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Digitale Kluft: Wie digitale Isolation zur sozialen Ausgrenzung führt

Wer auf Dauer digitale Isolation erfährt, fühlt sich schnell auch sozial ausgegrenzt.

Wer auf Dauer digitale Isolation erfährt, fühlt sich schnell auch sozial ausgegrenzt.

Hannover. "Muss nur noch kurz die Welt retten. Danach flieg' ich zu dir. Noch 148 Mails checken", singt Tim Bendzko in einem bekannten Lied. "Welt retten", "fliegen", das klingt für Normalsterbliche utopisch. "Mails checken" hingegen nicht, das ist Alltag. Dabei ist das Schreiben einer E-Mail für einige Menschen fast genauso unmöglich wie selbst fliegen zu können. Sie besitzen keine oder wenige digitale Kompetenzen. Und das hat Folgen.

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Kein neues Thema: Digitale Kluft

Bereits im Jahr 2001 machte sich die Europäische Kommission in Brüssel Gedanken über soziale Ausgrenzung. Schon damals ein Thema: die digitale Kluft. Noch bevor es WhatsApp, Facebook oder Twitter gab, war den Politikern klar, dass man eine gewisse Medienkompetenz braucht, um digitale Angebote nutzen zu können. Wenn diese Kompetenz fehlt, kommt es leicht zur digitalen Ausgrenzung - mit realen Konsequenzen.

Denn Menschen, die zum Beispiel nicht wissen, wie man mit Computer und Smartphone umgeht, sind oft auch sozial ausgegrenzt. Das beginnt schon bei der täglichen Kommunikation: Wer kein Smartphone besitzt, bekommt häufig vieles nicht mit: Was für das Straßenfest noch benötigt wird, wer sich wann im Schwimmbad trifft, ob die Schule am nächsten Tag ausfällt.

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Digitaler Wandel erfordert Umdenken

In unserer Gesellschaft und der Politik ist Digitalisierung bis heute nicht umfassend angekommen.

Peter Neher

Präsident Deutscher Caritasverband

Doch obwohl das Problem früh erkannt wurde, ist in den vergangenen Jahren nicht genug passiert, um es zu beheben. Digitale Ausgrenzung ist immer noch ein Thema. "In unserer Gesellschaft und der Politik ist das Thema Digitalisierung bis heute nicht umfassend angekommen", sagt Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasverbandes, gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die digitale Kluft habe sich, so sein Eindruck, sogar eher noch vergrößert. Doch immerhin: "Mittlerweile ist der Politik klar geworden, dass das Thema sehr relevant ist und bearbeitet werden muss."

Geringe Medienkompetenz: Nicht nur Senioren betroffen

Denn digitales Unvermögen ist oft nicht selbstverschuldet. Menschen, die kein WhatsApp benutzen, machen sich einfach nicht die Mühe, es zu verstehen? Das Problem betrifft nur Senioren? Dieser Vorurteile greifen oft zu kurz, es geht um mehr als nur Motivation. Die Gründe aus denen Menschen keine oder wenig digitale Kompetenzen besitzen, sind vielfältig. So hat der Deutsche Caritasverband drei Faktoren ausgemacht, die dabei eine Rolle spielen: ein geringes Haushaltseinkommen, niedriger Bildungsabschluss und höheres Alter. "Zehn bis zwölf Millionen Menschen in Deutschland sind so genannte Offliner. Etwa ein Drittel davon sind Menschen, denen die Internetnutzung zu kompliziert ist", sagt Neher. Sie hätten es schwer, sich mit den technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen und brauchten deshalb dabei Unterstützung.

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Digitale Isolation verursacht Alltagsprobleme

Bekommen sie die nicht, werden diese Menschen zwangsläufig in vielen Lebensbereichen ausgegrenzt. Besonders trifft es Menschen, die sowieso schon oft Ausgrenzung erleben: "Wir wissen, dass beispielsweise Langzeitarbeitslose, Wohnungslose oder alte Menschen Hilfe brauchen - Behördengänge, Bankgeschäfte, alles läuft heute online ab", sagt Neher. Gerade Menschen, denen finanzielle Unterstützung zustehen würde, stehen jedoch vor dem Hindernis, dass sie diese online beantragen müssen. Viele dieser Menschen hätten aber nie die Möglichkeit gehabt, sich mit diesen digitalen Vorgängen auseinanderzusetzen, sagt Neher. Sie hatten vielleicht nie Zugang zu einem Computer oder Smartphone.

Das gilt auch bei der alltäglichen Kommunikation: "Bei einem Kind aus prekären Lebensverhältnissen ist es nicht selbstverständlich, dass solche technischen Geräte vorhanden sind", sagt Neher. Doch ein Smartphone ist für Jugendliche heutzutage notwendig, um mit gleichaltrigen in Kontakt zu bleiben. Digitale Isolation führt so - ungewollt und unverschuldet - zur sozialen Isolation.

Caritas appelliert an die Politik

Es ist wichtig, niederschwellige Zugänge anzubieten, um die Menschen zu erreichen.

Peter Neher

Präsident Deutscher Caritasverband

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Was tun? Die Caritas sieht die Politik in der Pflicht: "Die Politik muss den sozialen Bereich beim Thema Digitalisierung mehr beachten", sagt Neher. Der Schlüssel dazu liegt für ihn in der Bildung: Es brauche eine Bildungsoffensive für die Qualifikation mit digitalen Tools. "Es ist wichtig, niederschwellige Zugänge anzubieten, um die Menschen zu erreichen", sagt Neher. "Es darf uns nicht gleichgültig sein, dass Menschen ausgegrenzt werden."

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