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Australien: Delta-Variante infiziert Hunderte Ureinwohner

Trügerisches Outback-Idyll: Das Örtchen Wilcannia in New South Wales (Australien) hat gerade einmal 750 Einwohnerinnen und Einwohner, die meisten von ihnen gehören der indigenen Bevölkerung an und leiden derzeit extrem unter der Corona-Pandemie.

Trügerisches Outback-Idyll: Das Örtchen Wilcannia in New South Wales (Australien) hat gerade einmal 750 Einwohnerinnen und Einwohner, die meisten von ihnen gehören der indigenen Bevölkerung an und leiden derzeit extrem unter der Corona-Pandemie.

Wilcannia ist einsam gelegen: 950 Kilometer sind es von hier bis Sydney, über 800 Kilometer nach Melbourne und rund 700 Kilometer bis nach Adelaide. Selbst die nächstgrößere Stadt Broken Hill ist eine zweistündige Autofahrt entfernt. Gerade mal 750 Menschen leben in der abgelegenen Ecke im australischen Outback, der Großteil Aborigines. Lange Zeit rechnete niemand damit, dass sich das Coronavirus bis hierhin ausbreiten würde.

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Doch das Worst-Case-Szenario trat ein, nachdem bei einer Beerdigung Familienmitglieder und Freunde aus anderen Teilen des Landes anreisten und das Virus vermutlich mitbrachten. Inzwischen sind es über 60 Covid-19-Fälle in Wilcannia. Damit ist die Infektionsrate um ein Vielfaches höher als die von Sydneys schlimmstem Hotspot. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stadt über nur ein Beatmungsgerät verfügt.

Die Krise hat zudem bereits zu Panikkäufen geführt. Fleisch ist ausverkauft, der einzige Supermarkt im Dorf musste vorübergehend schließen, damit er ausführlich gereinigt werden konnte, nachdem Infizierte dort eingekauft hatten. Aufnahmen der lokalen Radiostation auf sozialen Medien zeigen, dass die Straßen der Ortschaft inzwischen wie leer gefegt sind.

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Ein „nationaler Notfall“

Die sozialdemokratische Politikerin Linda Burney, die selbst indigener Abstammung ist, nannte die Situation im Westen von New South Wales, dem Bundesstaat, in dem auch Sydney liegt, einen „nationalen Notfall“. Gegenüber dem lokalen Sender SBS sagte sie, es sei „eine Katastrophe“, was sich dort im Westen abspiele. 75 Prozent der insgesamt über 400 Fälle in der Region seien Aborigines und 40 Prozent davon seien Kinder unter 15 Jahren. Auf Twitter beschuldigte sie die australische Regierung, die indigene Bevölkerung hintangestellt zu haben, und das, obwohl Premier­minister Scott Morrison zunächst noch gesagt habe, dass die Impfung der Aborigines „eine Priorität“ sei.

Auch viele der Bürgerinnen und Bürger vor Ort sind inzwischen verärgert und werfen der Politik vor, sie im Stich gelassen zu haben. Monica Kerwin, eine einheimische Frau aus Wilcannia, sagte diese Woche in einem Facebook-Video, sie befürchte, das nur Leichensäcke ausreichend vorhanden seien. „Das einzige, was sie herbringen, sind Leichensäcke.“ Kerwin berichtete von einer jungen, mit Covid infizierten Frau, die vor Ort nicht behandelt werden konnte und vom Krankenhaus abgewiesen worden sei. Später sei sie aufgrund ihrer Atemprobleme nach Adelaide ausgeflogen worden. „Leute da draußen, macht das bekannt“, sagte sie. „Das passiert gerade in Wilcannia.“ Über sich selbst sagte Kerwin in ihrem Video­statement, sie weine nur noch und sei erschöpft.

Kluft zwischen Indigenen und dem Rest des Landes

Der staatliche australische Sender ABC meldete zudem vergangene Woche, dass die medizinischen Dienste für die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner vor dem Corona-Ausbruch nicht ausreichend mit Impfstoffen versorgt worden seien. Jamie Newman vom Orange Aboriginal Medical Service soll über Wochen mehr Impfstoff­lieferungen angefordert haben. Die Leute hätten die Impfungen begrüßt, doch dann habe er innerhalb von 14 Tagen nur 100 bis 200 Impfstoff­dosen erhalten. „Damit können Sie die Verbindung zu den Gemeinden nicht aufrechterhalten“, sagte er. „Sie bieten dann ja etwas an, das nicht vorhanden ist.“ Sie würden einfach mehr Impfstoffe brauchen. „Wir sind genauso wichtig wie die Menschen in Sydney.“

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Auch eine aktuelle Recherche der lokalen Ausgabe des „Guardian“ zeigte, dass eine große Kluft zwischen der Impfrate der indigenen und der nicht indigenen Bevölkerung in Australien besteht, und bestätigte damit die Vorwürfe von Burney, Kerwin und Newman. In vier Bezirken im Bundesstaat New South Wales – der mittleren Nordküste, dem Westen, dem äußersten Westen und dem Norden – ist die Impfrate bei der indigenen Bevölkerung nur halb so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. Dabei hatte es im ursprünglichen Kampagnenplan im März noch geheißen, dass die Aborigines und die Bewohner der Torres-Strait-Inseln priorisiert werden müssten. Grund ist, dass der Gesundheits­zustand vieler indigener Australierinnen und Australier schlechter sowie ihre Lebenserwartung nach wie vor niedriger ist als die der übrigen Bevölkerung. Gleichzeitig soll – laut einem weiteren Bericht der ABC vom Sonntag – die Impfskepsis unter den Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern hoch sein. Viele würden vor allem den Impfstoff von Astrazeneca ablehnen – ein Problem, das die australische Regierung landesweit hat, nachdem die Kommunikation rund um das Vakzin lange Zeit verwirrend war.

Hilfsaktion zeigt erste Früchte

Inzwischen ist aber zumindest für Wilcannia Hilfe unterwegs: Seit dem Ausbruch im Westen von New South Wales wurde der Impfstoff von Biontech/Pfizer nun vor Ort gebracht. Sowohl die „fliegenden Ärzte“ des Landes, der sogenannte Royal Flying Doctor Service, wie auch das australische Militär helfen inzwischen bei der Impfaktion mit. Zudem erhielt der Spendenappell einer lokalen Frau große Resonanz in ganz Australien. Am Wochenende waren bereits über 280.000 australische Dollar, umgerechnet über 170.000 Euro gesammelt worden, um Lebensmittel, unter anderem Fleisch sowie frisches Obst und Gemüse, in den abgelegenen Ort zu transportieren.

Taunoa Bugmy, die Organisatorin der Spendenaktion, deren Familie teilweise aus Wilcannia stammt, schrieb in der Petition, dass die Lebens­erwartung der Menschen in dem Ort „dramatische 30 Jahre niedriger“ sei als die der nicht indigenen Bevölkerung Australiens. Sie selbst habe viele Angehörige zu früh durch chronische Krankheiten verloren. Der zusätzliche Corona-Ausbruch sei nun eine Katastrophe für die Gemeinschaft. Unser Volk mag „in seiner Spiritualität stark sein“, schrieb sie. „Aber physisch wird dies die Stärke und Widerstands­fähigkeit unseres Volkes wirklich auf die Probe stellen.“

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