Können wir mal nicht über Corona reden? Psychologen geben Tipps
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Einmal nicht über Corona zu sprechen ist ein Wunsch, den mittlerweile viele Menschen hegen.
© Quelle: imago images/photonews.at
Hannover. Der Tag beginnt mit den neusten Corona-Zahlen, dann überschlägt er sich mit Eilmeldungen und am Ende des Tages wird zusammengefasst – und das Resümee ist oft nicht positiv. Doch bei Zahlen, Daten und Fakten hört das Corona-Tagesgeschäft ja längst nicht auf. Wer den zwischenmenschlichen Kontakt sucht, stößt auch hier irgendwann unmittelbar auf das Thema Corona. Wie könnte es auch anders sein, die Pandemie hat so gut wie jeden Lebensbereich eingenommen?
So sehr, dass sich oft die Frage stellt, über was man sich eigentlich vor Corona unterhalten hat. Den Wunsch, zu anderen Vor-Corona-Themen zurückzukehren, verspüren sicherlich viele Menschen. Doch wie kann das gelingen?
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Die Pandemie und wir
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Fünf Minuten sind erlaubt – mehr nicht
„Das ist ein bisschen wie zu sagen: ‚Denk nicht nicht einen rosa Elefanten‘“, sagt die Psychologin Doktor Sabine Radestock. „Dann nicht an den Elefanten zu denken, funktioniert nicht.“ Die Psychologin rät deshalb dazu, das Thema nur kurz anzusprechen – um es so nicht zum obersten Gesprächsthema werden zu lassen. „Ich habe die Erfahrung selbst im Freundeskreis gemacht, dass wir gesagt haben, man spricht kurz drüber – gibt es etwas Neues? Und dann lässt man es auch.“ Das sei praktikabler, als ein generelles Verbot auszusprechen, denn vieles brenne den Menschen einfach auf der Seele. Solange es nicht überhandnehme und man nichts anderes tue, als sich zu beschweren, sei ein kurzes Update hinsichtlich Corona im Rahmen, findet Radestock.
Darüber hinaus könne man sich auf Zeiten einigen, in denen nicht über die Krise gesprochen wird. In der Familie könne das beispielsweise beim gemeinsamen Abendessen sein. „Wenn man beispielsweise zusammen kocht, geht es in dem Moment um den Prozess. In der Familie können Aufgaben neu verteilt werden: ‚Du deckst den Tisch, du schneidest das Gemüse‘, wodurch neue Strukturen entstehen können.“ Und neue Strukturen offenbarten oft auch neue Gesprächsthemen, so Radestock.
Wer Corona anspricht, muss einen Straf-Euro bezahlen
„Es ist wirklich schwierig, das Thema zu meiden“, sagt auch die Psychologin Andrea Heine vom Berufsverband Deutscher Psychologen. „Da hilft meiner Meinung nach manchmal nur noch, dass man sich eine ganz klare Regel setzt. Sich eine bewusste Auszeit, beispielsweise für die nächsten zwei Stunden, nimmt.“ Dazu sollte man konsequent das Radio und den Fernseher ausgeschaltet lassen und eine regelrechte Abschottung – für kurze Zeit – stattfinden lassen, so Heine.
Damit sich alle daran halten, könne durchaus der Straf-Euro eingeführt werden: Wer anfängt, über Corona zu sprechen, muss einen Euro bezahlen – oder zum Beispiel den Abwasch übernehmen. Für ein, zwei Stunden könne man solche Regeln durchaus mal ausprobieren, findet Heine.
