Wird die Luft wirklich besser, wenn alle elektrisch fahren?
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Vor allem der Reifen- und Bremsenabrieb sowie aufgewirbelte Staubpartikel von den Straßen tragen zur Verschlechterung der Luft bei.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Kein Zweifel, der Straßenverkehr gehört zu den größten Verursachern von Feinstaub. Und der kann zu Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen führen. Allerdings sind es längst nicht nur die Verbrennungsmotoren, die für Schadstoffemissionen verantwortlich sind, wie so oft suggeriert wird.
„E-Autos tragen vor Ort, auf der Straße, durchaus zu einer Entlastung in Sachen Feinstaub bei, da sie ohne verbrennerspezifischen Schadstoffausstoß betrieben werden“, sagt Werner Hagstotz, Marketing- und Vertriebsexperte mit Schwerpunkt Automotive und technische Branchen „Allerdings weist der von E-Autos benötigte Strom insbesondere in Deutschland durch den hohen Anteil an Kohle- und Erdgas-Kraftwerken bei der Stromerzeugung nicht viel geringere CO₂-Anteile auf als ein moderner, kleinerer Diesel.“
Batterieproduktion erzeugt hohe Mengen an CO₂
Umso mehr wundere er sich, dass die EU dennoch alle E-Autos im Flottenverbrauch mit Null-CO₂-Emission angesetzt habe. Der Professor verweist auf eine Messung des Fachblattes „auto motor und sport“. „Man hat für den VW ID3 je Kilometer in Deutschland 91,2 Gramm CO₂-Emissionen ermittelt. Dasselbe Modell würde in Frankreich, wo man den meisten Strom mit CO₂-armen Kernkraftwerken erzeugt, aber nur 11,5 g/km CO₂ ausstoßen.“ Und ziehe man einen modernen, klassenhöheren Diesel-Pkw zum Vergleich heran, etwa den 220 CDI der E-Klasse von Mercedes-Benz, so emittiere der zwar mit 132 g/km mehr CO₂ als der VW, habe dafür aber bei moderater Fahrweise eine Reichweite von deutlich über 1100 Kilometern, bei gleichzeitig deutlich weniger durch die Batterieproduktion erzeugten Emissionen.
Hagstotz moniert, dass in diesem Zusammenhang nur allzu gerne unterschlagen werde, dass die Herstellung der von allen E-Autos benötigten Batterien sehr hohe Mengen an CO₂ und anderen Schadstoffen erzeuge, wobei die Menge primär von der Akkugröße abhänge, die je Fahrzeugsegment stark variiere. Er nennt „eine Bandbreite, die von Akkugrößen von 10–15 kWh bei Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen bis zu den 108 kWh des Mercedes EQS 580 SUV reicht.“
Längst bekannt ist in diesem Zusammenhang, dass die Herstellung insbesondere größerer Akkus, bisher meist in Asien, große Mengen an CO₂ erzeugt und viel Wasser verbraucht.
„Und auch die Menge der benötigten seltenen Metalle ist beim E-Auto größer“, weiß der Autoindustrieexperte Hagstotz. So enthalte ein Elektroauto etwa acht bis neun Kilogramm Lithium, und die Menge an Kobalt liege sogar im zweistelligen Kilobereich, während man für Verbrenner nur wenige Gramm benötige. Sein Fazit: „Die Luft wird durch den vermehrten Einsatz von E-Autos vor Ort in Deutschland zwar besser, woanders auf der Welt, nämlich dort, wo die für die Herstellung der Batterien benötigten Rohstoffe gewonnen und wo die Batterien produziert werden, also vor allem in Afrika und Asien, aber deutlich schlechter.
