Instagram und Facebook lassen Like-Zahlen ausblenden – was bringt das?

Likes? Sieht man nicht mehr in der Instagram-App, wenn man die entsprechende Funktion aktiviert.

Likes? Sieht man nicht mehr in der Instagram-App, wenn man die entsprechende Funktion aktiviert.

Hannover. „To like“ heißt mögen – und mögen kann man vieles: die neue Hose der besten Freundin, das Urlaubsfoto eines Bekannten oder auch einen politischen Kommentar. Im realen Leben drücken wir das alles durch viele Gesten aus: einen anerkennenden Satz, ein Lächeln oder ein Klopfen auf die Schulter. Im Internet gibt es dafür ein „Like“ – ein Herz auf Instagram oder ein hochgereckter Daumen auf Facebook. In Zahlen lässt sich also messen, wie vielen Menschen etwas gefällt.

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Auf Instagram ist es nun möglich, auf diese Zahlen zu verzichten. Dafür gibt es zwei neue Einstellungsmöglichkeiten. Zum einen kann man sich dafür entscheiden, die Anzahl der Likes bei Beiträgen anderer Nutzer und Nutzerinnen generell auszublenden. Bei den eigenen Beiträgen kann man zum anderen bei jedem Post einzeln einstellen, ob die Like-Zahl angezeigt wird. Damit folgt das Netzwerk einem Trend mit der etwas sperrigen Bezeichnung Demetrisierung, also der Abkehr von Messwerten.

Neue Funktion ist ein Selfie wert

Die Begründung des sozialen Netzwerkes: Die Nutzerinnen und Nutzer sollen sich auf den Kontakt zu Freunden und Inspiration fokussieren, also auf die Inhalte selbst. Diese Änderung war Victoria Müller alias Victoria van Violence ein Selfie wert. „Ich habe heute eingestellt, dass ich keine Likes mehr sehen kann und gleichzeitig die Likes für meine künftigen Beiträge abgewählt“, schreibt sie dazu. Als Influencerin möchte sie sich nicht bezeichnen, sie gibt aber zu, dass sie mit ihrem Social Media Auftritt Geld verdient. Ein Messwert ist dabei auch die Anzahl der Likes. Ihren Instagram-Kanal haben immerhin fast 200.000 Personen abonniert.

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Seit 2019 experimentiert Instagram mit der neuen Funktion. Die Testläufe hätten dabei keinen Einfluss auf die Erlöse von Inhalteautoren gehabt, betonte Instagram-Chef Adam Mosseri bei der Einführung der neuen Funktion. Einige unzufriedene Teilnehmende argumentierten aber offenbar, dass sie auf Like-Zahlen angewiesen seien, um die Relevanz von Beiträgen zu erkennen. Victoria Müller hat die Funktion trotzdem deaktiviert. Ihre Begründung: „Ich will nicht, dass sich andere mit mir vergleichen.“

Like als Form der Anerkennung

Für die Medienethikerin Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart ist das ständige Vergleichen die „Wurzel alles selbst verschuldeten Leids“. Ein Like sei auch eine Form der Anerkennung – nur eben eine sehr oberflächliche. Das Problem: Anders als im realen Leben wisse man nicht wofür genau oder warum man diese Anerkennung gerade erhält. Über die Qualität der Zustimmung sage das nichts aus.

Laut Grimm ist Anerkennung ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Doch warum wollen wir dann ausgerechnet Likes? Bereits 2013 konnten Forscherinnen und Forscher feststellen, dass es eine Verbindung zwischen Like und Belohnungssystem im Gehirn gibt. Eine Studie der Universität Kalifornien fand sogar heraus, dass die Gehirne von Versuchsteilnehmer nicht nur auf die eigenen Likes verstärkt reagierten, sondern auch wenn sie Fotos von anderen mit vielen Likes sahen.

Eine geringe Anzahl von erhaltenen Likes ruft dagegen negative Gefühle hervor. Auch Medienethikerin Grimm sagt, dass es dann problematisch werde, wenn die Likes ausblieben oder man eben weniger bekommt als andere. Sie vergleicht die sozialen Medien mit einer Bühne, auf der wir uns selbst darstellen. Wenn die Reaktion des Publikums aber ausbliebe, könne es dazu führen, dass man immer mehr Persönliches und Spektakuläres von sich zeigen wolle.

