Mobilitätswende: Wie die fehlende Infrastruktur den Verzicht aufs Auto erschwert
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Die Aufnahme zeigt einen sogenannten Pop-up-Radweg in Hamburg. Mit einem ähnlichem Konzept könnte aus Sicht des VCD auch in Dresden der Radverkehr schnell attraktiver gemacht werden.
© Quelle: dpa
Hannover. Morgens auf dem Weg zur Arbeit steht man in einem der zahlreichen Staus, seit Monaten schockt die Rechnung für einen vollen Tank und immer wieder stresst die Parkplatzsuche in den Innenstädten. Gleichzeitig sind Bus und Bahn aktuell eine günstigere Alternative. Auch fürs Rad fallen keine teuren Spritkosten an. Genügend Gründe für Autofahrerinnen und Autofahrer, die eigenen Fahrzeuge öfter stehen zu lassen und stattdessen Rad, Bahn oder Carsharing zu nutzen – wäre da nicht die unzureichende Infrastruktur.
Tacho-Trend: Autofahrer lassen Pkws häufiger stehen
Immer mehr Menschen lassen öfter ihr Auto stehen. Der häufigste Grund dafür sind die gestiegenen Spritpreise. Zu diesem Ergebnis kommt eine kürzlich veröffentliche Umfrage der freiberuflichen Kfz-Sachverständigen (Küs). Für den Tacho-Trend der Küs werden insgesamt 1000 Pkw-Fahrende telefonisch und online befragt. Doch das heißt nicht, dass das Auto immer stehen bleibt.
80 Prozent der Befragten starten für die Wege zur Arbeit, zum Einkauf und in der Freizeit weiter den Motor ihres Autos. Auch im Dat-Report 2022 der Automobilbranche heißt es: „Befragt man alle Pkw-Halter in Deutschland nach der Bedeutung des Autos für ihr tägliches Leben, so bestätigten 79 Prozent, dass der eigene Pkw unverzichtbar sei.“
Wie kommt das? Woran scheitert die Verkehrswende trotz aller Argumente, die gegen das Auto sprechen? Die Antwort ist: Es scheitert an der Infrastruktur.
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Volle Züge: Reisende steigen am Hauptbahnhof Köln in einen ICE-Zug nach Berlin.
© Quelle: Roberto Pfeil/dpa
Ein günstiges Ticket sei zwar ein attraktives Angebot, mit dem sich mehr Menschen für den Nahverkehr gewinnen lassen, die vorher nicht damit gefahren sind, berichtet Timm Fuchs vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Noch wichtiger wäre aber, im ersten Schritt Gleise und Bahnhöfe in der Stadt sowie auf dem Land auszubauen. „Was nützt Menschen im ländlichen Raum ein 9-Euro-Ticket, wenn sie nicht mal an einen Bahnhof angeschlossen sind?“ Oder der Bus viermal am Tag fährt.
Ein eigenes Auto braucht es nicht, wenn man sich eines teilen kann. Aber: Als Alternative für Autofahrende der Tacho-Trend-Befragung spielt Carsharing eine nachrangige Rolle. Nutzer und Nutzerinnen sind stattdessen überwiegend Nicht-Autofahrer, die multimodal unterwegs sind und häufiger kein eigenes Auto haben. Daher funktioniere Carsharing besonders dort gut, wo ein gut ausgebauter ÖPNV zur Verfügung steht, informiert Benjamin Plank vom Bundesverband Carsharing (bsc).
Ihre Wege durchgängig mit dem öffentlichen Nahverkehr bestreiten zu können, wünscht sich dabei die Mehrheit der Befragten der TÜV-Studie „Zukunft der Mobilität“. Flexibel, schnell und planbar ans Ziel zu kommen, seien danach auch die drei grundlegenden Bedürfnisse für Autofahrer, die dafür entscheidend sind, welche Verkehrsmittel sie hauptsächlich nutzen. Folglich stellen die Autofahrer und ‑fahrerinnen der Tacho-Trend-Umfrage Bus und Bahn als Alternative zum Auto ein schlechtes Zeugnis aus. Am ehesten greifen sie zum Fahrrad.