„Ausbrechen“ und neue Erlebnisse schaffen
Doch worüber soll man in der coronafreien Zeit überhaupt sprechen? Wer fünf Tage die Woche im Homeoffice hängt und seit 398 Tagen die selbe Route beim Spazieren einschlägt, erlebt nun mal nicht allzu viel. „Das Gute ist, dass wir Menschen wirklich viel Fantasie haben, die können wir nun nutzen“, sagt Radestock. Eine Möglichkeit, um neue Anregungen zu erhalten, sei, ein neues Buch zu lesen oder eine Serie zu schauen – allerdings nicht allein. „Man kann mit einer Freundin ein neues Buch gemeinsam anfangen und sich dann zu einem festen Datum verabreden, an dem über das Gelesene gesprochen wird. Das schafft gemeinsame neue Erlebnisse.“ Ob alleine oder gemeinsam, beim Lesen wird die Fantasie angeregt: „Das ist wie ein Ausbruch in eine neue Welt – und wir alle tragen die Fähigkeit in uns, durch Fantasie neue Welten zu erschaffen.“
Bewusst nach „Neuem“ suchen
Das gelinge auch durch andere kreative Tätigkeiten, wie zeichnen, malen, ganz bewusst einen Film zu schauen oder beim Durchstöbern alter Fotos. Wer auf der „Suche“ nach Neuem ist, werde fündig. „Mit einem neuem Bewusstsein fallen einem plötzlich ganz andere Dinge auf, wie eine schöne Straßenecke beim Spaziergang beispielsweise“, sagt Radestock.
Ein zusätzlicher Tipp zum Buch- oder Serienclub ist laut Radestock, sich zu einem Videogespräch zu verabreden, anstatt bloß zu telefonieren. „Je nachdem, mit wem man sich trifft, muss man sich für einen Videoanruf fertigmachen und das Sofa verlassen – fast wie bei einem echten Treffen. Das schafft Struktur und Verbindlichkeit.“
Die Highlights des Tages abrufen – abseits von Corona
„In der Verhaltenstherapie ist es eine beliebte Methode, ein Positivtagebuch zu führen. Abends schreibt man das schönste Highlight des Tages auf. Natürlich kann man es sich auch erzählen und nachfragen: ‚Was war heute dein schönster Moment?‘“ Wer sich diese kleinen Geschichten abseits von Corona erzählt und ins Gedächtnis ruft, erreicht eine „positive Achtsamkeit“, sagt die Psychologin. Auch Komplimente, die man erhalten habe, aufzuschreiben sorge für ein positives Mindset.
Die Menschen direkt ansprechen
Doch man kennt seine Pappenheimer, wie es so schön heißt. Personen, die einmal auf das Impfen, Jens Spahn oder die Maskenpflicht angesprochen, so richtig loslegen – und auch keine andere Meinung akzeptieren. Bei besonders hartnäckigen Fällen, mit denen man wirklich nicht über die Corona-Krise sprechen will, rät Radestock: „Es ist ein sehr überraschendes Experiment, die Menschen direkt anzusprechen. Also, zu sagen: ‚Ich finde, das Thema ist jetzt durch, ich will gar nicht darüber sprechen.‘“
Manchmal sei diese Direktheit eine Chance, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Man sollte aber besser nicht sagen, dass es wichtigere Themen gibt. Denn für die Person ist es nun mal gerade äußerst wichtig. Aber den eigenen Wunsch zu thematisieren kann überraschend viel beim Gegenüber bewirken.“
Psychologin Heine rät dagegen, wenn es möglich ist, derartige Gespräche schlichtweg zu meiden. „Das kann man sich einmal anhören, wer aber extrem hartnäckig immer wieder von dem Thema anfängt, von dem würde ich mich tatsächlich fernhalten.“ Dabei gehe es auch um den eigenen Schutz und die mentale Gesundheit. Denn „an manche Menschen, beispielsweise Corona-Leugner, kommt man einfach nicht heran“.
Das Leben drumherum sehen und wahrnehmen
All diese Tipps sollen aber nicht dazu führen, dass man die Corona-Krise einfach ignoriert. Sich zu informieren, an Maßnahmen zu halten und auf seine Mitmenschen zu achten, bleiben natürlich die vorherrschenden Gebote, betonen die Experten. Die Corona-Krise sollte auch keinesfalls heruntergespielt werden, sagt auch Radestock. Es sei aber auch wichtig, „dass man das Leben drum herum nicht vergisst.“ Nicht alle Gefühle und alle Ereignisse sollten auf Corona reduziert werden. Es sei wichtig, Dinge und Themen auch wieder über die Pandemie hinaus wahrzunehmen und ganz bewusst zu erleben.