WHO ruft internationale Notlage aus

Affenpocken in Europa: Wird das Virus einfach bleiben?

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme Affenpockenviren.

Diese elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt Affenpockenviren.

Nigeria kennt das Affenpockenvirus. 2017 tauchte es plötzlich wieder in dem westafrikanischen Staat auf, nachdem es mehrere Jahrzehnte keine Fälle mehr gegeben hatte. Seitdem kommt es immer wieder zu Infektionen, die mit Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen sowie den charakteristischen, teils sehr schmerzhaften Flecken und Pusteln auf der Haut einhergehen. Der Affenpocken-Ausbruch in Nigeria dauert bis heute an. Das Virus ist endemisch geworden.

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Mittlerweile sind Affenpocken aber nicht nur ein Problem in Nigeria. Weltweit haben Gesundheitsbehörden seit diesem Frühjahr Fälle mit dem Virus gemeldet, vor allem in Europa. Spanien hat inzwischen mehr als 3100 Infektionen verzeichnet, wie Daten der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC zeigen. Großbritannien kommt auf rund 2100 Fälle, Frankreich auf etwa 1450. Auch Deutschland ist betroffen: Dort sind dem Robert Koch-Institut (RKI) insgesamt 2268 Fälle bekannt.

Anders als Nigeria ist Europa mit Affenpocken nicht vertraut. Es mangelt an Erfahrungswerten und Mechanismen, die sich die Länder zunutze machen können. Bisher gab es nur vereinzelte Infektionen mit dem Affenpockenvirus in Europa, die vor allem Reisende aus afrikanischen Ländern eingeschleppt hatten. Der jetzige internationale Ausbruch hat größere Dimensionen. Daher hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Affenpocken am Samstag als „Notlage von internationaler Tragweite“ ausgerufen, also die höchste Alarmstufe. Doch lassen sich die Affenpocken überhaupt noch eindämmen? Oder ist diese Chance längst vertan?

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Wie Nigeria gegen Affenpocken vorgeht

Um das Affenpockenvirus in Europa auszubremsen, braucht es in erster Linie eine Strategie. Dafür kann es hilfreich sein, einen Blick über die Landesgrenzen hinaus zu werfen – zum Beispiel in Länder, die schon seit Jahren mit dem Erreger zu tun haben wie Nigeria.

Das bevölkerungsreichste Land Afrikas hat frühzeitig auf den internationalen Affenpocken-Ausbruch reagiert. Ende Mai hatte die nigerianische Seuchenschutzbehörde NCDC einen ressortübergreifenden, nationalen Krisenstab aktiviert: das Emergency Operations Center for Monkeypox (MPX-EOC). Das Gremium ist dafür zuständig, die unterschiedlichen Maßnahmen zu koordinieren. Dazu zählt etwa die Kontaktnachverfolgung.

Menschen mit Affenpocken typischen Symptomen können sich in Nigeria mit einem PCR-Test auf das Virus testen lassen und werden schon vor dem Testergebnis isoliert. Fällt der Test positiv aus, informieren die Behörden Kontakte im näheren Umfeld der infizierten Person und verhängen eine Quarantäne, um frühzeitig die Infektionskette unterbrechen zu können, erklärte Lateefat Amao, Leiterin von MPX-EOC, in einem Webseminar Ende Juni. Dieses Vorgehen hat auch im Kampf gegen das Coronavirus an Bedeutung gewonnen.

Zudem hat Nigeria ein digitales, nationales Überwachungssystem, das Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System, kurz „Sormas“. Es ermöglicht eine Echtzeiterfassung von Infektionsfällen, die den Gesundheitsbehörden dabei hilft, das Infektionsgeschehen zu bewerten und mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren. Entwickelt wurde „Sormas“ unter anderem vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig, um gegen Ebola vorzugehen. Mittlerweile kam es auch schon gegen Covid-19 zum Einsatz.

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RKI: Gefahrenlage in Deutschland derzeit „gering“

Nigerias Strategie gegen die Affenpocken hat sich bezahlt gemacht: Nach Angaben der US-Seuchenschutzbehörde CDC hat das Land in diesem Jahr bislang nur rund 100 Infektionen verzeichnet. Die Fallzahlen sind also um ein Vielfaches kleiner als in europäischen Ländern wie Deutschland. Braucht es hierzulande also auch einen Affenpocken-Expertenrat? Ein digitales Echtzeit-Meldesystem?

In Deutschland werden Affenpocken zurzeit eher stiefmütterlich behandelt. Zuletzt waren sie fast vollständig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Auch deshalb, weil die meisten Infektionen mild verlaufen – also augenscheinlich keine relevante Gefahr vom Virus ausgeht. Eine Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung schätzt das RKI derzeit als „gering“ ein.

