LEVC – Britische Momente nicht nur für Taxifahrer und Taxifahrerinnen
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Winziger Wendekreis: Der LEVC beschränkt sich auf spärliche 8,45 Meter.
© Quelle: LEVC
Natürlich fällt die schwarze Karosse auf, zieht die Blicke Umherstehender auf sich wie manch exotischer Bolide im Alltagsverkehr. Blicke, die allerdings nicht neidvoll missgünstig geprägt sind, sondern ausschließlich von der sympathisch anerkennenden Sorte. Wie bei einem Schnauferl etwa. London-Reisende mögen die „Black Cabs“ aus eigener Erfahrung kennen.
Andere erinnern sich vielleicht an alte Edgar-Wallace-Streifen oder ähnliche in der britischen Hauptstadt spielende Leinwanderzeugnisse. Ist das legendäre London-Taxi, mit dem wir uns mit deutscher Zulassung ins Stadtgetümmel stürzen, etwa ein Unikat?
Nein, die Zielgruppe mag zugegebenermaßen eng begrenzt sein, aber der LEVC TX, so die simple Modellbezeichnung des ungewöhnlichen 4,86 Meter langen Personentransporters, wird schon seit über einem Jahr auch hierzulande angeboten. LEVC steht für London Electric Vehicle Company, Unternehmensnachfolger der altehrwürdigen London Taxi Company, die 2012 Insolvenz anmelden musste und dann vom chinesischen Konzern Geely übernommen wurde, zu dem auch Marken wie Volvo, Polestar und Lynk & Co. gehören und der nebenbei größter Einzelaktionär der Daimler AG ist. Die nach wie vor in Coventry beheimatete Marke LEVC strebt mit dem ausschließlich elektrisch angetriebenen „Black Cab“ eine weltweite Expansion an.
Mächtige Pforten, die sich anfühlen wie Brandschutztüren
Vor den ersten Testrunden mit dem Taxi ohne Taxischild entdecken wir bereits beim Einsteigen zahlreiche Besonderheiten. Das beginnt schon mit den gegenläufig öffnenden Portaltüren. Robuste, verchromte Türgriffe. Mächtige Pforten, die sich anfühlen wie Brandschutztüren zum Heizungskeller und mit weiten Öffnungswinkeln – hinten sogar bis zu 90 Grad – leichten und großzügigen Zugang zum Innenraum gewähren.
Im Cockpit sind die innerhalb des Geely-Konzerns genutzten Synergien unübersehbar. Der gut geformte, bequeme Fahrersitz, das Lenkrad, der Drehstartknopf und das zum Fahrer oder zur Fahrerin hingeneigte Navigationssystem – das alles kennen wir von Volvo. Nur dass im LEVC alles pragmatisch abgespeckt ist. Vom Plastiklenkrad über ein reduziertes Naviprogramm bis zur fehlenden Apple- und Android-Einbindung. Hier sitzt ja nur der Chauffeur …
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Abgespecktes Volvo-Interieur: Das Cockpit des LEVC erinnert an den luxuriösen Bruder Volvo, der ebenso wie die Briten Teil des chinesischen Geely-Konzerns ist.
© Quelle: LEVC
Der Fahrgastraum dahinter bietet sehr viel Platz und wirkt dank der großen Fensterflächen und eines riesigen Glaspanoramadachs hell und luftig. Sechs Sitzplätze in zwei Dreierreihen sind vorhanden, wobei es sich in der Mittelreihe um ausklappbare Sitze rückwärts zur Fahrtrichtung handelt. Etwas komfortabler sitzt man freilich auf der hinteren Reihe, auf der die beiden äußeren Plätze sogar mit Isofix-Kindersitzbefestigungen versehen sind. Wenn sich Personen gegenübersitzen, ist die Beinfreiheit auf der linken Seite etwas mehr eingeschränkt, weil die Klappsitze der Mittelreihe versetzt angebracht sind.
Auffällig ist natürlich auch die Plexiglastrennscheibe, die akustisch eine Unterhaltung zwischen Fahrerhaus und Fahrgastraum erschwert. Weshalb per Knopfdruck sowohl von vorn als auch von hinten zur besseren Verständigung eine Gegensprechanlage aktiviert werden kann. Und das Gepäck? Der bescheidene Raum hinter der Heckklappe wird mit einem vollwertigen Reserverad und Ladekabeln nämlich voll und ganz ausgefüllt. Die Lösung ist very british: Dort, wo sich gemeinhin ein Beifahrersitz befindet, ist hier das Gepäckabteil. 440 Liter gibt LEVC als Ladevolumen neben dem Fahrersitz an.
Barrierefreier Zustieg
Letzte Besonderheit bei der Fahrzeugbeschau: Der Zugang zum Fahrgastraum des LEVC TX ist serienmäßig barrierefrei, denn auf der rechten Seite lässt sich an der hinteren Tür aus dem Fahrzeugboden manuell eine Rampe ausfahren.