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Persönliches preisgeben macht verletzbar

„Wenn ich immer mehr von mir preisgebe, führt das dazu, dass ich immer verletzbarer werde.“ Schlimmstenfalls könne das in Cybermobbing enden. Dazu komme der Gewöhnungseffekt, ständig Anerkennung zu erfahren. Das sei im realen Leben auch nicht so. „Wir müssen auch lernen, mit Enttäuschung und Widerständigkeit umzugehen“, sagt Grimm.

„Hinter diesem oberflächlichen Like-System steckt eine permanente Datenauswertung.“ Werbung besser verkaufen und Userzahlen generieren – das sei Teil des Geschäftsmodells und dazu gehöre auch, durch Likes positive Gefühle hervorzurufen, sagt die Expertin „Das Wichtigste für diese Internetplattformen ist, dass wir permanent drin sind, permanent interagieren und permanent bei der Stange gehalten werden.“

Neue Einstellung soll Funktionsweise der Plattform nicht verändern

Warum also sollten die sozialen Netzwerke dann auf diese Funktion verzichten? Das machen sie letztlich gar nicht. Die neue Einstellung werde die Funktionsweise der Plattform nicht verändern, sagte Instagram-Chef Mosseri. Der Algorithmus, der die Reihenfolge der Beiträge auswähle, treffe Vorhersagen, wie interessant ein Beitrag für einen Nutzer sei. Die Like-Zahlen seien ein Faktor für diese Prognosen, aber relevanter sei, Beiträge welcher Personen einem Nutzer gefielen oder ob er etwa Videos mehr als Fotos möge.

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Auch wenn die betreffende Person die Like-Zahlen ausblendet, wird auf Instagram weiterhin angezeigt, wem der Post gefällt. Eine Studie von Facebook hat ergeben, dass Menschen nicht nur die Anzahl der Likes wichtig ist, sondern auch von wem sie stammen. Sie wünschen sich vor allem von engen Freunden, Partnern und Familienmitgliedern Rückmeldung.

Was es bringt, bleibt wohl abzuwarten

Das legt den Schluss nahe, dass Instagram und Facebook mit ihrer Funktion nur auf aktuelle Geschehnisse reagieren. Auch für Petra Grimm ist das Ausblenden der Like-Zähler letztlich nur eine unternehmerische Anpassung auf die Kritik am Selbstoptimierungswahn. Was das Ausblenden der Like-Zahlen tatsächlich bringe, bliebe abzuwarten, sagt sie. Aber sie hat Zweifel: „Man wird sehen, inwieweit die Nutzerinnen und Nutzer diese Option wählen werden oder ob sie sich ein Stück weit auch schon daran gewöhnt haben, dass es eben dazugehört.“

„Da stellt sich auch die Frage, ob wir nicht eine ganz andere Idee von einem sozialen Netzwerk bräuchten“, sagt Grimm. Sie stellt sich ein System vor, das nicht auf Selbstdarstellung, sondern auf Dialog, Austausch und inhaltlicher Auseinandersetzung beruht. Denn auch dabei sieht sie ein Problem mit Likes: „Sie verleiten einen, oberflächlich zuzustimmen, ohne sich groß Gedanken um das Warum zu machen.“

Neue Plattform nötig?

Bei der Jeans der besten Freundin oder beim Urlaubsfoto mag das noch ok sein, bei einem politischen Kommentar sehe es aber schon ganz anders aus. „Wir stehen doch auch vor der Herausforderung, einen gesellschaftlichen Zusammenhalt hinzubekommen“, sagt sie – weg von Extrempositionen hin zu mehr Zuhören, also. Dafür müssten wir das soziale Medium aber auch als Kulturgut begreifen, sagt Grimm. Letztlich bräuchte es eine Plattform mit nicht kommerziellem Anspruch, die allein der Qualität der Kommunikation diene.

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Auch Victoria Müller ist sich bewusst, dass sie mit dem Ausblenden von Likes keine „Medienrevolution“ lostreten wird. „Wir sehen uns bei unserer eigenen Geschichte quasi zu“, sagt sie. Denn wohin sich die sozialen Netzwerke entwickeln könnten, das sei noch gar nicht abzusehen, und sie gibt auch zu bedenken: „Social Media zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass jeder Mensch daran teilhaben kann.“ Was die Abhängigkeit von Likes und das ständige Bewerten angeht, stellt sie sich also die Frage: „Würde unsere Gesellschaft einfach auf einer anderen Plattform das Gleiche machen?“

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