Reifenabrieb und aufgewirbelter Partikelstaub
Für Marcel Mühlich ist der Abrieb von Bremsen und Reifen sowie der aufgewirbelte Partikelstaub auf der Straße das größte Problem mit Blick auf die Feinstaubbelastung. Ob es dabei die Elektroautos oder die Verbrenner sind, die mehr Schadstoffe durch Abrieb produzieren, „zu diesem Problem gibt es bereits sehr viele Studien, und immer noch kommen weitere dazu“, weiß der Technikexperte des Auto Club Europa (ACE). „Die einen sehen im Elektroauto den größeren Produzenten von Abrieb, andere sagen, der Verbrenner produziere mehr Brems- und Reifenstaub.“ Mühlich weist darauf hin, „dass man Bremsen und Reifen unabhängig voneinander bewerten sollte“. Gerade beim Elektroauto könne der Fahrer beziehungsweise die Fahrerin durch das sogenannte One Pedal Driving großen Einfluss nehmen auf den Abrieb bei Bremsbelag beziehungsweise -scheibe. „Wähle ich eine hohe Rekuperation und fahre vorausschauend, dann entlastet die Bremsfunktion des Elektromotors die eigentliche Bremse.“
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Hagstotz pflichtet dem ACE-Experten bei: „Die Rekuperation des Elektromotors beim Rollen verlangsamt das Fahrzeug bereits so stark, dass im Stadtverkehr in vielen Situationen die Betätigung der Bremse gar nicht notwendig ist.“ Allerdings schränkt Professor Hagstotz gleichzeitig ein: Dieser Vorsprung gegenüber dem Verbrenner werde durch die mehrere Hundert Kilo schweren Batterien wieder zunichtegemacht, die den Abrieb der Reifen deutlich erhöhen. „OECD-Studien zeigen, dass Elektroautos wegen ihres höheren Gewichts mehr Partikel durch Reifenabrieb emittieren als vergleichbare Verbrenner“, verweist der Marketingexperte noch einmal auf jene Untersuchung, die in „Auto Motor und Sport“ veröffentlicht wurde. Ein weiterer Grund für den höheren Reifenabrieb beim E-Auto sei das konstruktionsbedingt viel höhere Drehmoment eines Elektromotors, das Fahrer respektive Fahrerin häufig dazu verleite, die enorme Beschleunigung auszunutzen.
Problem des Reifenabriebs schwer lösbar
Mühlich bestätigt, „dass das Problem des Reifenabriebs nicht so einfach in den Griff zu bekommen ist“. Zwar gebe es auch hier Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen – etwa durch den richtigen Luftdruck der Reifen, eine zurückhaltende Fahrweise ohne starkes Beschleunigen, den rechtzeitigen Wechsel von Sommer auf Winterreifen und vice versa. Oder aber durch die grundsätzliche Entscheidung für ein kleineres E-Auto, das dann allerdings auch eine geringere Reichweite aufweise –, letztlich aber sei die Reifenindustrie hier gefordert. Dort habe man allerdings einen Zielkonflikt. „Denn sicherheitsbedingt guter Grip auf der einen Seite bedeutet wegen der entsprechenden Gummimischung einen erhöhten Verschleiß auf der anderen“, erklärt der Technikfachmann.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt habe nun zwar eine Karosserie mit komplett abgekapselten Rädern entwickelt, sodass Reifenabrieb in der Kapsel gesammelt und später abgesaugt werden könne. Was in Bezug auf die Bremsen heute durchaus schon machbar wäre – Bremssysteme, die keinen Abrieb erzeugen oder den Bremsstaub sammeln –, könnte bei den Reifen allerdings eher schwierig umzusetzen sein. „Wahrscheinlich legen die Kunden und Kundinnen dann doch zu viel Wert auf die Optik ihrer Autos, als dass man ihnen diese Idee verkaufen könnte“, sagt Mühlich mit einem Schmunzeln.
Straßenreinigung als Lösung?
Hagstotz aber kennt eine Alternative zu fragwürdigen Designelementen. Schließlich habe die jahrelange Diskussion um die Reduzierung des Feinstaubs in deutschen Ballungsgebieten doch gezeigt, dass bereits eine häufigere und intensivere Reinigung der Straßenoberflächen durch die ohnehin vorhandenen Fahrzeuge der Stadtreinigung deutliche Abhilfe schaffen könne. Er fügt hinzu: „Aber bitte in verkehrsarmen Zeiten.“
Womöglich aber werden sich Autofahrer und Autofahrerinnen in Zukunft ohnehin von der einen oder anderen lieb gewonnenen Gewohnheit verabschieden müssen, denn die Euro-7-Norm soll im Jahr 2025 umgesetzt werden. Erstmals wird es dann auch Grenzwerte für die Emissionen von Bremsen und Reifen geben – was nichts anderes bedeutet, als dass sich nun auch Elektrofahrzeuge diesen Grenzwerten werden stellen müssen.
Wir haben diesen Text am 24. Mai 2023 aktualisiert.