Ein guter Ort zum Leben
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In der Regel verbringen Familien ein- bis zweiwöchige Aufenthalte im Kinderhospiz Löwenherz.
© Quelle: Sarah C. Laurinat
Vor dem ersten Besuch spürten Sandra und Markus Heeren starkes Herzklopfen. Was würde sie im Hospiz erwarten? Durften sie ihren Sohn dort wirklich schon anmelden, obwohl seine Krankheit noch in einem Frühstadium war? Doch der Wunsch nach Entlastung war inzwischen riesengroß geworden. „Wir waren am Ende unserer Kräfte und Nerven“, berichtet Sandra Heeren. Bereits seit vielen Jahren hatten sie sich intensiv um ihren Sohn Alexander gekümmert. Der heute 20-Jährige leidet an einem unheilbaren Muskelschwund. Zunehmend wurde er zum Pflegefall, inzwischen muss er beatmet werden.
Familie Heeren entschloss sich 2013 zu einem ersten Aufenthalt im Kinder- und Jugendhospiz Löwenherz bei Bremen. Zunächst sollten nur Mutter und Sohn übernachten, Vater und Tochter wollten bald wieder abreisen. Aber alle fühlten sich vom ersten Moment an derart gut aufgehoben, dass sie gemeinsam blieben. Und schon bald wiederkamen. Jahrelang. Längst sind sie Stammgäste geworden. „Die Herzlichkeit der Menschen, die dort arbeiten, hat uns von Anfang an beeindruckt“, betont Markus Heeren. Hinzu kommt: In dem Hospiz muss sich die Familie nie erklären. Alles, was ihr Leben so außergewöhnlich macht, ist dort Normalität.
Manche Eltern schlafen zum ersten Mal wieder durch
„Wir begleiten die komplette Familie und schauen, was sie möchte und braucht“, erklärt Hausleitung Dorata Walkusz. Die erkrankten Kinder und Jugendlichen werden von pflegerischen Fachkräften versorgt, die mit ihnen auch etwas unternehmen, zum Beispiel einen Ausflug in den Tierpark. Mit den älteren Erkrankten gehe es auch mal zum Shoppen in die Stadt oder in die Disko, ergänzt die pädagogische Leiterin Christina Schwecke-Ernst: „Alles Dinge, die andere Jugendliche auch tun.“ Für die Geschwisterkinder gibt es ein eigenes Programm. Die Eltern können ebenfalls aktiv sein – oder sich ausruhen: Manche schlafen nach langer Zeit zum ersten Mal wieder viele Stunden am Stück oder lesen ungestört ein Buch durch. „Sie freuen sich über Entlastung“, sagt Schwecke-Ernst.
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Kinderhospiz Löwenherz.
© Quelle: Sarah C. Laurinat
Wichtig für die Eltern sind auch die Gespräche, die sich oft spontan ergeben, sei mit dem Personal oder mit anderen Gästen. Mitunter genüge ein Blick oder eine Geste und aus den Eltern breche heraus, was sich jahrelang angestaut habe, berichtet Schwecke-Ernst. „Der Austausch verändert manchmal unsere Sicht und hilft uns, Alexander besser zu verstehen“, erzählt Sandra Heeren. Die Eltern beobachten, wie andere Familien mit Problemen und Konflikten umgehen und unterstützen sich gegenseitig. Nicht selten entstehen enge Freundschaften. Auch die Geschwister der erkrankten Kinder profitieren vom Aufenthalt: Sie erfahren vor allem, dass sie mit ihrer besonderen familiären Situation nicht alleine dastehen.
„Was möglich ist, realisieren wir“
Im Kinder- und Jugendhospiz Löwenherz gibt es jeweils eine Station für Kinder bis 14 Jahre und junge Erwachsene bis 27 Jahre. Außerdem stehen Zimmer für Angehörige zur Verfügung. In der Regel verbringen Familien hier ein- bis zweiwöchige Aufenthalte, vor allem die Ferienzeiten sind begehrt. Regelmäßig macht das Hospiz Angebote für spezielle Zielgruppen: So gibt es Großelternwochen, Väter- oder Mütterwochen und die Liebe-Partnerschaft-Sexualität-Woche für erkrankte Jugendliche. Ihre Wünsche können sie in der „Wovon träumst du?“-Woche äußern. „Was möglich ist, realisieren wir“, sagt Schwecke-Ernst. „Nicht alle Träume werden wahr, aber Träume sind wichtig.“
„Wir sprechen schon über das Sterben, das ist aber kein Dauerthema“
Laura-Jane Dankesreiter,
Koordinatorin des Vereins „Grüne Bande“
Einer der größten Wünsche von Laura-Jane Dankesreiter ist es, ganz normal Teenager sein zu können und Gleichaltrige mit ähnlichen Problemen zu treffen. Die 24-Jährige ist seit ihrem zwölften Lebensjahr regelmäßig zu Gast im Hospiz. Dorthin zu fahren, fühle sich mittlerweile an, wie Weihnachten nach Hause zu kommen, sagt sie. „Für mich ist es auch die einzige Möglichkeit, ohne Familie Urlaub zu machen.“ Als Koordinatorin des Vereins „Grüne Bande“ setzt sie sich für andere Kinder und Jugendliche mit unheilbaren Krankheiten ein. Kontakt wird vor allem über soziale Medien gehalten, einmal im Jahr findet ein gemeinsames Treffen statt.
