stellen. Vor zehn Jahren waren es zu diesem Zeitpunkt noch mehr als 100 gewesen.
Deutlich weniger Schulabgänger als noch vor zehn Jahren
Als Kernproblem sieht die Wirtschaft den demografischen Wandel. Es gebe heute rund 100.000 Schulabgänger und ‑abgängerinnen weniger als noch vor zehn Jahren, analysiert etwa der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks. Das führe unter anderem dazu, dass bald bis zu 400.000 Beschäftigte mehr den Arbeitsmarkt verlassen, als neue hinzukommen.
Dazu käme, dass viele junge Leute ein Studium aufnehmen würden, anstatt in die Lehre zu gehen. „Zu viele Jugendliche glauben noch immer, dass der Weg zum beruflichen Erfolg nur durch ein Studium zu erreichen ist – und scheitern dann häufig als Studienabbrecher“, so Dercks.
Die Hälfte der Betriebe kann nicht alle Stellen besetzen
Die Folge: Laut einer Umfrage können so viele Betriebe wie nie zuvor nicht mehr alle ausgeschriebenen Ausbildungsplätze besetzen. Betroffen sind laut einer DIHK-Umfrage 47 Prozent der befragten Unternehmen. Eine Ursache sieht die DIHK darin, dass keine geeigneten Bewerbungen vorlagen. „Bei mehr als 30.000 Betrieben kam im letzten Jahr noch nicht einmal eine einzige Bewerbung an“, heißt es.
Es gebe außerdem eine zunehmende Verunsicherung bei der Berufswahl von Schulabgängern durch eine mangelnde Berufsorientierung. Dercks betonte die Bedeutung von Betriebspraktika während der Schulzeit. Auf Schülerpraktika folgten häufig Bewerbungen. Es gebe an Schulen aber wenig stringente Formen für eine Berufsorientierung.
Fehlende Informationen werden auch von den Jugendlichen selbst kritisiert. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, für die im Juni 1700 Schülerinnen und Schüler befragt wurden, findet sich eine Mehrheit von 55 Prozent nur schwer im Informationsdschungel zurecht. Ein Drittel der Jugendlichen gab an, dass sie sich mehr Unterstützung bei der Ausbildungssuche gewünscht hätten, knapp die Hälfte (45 Prozent) hätte sich mehr Berufsorientierung in der Schule gewünscht.
Betroffen vom Bewerbermangel sind laut DIHK vor allem die Bereiche Handel, Industrie und Gastronomie, auch wenn der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) auf ein Bewerberplus bis Ende Juli von 10,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verweist. Dehoga-Geschäftsführerin Sandra Warden sagte: „Wir sind zuversichtlich, dass die Branche am Ende des Jahres weiter aufgeholt haben wird.“
Beliebte Branchen sind dagegen Verkauf, Fahrzeug-, Luft- und Raumfahrt- beziehungsweise Schiffbautechnik, auch in der Arzt- und Praxishilfe finden sich zahlreiche Bewerber und Bewerberinnen.
Nicht in allen Bereichen haben Bewerberinnen und Bewerber aber gleich gute Chancen. So bewarben sich im Bestattungswesen mehr als 800 Menschen auf einen Ausbildungsplatz – davon verfügbar waren aber nur 70. Ähnlich sieht es in der Berufsgruppe Bühnen- und Kostümbildnerei, Requisite aus. Hier gab es nur 23 Plätze, aber mehr als 200 Ausbildungswillige.
Dennoch blicken die jungen Menschen in Deutschland durchaus optimistisch auf die aktuelle Situation. So wurden Jugendliche im Zuge der Umfrage der Bertelsmann Stiftung auch darüber befragt, wie sie ihre Chancen auf eine Lehrstelle einschätzen. Mehr als drei Viertel antworteten mit „gut“ oder „sehr gut“. Damit sei eine Trendwende erreicht, nachdem in den vergangenen Jahren viele junge Menschen ihre Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt negativ bewertet hätten, so die Stiftung in einer Mitteilung. Allerdings: Gerade bei Jugendlichen, die nur eine geringe Schulbildung nachweisen können, hält sich noch immer der Eindruck, „schlechte“ oder „eher schlechte“ Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu haben. 26 Prozent, also mehr als ein Viertel der Befragten in dieser Gruppe, schauen pessimistisch auf die eigene Zukunft.
Der beliebteste Ausbildungsberuf, also der mit den meisten Bewerbungen, war nach BA-Statistik bis Juli der des Kaufmanns beziehungsweise der Kauffrau für Büromanagement. Gut 20.000 Bewerbungen gab es auch für Azubistellen für Kfz-Mechatroniker oder als Verkäufer oder Verkäuferin.
Betriebe versuchen, attraktiver für Bewerber zu werden
Erkannt haben Betriebe, dass sie sich anpassen müssen, wenn es um die Attraktivität für die Bewerberinnen und Bewerber geht. „Die Ausbildungsbetriebe müssen viel mehr tun als früher, um junge Menschen zu überzeugen“, so Dehoga-Geschäftsführerin Warden.
Laut DIHK-Ausbildungsmonitor haben viele der Betriebe ihre Ausbildung bereits umgestaltet, um attraktiver für zukünftige Azubis zu sein. Eingeführt wurden demnach bei 58 Prozent der befragten Unternehmen flachere Hierarchien, zudem moderne IT-Technik (51 Prozent). 37 Prozent haben ihren Bewerbungsprozess angepasst, ebenso viele nutzten finanzielle Anreize, um geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden.
Zur Wahrheit gehöre allerdings, dass immer noch zu wenig Ausbildungsplätze für Hauptschüler angeboten werden, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Elke Hannack. „Die Unternehmen betreiben eben vielfach eine Bestenauslese – von diesem Ross müssen sie endlich runter.“
Und auch in den Berufsschulen gibt es Nachholbedarf: Laut einer DGB-Studie mit knapp 10.000 Befragten bewerten vier von zehn Auszubildenden die digitale Ausstattung ihrer Berufsschule nur als ausreichend oder mangelhaft, nur gut ein Drittel findet sie gut oder sehr gut. Dagegen fühlt sich nur knapp jeder zweite Berufsschüler durch die Ausbildung sehr gut oder gut auf die digitalen Anforderungen im künftigen Beruf vorbereitet.
Zwischen den einzelnen Berufsfeldern selbst schwankt die Qualität nach Sicht der Auszubildenden stark. Während drei von vier der angehenden Fachinformatikern und ‑informatikerinnen finden, dass sie sehr gut oder gut auf die digitale Berufswelt vorbereitet werden, sehen Azubis in einer Gärtnerei, Tischlerei oder als Köchin oder Koch nur zu 20 bis 30 Prozent als gut oder sehr gut. Die DIHK ist darüber allerdings nicht überrascht: „Es ist selbstverständlich, dass Fachinformatiker oder Kaufleute für Büromanagement eine umfassendere digitale Vorbereitung erhalten als etwa Tischler oder Köche“, hieß es.