Radverkehr: Mangelhafte Infrastruktur schreckt viele vom Umstieg ab
Doch auch die Radinfrastruktur lädt nicht unbedingt dazu ein, das Auto stehen zu lassen. Besonders in den Städten hat zwar in den letzten Jahren der Radverkehr zugenommen, wie Prof. Dennis Kneese vom Lehrstuhl für nachhaltige Mobilität und Radverkehr an der Goethe-Universität Frankfurt berichtet. Doch ein Umstieg vom Auto aufs Rad erfolgt wenig. Gerade mal 15 Prozent der Befragten fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit und in der Freizeit, während mehr als 80 Prozent jeweils für die gleichen Wege weiterhin das Auto nutzen.
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Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, mit der Landespolitik in einen Dialog zu treten, um die Erreichung der Klimaziele durch eine Mobilitätswende zu befördern.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa/dpa-tmn
Das Problem ist das gleiche wie bei der Bahn: „Es fehlt an der Infrastruktur, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land“, sagt Rebecca Hoch, Pressesprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Da Radwege oft nicht von Beginn an mitgedacht wurden, besteht die Infrastruktur oft aus schmalen Schutzstreifen auf der Straße, ist in einem schlechten Zustand und die Führung des Radverkehrs bricht immer wieder ab, so die Einschätzung von ADFC und ADAC. Laternen, Ampeln und parkende Autos behindern oftmals die flüssige Durchfahrt.
Die mangelhafte Infrastruktur schreckt viele vom Radfahren ab: Als zu gefährlich schätzen immerhin über 40 Prozent der befragten Deutschen in der Ipsos-Umfrage zum Weltfahrradtag das Radfahren in der näheren Umgebung ein. In den Niederlanden sind es im Vergleich nur 14 Prozent.
All diese Probleme zeigen sich auf dem Land verstärkt. Je ländlicher die Region und je schlechter die Anbindung, desto mehr Fahrzeuge besitzt ein Haushalt im Schnitt. Doppelt so häufig wie in Großstädten nutzen Haushalte auf dem Land täglich einen Pkw. „Besonders auf dem Land mangelt es Pendlern oft an Alternativen. Ohne das Auto geht da nichts“, sagt Fuchs vom DStGB. „Es gibt etwa 123 Mittelzentren (mittelgroße Orte, die für einem bestimmten Umkreis Dienste und Waren über die Grundversorgung hinaus anbieten), die nicht an einen Bahnhof angeschlossen sind.“
Deshalb müsse stark und langfristig investiert werden, um zunächst das Angebot zu schaffen. „Das wird dann auch genutzt“, sagt Fuchs. Ländliche Räume könnten insbesondere von On-Demand-Verkehr profitieren. Besonders im ländlichen Raum gibt es also gute Gründe, die bisher gegen den Verzicht aufs eigene Auto sprechen.
Wie kann die Infrastruktur verbessert werden?
„Es muss in allen Köpfen ankommen, dass wir eine Verkehrswende benötigen“, sagt Fahrrad-Professor Kneese. „In allen Behörden und Abteilungen, damit wir ganzheitliche nachhaltige Mobilitätskonzepte umsetzen. Nicht nur hier und da ein Radweg, sondern ein zusammenhängendes Netz.“ Dabei könne eine langfristige finanzielle Unterstützung in die Radinfrastruktur durch den Bund, mehr Personal und Fachkräfte in den lokalen Behörden helfen.
Es brauche eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes, die dem Autoverkehr nicht mehr allen Platz und alle Privilegien im Verkehr einräumt, so der ADFC.„Der Rechtsrahmen nimmt eine große Rolle ein“, so Fuchs. Es brauche mehr Entscheidungsbefugnisse, etwa um im Interesse des Klimaschutzes und der Stadtentwicklung verkehrliche Maßnahmen schneller umzusetzen. Dies betreffe etwa die Themen ortsangepasste Geschwindigkeit oder ein besseres Parkraummanagement.
„Es braucht mehr Mut in der Verkehrspolitik“, sagt Kneese. Umgestaltungen sollten ausprobiert und Beschränkungen für den Kfz-Verkehr getestet werden. „Am Ende werden in einem Großteil der Fälle die Maßnahmen gefeiert, weil plötzlich eine höhere Aufenthaltsqualität und mehr Sicherheit vorherrschen.“
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