Bisher haben sich vor allem Männer, die sexuellen Kontakt mit anderen Männern haben, mit dem Erreger infiziert. Aber auch fünf Frauen sind unter den Betroffenen. Infektionen bei Kindern sind derweil in Deutschland nicht bekannt. Das Infektionsgeschehen sei also noch „eng begrenzt“, sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing.

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Weitere Fälle mit Vorsichtsmaßnahmen vermeidbar

Ein Ende der Affenpocken-Infektionen ist jedoch noch nicht in Sicht. Das RKI erwartet weitere Fälle, ist aber überzeugt, dass sich der Ausbruch in Deutschland begrenzen lässt. „Es wird bis zum Spätsommer oder Frühherbst dauern, bis wir sehen, ob die Bemühungen, den Ausbruch einzugrenzen, erfolgreich waren“, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade Anfang Juli den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Voraussetzung für ein Abflachen der Infektionskurve sei, dass Fälle rechtzeitig erkannt und Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt werden.

Das heißt etwa, wer sich mit dem Affenpockenvirus infiziert hat, sollte Kontakt zu anderen vermeiden, sich vorsichtshalber mindestens 21 Tage in Isolation begeben und enge Kontaktpersonen über seine Ansteckung informieren. Im Verdachtsfall sollte ein Arzt oder eine Ärztin kontaktiert werden, um eine Infektion abzuklären.

Impfungen helfen gegen Affenpocken

Eine weitere Vorsichtsmaßnahme ist die Impfung. Mit Imvanex ist in der EU ein regulärer Pocken-Impfstoff verfügbar, der nachweislich auch Schutz vor Affenpocken bieten kann. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt allen Erwachsenen ab 18 Jahren, die Kontakt zu einer mit Affenpocken infizierten Person hatten, sich impfen zu lassen. Dies sollte bis zu 14 Tage nach Kontakt geschehen. Die Stiko hat sich für ein Zwei-Dosen-Schema in einem zeitlichen Abstand von mindestens 28 Tagen ausgesprochen. Wer in der Vergangenheit schon gegen Pocken geimpft worden ist, braucht nur eine Dosis.

Stiko empfiehlt Affenpocken-Impfung für Risikogruppen

Die Ständige Impfkommission empfiehlt bestimmten Menschen eine Impfung gegen Affenpocken. Unterdessen steigen die Fallzahlen in Deutschland weiter.

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Genauso sollten sich Menschen gegen Affenpocken impfen lassen, die ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Also zum Beispiel Männer, die Sex mit anderen Männern haben und dabei häufig den Partner wechseln, und Personal in Speziallaboratorien, die mit infektiösen Proben arbeiten.

Da der Impfstoff Imvanex zurzeit limitiert ist, rät die Stiko dazu, vor allem die Kontaktpersonen zu impfen. Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, schwer zu erkranken, sollten grundsätzlich Vorrang haben. Wegen der Impfstoffknappheit hat das Gremium nun zudem festgelegt, dass zunächst nur eine Dosis verabreicht werden soll. Die Zweite solle zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.

Virus könnte endemisch werden

Mit dem Impfstoff steht Deutschland ein wichtiges Instrument gegen die Affenpocken zur Verfügung. Eines, auf das Nigeria bislang verzichten muss. Nun geht es darum, dieses Werkzeug auch richtig einzusetzen. Wie viele Affenpocken-Impfungen bisher durchgeführt wurden, ist unklar. Es fehlt an Daten. Genauso lässt sich nicht abschätzen, wie viele Menschen für eine Impfung überhaupt in Frage kommen. Das RKI geht von rund 130.000 Menschen aus.

Prinzipiell kann das Affenpockenvirus auch in Deutschland endemisch werden.

Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing

„Eine weitere Verbreitung der Affenpocken sollte jetzt so gut wie möglich verhindert werden“, macht das RKI auf seiner Internetseite deutlich. Zum einen, um schwere Verläufe zu vermeiden; zum anderen, um zu verhindern, dass das Virus in Deutschland dauerhaft bestehen bleibt. „Sollte dies passieren, wäre mittelfristig auch mit Fällen in besonders gefährdeten Gruppen (Schwangere, Kinder, Immunsupprimierte, ältere Menschen) zu rechnen“, heißt es vom RKI. „Außerdem besteht immer ein gewisses Risiko, dass sich das Virus verändert und möglicherweise auch krankmachender werden könnte.“

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„Prinzipiell kann das Affenpockenvirus auch in Deutschland endemisch werden“, sagte Infektiologe Wendtner, „wenn die Fallzahlen in den nächsten Wochen und Monaten weiter steigen und sich das Virus außerhalb der MSM-Szene (Männer, die mit Männern Sex haben, Anm. d. Red.) verbreitet.“ Das Risiko, dass Affenpocken wirklich endemisch werden, sei nach jetzigem Kenntnisstand aber eher als „gering“ einzuschätzen.

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