Wie Sonnenstürme eine Internet-Apokalypse auslösen könnten
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Ein schwerer Sonnensturm könnte für monatelange Internetausfälle weltweit sorgen – das berichtet die Wissenschaftlerin Sangeetha Abdu Jyothi.
© Quelle: NASA/SDO, AIA, EVE u. HMI scienc
Sie sind relativ selten, aber nicht unmöglich: extreme Sonnenstürme, die nicht von dem magnetischen Schutzschild der Erde abgehalten werden können. Forschende schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass das Weltraumwetter direkt auf die Erde einwirkt, als relativ gering, auf 1,6 bis 12 Prozent pro Jahrzehnt, ein. Aber wenn es passiert, sind die Folgen mitunter fatal.
1859 verursachte ein derartiger Sturm etwa eine so schwere geomagnetische Störung auf der Erde, dass Telegrafendrähte in Flammen aufgingen und Polarlichter in der Nähe des äquatorialen Kolumbiens gesichtet wurden – das sogenannte Carrington-Ereignis. Aber auch kleinere Stürme haben vergleichsweise große Auswirkungen auf das Leben auf der Erde: Im März 1989 legte ein Sonnensturm das Stromnetz in Quebec für neun Stunden lahm und verdunkelte die kanadische Provinz.
Folgen auf Internet-Infrastruktur unerforscht
Während die Auswirkungen der Sonnenstürme auf die globale Stromversorgung vergleichsweise gut erforscht sind, hinkt die Wissenschaft bei den Folgen auf das Internet hinterher – dabei sind zahlreiche Prozesse dieser Welt auf genau diese Infrastruktur existenziell angewiesen.
Die Assistenzprofessorin Sangeetha Abdu Jyothi (University of California, Irvine) will das ändern – und hat sich die Widerstandsfähigkeit der weltweiten Internet-Infrastruktur gegenüber solaren Superstürmen genauer angeschaut. Ihre Erkenntnisse hat sie nun in Form eines Forschungspapiers auf der Konferenz Sigcomm 2021 vorgestellt. Darin prognostiziert sie mögliche dramatische Auswirkungen: Ein schwerer Sonnensturm könnte monatelang für Internetausfälle auf der ganzen Welt sorgen.
Ganze Kontinente könnten dann voneinander abgeschnitten werden, Millionen Menschen würden ihre Existenzgrundlage verlieren. Darüber hinaus könnte ein großer Sonnensturm auch Geräte, die die Erde umkreisen und Dienste wie Satelliteninternet und globale Positionsbestimmung ermöglichen, zerstören.
Seekabel gefährdeter als regionale Glasfaser
„Was mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat, ist, dass wir mit der Pandemie gesehen haben, wie unvorbereitet die Welt war. Es gab kein Protokoll, um effektiv damit umzugehen, und das Gleiche gilt für die Widerstandsfähigkeit des Internets“, sagte Abdu Jyothi dem Magazin „Wired“. „Unsere Infrastruktur ist nicht auf ein Solargroßereignis vorbereitet. Wir haben nur sehr begrenzte Kenntnisse über das Ausmaß des Schadens.“
Regionale und lokale Verbindungen seien bei einem massiven Sonnensturm nur einem geringen Risiko ausgesetzt, da Glasfaser nicht von geomagnetisch induzierten Strömen beeinflusst werde. Schwieriger sei es dagegen bei langen Unterwasser-Internetkabeln, die Kontinente miteinander verbinden. Die Kabel seien mit Repeatern ausgestattet, um das Signal in Abständen von 50 bis 150 Kilometern zu verstärken. Diese Repeater seien wiederum anfällig und schon ein einziger ausgefallener Repeater könnte dafür sorgen, dass das ganze Kabel unbrauchbar werde.
Nähe zu Polen erhöht Gefahr
Tendenziell hätten Sonnenstürme größere Auswirkungen in Breitengraden, die näher an den magnetischen Polen der Erde liegen. Die USA oder Großbritannien seien daher gefährdeter. Asien sei dagegen weniger Risiken ausgesetzt, da Singapur am Äquator liege und als Drehscheibe für viele Seekabel in der Region fungiere. Internetkabel, die den Atlantik und den Pazifik überqueren, seien allerdings selbst bei moderaten Stürmen stärker gefährdet. Abdu Jyothi empfiehlt daher, darauf bei der Verlegung von Kabeln Rücksicht zu nehmen.
Auch die Entwicklung von Belastbarkeitstests, die sich auf die Auswirkungen großflächiger Netzwerkausfälle konzentrierten, sei wichtig, um im Notfall vorbereitet zu sein. Im Ernstfall habe man mindestens 13 Stunden und höchstens drei Tage Zeit, um sich auf die Ankunft eines Sonnensturms vorzubereiten. Das biete den Infrastrukturbetreiberinnen und -betreibern die Möglichkeit, eine Abschaltstrategie zu entwickeln, die den Konnektivitätsverlust während und nach dem Aufprall minimiere, so Abdu Jyothi.
Ein Offlinetag kostet 7 Milliarden US-Dollar
Das Ausmaß der Kabelschäden könne allerdings nur begrenzt modelliert werden, daher bleibe die Planung eine Herausforderung. Je nachdem, wo die Kabelausfälle auftreten, könnten grundlegende Datenroutingsysteme – wie das Border Gateway Protocol und das Domain Name System – versagen und so zu Ausfällen führen. Suchmaschinen, Finanzdienstleister und sensible Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder Feuerwehren sollten deshalb kritische Daten und Funktionen dezentralisieren.
Auch, wenn Sonnenstürme selten vorkommen, seien sie eine echte Bedrohung für die Widerstandsfähigkeit des Internets. Und weil die Sonnensturmaktivität in den vergangenen drei Jahrzehnten relativ gering war, steige die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Vorfalls an, prognostizieren Abdu Jyothi und andere Forschende. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines einzigen Tages werden in den USA bereits auf mehr als 7 Milliarden US-Dollar geschätzt, so Abdu Jyothi. „Was ist, wenn das Netzwerk tage- oder sogar monatelang nicht funktioniert?“