Das 110 Kilowatt (kW)/150 PS starke London-Taxi der Neuzeit fährt rein elektrisch und hat eine 31-Kilowattstunde-Batterie an Bord, die laut WLTP-Zyklus 101 Kilometer Reichweite schafft. Danach schaltet sich als Range Extender ein ausschließlich als Generator fungierender 1,5-Liter-Dreizylinder-Benziner mit 67 kW/82 PS hinzu, der aus dem Volvo-Regal stammt, keinerlei Verbindung zu den angetriebenen Hinterrädern hat und für die hier relevanten Zwecke leistungsoptimiert wurde. In der Praxis macht sich das bemerkbar, indem er im Einsatzfalle weitgehend unabhängig von den Gaspedalbewegungen dezent vor sich hintuckert – und natürlich dass bei weiteren rund 400 Kilometern Stromerbetrieb Reichweitenangst ein Fremdwort ist.
Solange der E-Motor alleine am Werk ist, fährt der TX flüsterleise durchs Großstadtgewimmel und sorgt bei 250 Newtonmeter (Nm) Drehmoment auch für zügiges Vorankommen. An starken Steigungen hat der recht straff ausgelegte LEVC aber schon mit seinem Gewicht etwas zu kämpfen. Denn trotz der speziell entwickelten Leichtbauarchitektur aus Aluminium bringt er 2,3 Tonnen Leergewicht auf die Waage und darf noch gut 600 Kilogramm zuladen. Um den Range Extender bei voller Batterie zum Nichtstun zu verdammen, muss leider über das Navidisplay immer erst der reine Elektromodus (alternativ zu „Smart“ mit beiden Energiequellen und „Save“ für das Halten des Ladeniveaus) aktiviert werden.
Traditionell barrierefrei: Von rechts bietet der LEVC Rollstuhlfahrenden die Möglichkeit, in das Fahrzeug zu gelangen.
© Quelle: LEVC
Verbrauchsangaben im Bordcomputer? Fehlanzeige. Die WLTP-Angaben (23,4 kWh/100 km Strom und 0,9 l/100 km Super) dürften da bestenfalls als Orientierung taugen. Realistischer sind statt der angegebenen 101 km auch eher 75 bis 80 km mit einer Batterieladung. Am Schnelllader mit maximal 50 kW sind die Lithium-Ionen-Akkus nach 25 Minuten zu 80 Prozent wieder gefüllt. An der heimischen Wallbox mit 11 oder 22 kW dauert eine Vollladung zwischen 75 und 150 Minuten.
Wenden beinahe auf der Stelle
Beeindruckendstes Erlebnis im Fahrbetrieb war das Rangieren, denn gefühlt wendet das „Black Cab“ fast auf der Stelle. Ein Wendekreis von nur 8,45 Metern für ein 4,86 Meter langes Fahrzeug ist sensationell. Das schafft, vom zweisitzigen Smart abgesehen, kein Kleinwagen.
Keine Frage, der LEVC TX ist kein Fahrzeug für jedermann und allein schon wegen des fehlenden Beifahrersitzes kaum als Familienkutsche geeignet. Der Preis von 77.046 Euro für die von uns gefahrene Vistavariante ist eine zusätzliche hohe Hürde. Die etwas günstigere Iconausstattung ist ab 74.728 Euro erhältlich. Für die Briten unter chinesischer Flagge rücken daher neben Taxibetrieben eher Kommunen und der ÖPNV in den Fokus. Bei 15 Verkehrsgesellschaften wie Ioki in Hamburg oder Loop in Münster seien unter anderem als Schienenersatzverkehr deshalb bereits 110 Shuttles im Einsatz, erklärt Kosima Koepke von LEVC.
Während das bereits vor einem Jahr angekündigte Projekt eines E-Campers aktuell eingefroren ist, tüfteln die Engländer und Engländerinnen in Coventry für die Zukunft vielmehr an einer Luxusvariante des „Black Cabs“. Alternativ zum TX hat die Geely-Tochter daher im Moment nur noch die Cargovariante VN5 im Programm. Das ab 52.450 Euro netto angebotene Fahrzeug spricht als Gewerbetransporter mit Platz für zwei Europaletten eine deutlich breiter gefächerte Zielgruppe an. So auffällig wie die Taxivariante ist der LEVC VN5 aber beileibe nicht.
LEVC TX Vista
Motor: Elektro mit Range Extender als Generator
Leistung: 110 kW/150 PS, Range Extender 67 kW/82 PS
0–100 km/h: 13,2 s
Antrieb: Hinterräder
Drehmoment: 250 Nm
Spitze: 128 km/h
Reichweite (kombiniert): 101 km (WLTP) + 400 km mit Range Extender
Stromverbrauch: 23,2 kWh/100 km und 0,9 l/100 km Super (WLTP)
CO₂-Emission: 0 g/km
Batteriekapazität: 31 kWh
Länge/Breite/Höhe: 4855/1870/16451 mm
Ladeleistung: 11 kW (optional 22 kW) AC und bis 50 kWh DC
Kofferraum: 440 l
Leergewicht: 2219 bis 2305 kg
Preis: ab 77.046 Euro