Auch im Hospiz spielt der Tod nur selten eine Rolle
„Wir sprechen schon über das Sterben, das ist aber kein Dauerthema“, sagt Dankesreiter. Auch im Hospiz spiele der Tod im Alltag selten eine Rolle, es gehe eher darum, so viele Glücksmomente zu schaffen wie möglich. „Das Kinderhospiz ist ganz viel Leben“, bestätigt Markus Heeren. Ob Wut, Freude oder Trauer – alle Gefühle und Stimmungen seien gleichberechtigt. Auch Selbstironie sei möglich, so der Vater: „Ein „running gag“ ist: Wir sind hier im Hospiz. Hier wird nicht gelacht.“
Erster Kontakt erfolgt oft über Oskar
In Deutschland gibt es laut Bundesverband Kinderhospiz e.V. mittlerweile 17 stationäre Hospize sowie ein Mehrgenerationenhaus und zwei Teilstationen. Außerdem bieten rund 200 ambulante Einrichtungen ihre Dienste an. Etwa 50.000 Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Krankheiten können die Angebote in Anspruch nehmen. Der Aufenthalt ist für Familien kostenlos, die Finanzierung wird durch Leistungen der Gesundheitskassen und Spenden gesichert. Erster Anlaufpunkt für viele Familien ist das Sorgentelefon „Oskar“. Die Rufnummer lautet: 0800-88884711. Anrufenden werden Berührungsängste genommen. Außerdem wird individuelle Hilfe vermittelt.
Das Sterben gehöre aber im Hospiz ebenfalls zum Leben, sagt Walkusz. Viele Familien tasteten sich über Jahre an das Thema Tod heran. Alle Menschen gingen damit unterschiedlich um, ergänzt Schwecke-Ernst. Die einen wollen in Ruhe gelassen werden, die anderen wünschen sich enge Begleitung. Jüngere Kinder haben oft keine Vorstellung vom Sterben und Tod, aber es beschleicht sie ein Gefühl, eine Ahnung davon. Einige stellen sich zum Beispiel vor, dass sie zu ihren Großeltern in den Himmel gehen. Ältere Kinder und Jugendliche verdrängten mitunter den nahenden Tod und wollten bis zum Schluss nicht darüber sprechen, berichtet Sabine Kraft vom Bundesverband Kinderhospiz e.V.
Abschiedsrituale sind wichtig
Auch Alexander tue sich schwer, über den Tod zu reden, sagt Sandra Heeren. Aber er wolle, wenn möglich, seine letzten Tage im Hospiz verbringen. Hier wird niemand dazu gedrängt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Doch die Möglichkeit dazu besteht immer. Zwar sei die Nachfrage nach Aufenthalten im Hospiz größer als das Angebot, sagt Kraft. Aber in der Sterbephase gebe es immer einen Platz. „Wir begleiten die Kinder und Jugendlichen gut und behütet auf ihrem letzten Weg“, unterstreicht Walkusz.
Nachdem ihr Kind gestorben ist, sind für viele Eltern Abschiedsrituale wichtig. Im Löwenherz werden zum Beispiel zu Lebzeiten Schmetterlinge gebastelt, die dann aufgehängt werden. Wer mag, kann einen Ballon aufsteigen lassen und einen Stein mit dem Namen des Kindes in ein Beet legen. Oft bleibt der Kontakt zum Hospiz und zu anderen Familien noch jahrelang bestehen. Auf Treffen tauschen sich Eltern verstorbener Kinder mit Müttern und Vätern aus, deren Kinder noch leben. „Es besteht eine berührend große Solidarität“, sagt Schwecke-Ernst. Einmal habe ein Paar sogar Hochzeit in dem Hospiz gefeiert, in dem ihr Kind gestorben war, berichtet Kraft.
Das Personal geht mit dem Thema Sterben professionell um. Regelmäßig gibt es für sie Supervisionen und seelsorgerische Betreuung. Der Tod von Gästen geht den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber oft nahe. „Auch wir haben Momente der Traurigkeit“, sagt Schwecke-Ernst. Zu vielen Kindern und Jugendlichen haben sie über Jahre eine intensive Bindung aufgebaut. Manchmal sind sie sogar die am nächsten stehende Person: So starb im Löwenherz ein junger Mann, der ohne Angehörige nach Deutschland geflüchtet und mit dem sprachlich keine Verständigung möglich war. „Das hat mich sehr bewegt. Ich werde das nie vergessen“, sagt Walkusz.