Australiens Delta-Ausbruch wird zum Testlabor für die Welt

Wütende Demonstranten protestieren am Sonntag gegen den Lockdown in australischen Großstädten und werfen Plastikflaschen sowie Topfpflanzen auf berittene Polizisten in Sydney.

Wütende Demonstranten protestieren am Sonntag gegen den Lockdown in australischen Großstädten und werfen Plastikflaschen sowie Topfpflanzen auf berittene Polizisten in Sydney.

Monatelang schien Australien eine „Insel der Seligen“ zu sein. Geschlossene Grenzen, strikte Quarantäneregeln und eine ausgeklügelte Kontaktverfolgung hatten das Coronavirus zeitweise völlig eliminiert. Kleinere Ausbrüche brachten die Großstädte in den vergangenen Monaten mit Blitzlockdowns meist innerhalb weniger Tage wieder unter Kontrolle.

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Doch dann kam die Delta-Variante – die bisher ansteckendste Mutante – die deutlich infektiöser als das ursprüngliche Virus aus Wuhan oder die ebenfalls besonders ansteckende Alpha-Variante aus Großbritannien ist. Diese hat das Leben in Australiens Millionenmetropole Sydney nun seit Ende Juni zum Stillstand gebracht. Derzeit verzeichnet die Stadt täglich weit über 100 neue Covid-Fälle. Inzwischen hat sich das Virus auch auf andere Bundesstaaten ausgebreitet, die teilweise ebenfalls Ausgangssperren ausrufen mussten. Die bisher so erfolgreiche No-Covid-Strategie Australiens scheint damit gescheitert.

1000-mal höhere Virusmenge

Grund dafür ist laut Raina MacIntyre, einer Epidemiologin der Universität von New South Wales, dass die Delta-Variante einfach deutlich schwieriger unter Kontrolle zu bringen ist als frühere Varianten. Die Virusmenge, die im Falle der Delta-Variante von infizierten Menschen ausgeschieden werde, sei über 1000-mal höher als die des ursprünglichen in Wuhan identifizierten Stamms, schrieb die Forscherin in einem Fachartikel für das akademische Magazin „The Conversation“. Eine neue Studie, die allerdings noch nicht durch ein Peer-Review-Verfahren gegangen ist, deutet laut der Expertin zudem darauf hin, dass Delta mehr als doppelt so häufig Aufenthalte im Krankenhaus oder in der Intensivstation und doppelt so häufig Todesfälle verursacht.

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„Delta macht die Arbeit so viel schwieriger“, schrieb MacIntyre. Die Expertin zitierte eine weitere Studie, die zeigte, dass die durchschnittliche Zeit von der Exposition bis zur Infektion im Jahr 2020 sechs Tage betrug, bei Delta jedoch nur noch vier Tage. „Dies macht es schwieriger, Kontakte zu identifizieren, bevor sie infiziert werden.“ Aufgrund dieser schnellen Verbreitung habe die erfolgreiche Kontaktverfolgung in Sydney, die bisherige Ausbrüche des Coronavirus so gut unter Kontrolle gehalten habe, nicht ebenso gut gegen die Delta-Variante funktioniert.

Deutlich schnellere Infektion

Laut der Gesundheitsbehörden im Bundesstaat New South Wales, in dem Sydney liegt, sind im Falle der Delta-Variante beispielsweise fast 100 Prozent der Haushaltsmitglieder bereits infiziert, wenn sie mit der Kontaktverfolgung beginnen, verglichen mit etwa 30 Prozent im vergangenen Jahr. Aus Südaustralien berichteten die Behörden sogar, dass sich Menschen innerhalb von 24 Stunden nach der Exposition bereits infiziert hatten und auch ansteckend waren.

„Es breitet sich so schnell aus, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben“, sagte die Ministerpräsidentin des Bundesstaates New South Wales, Gladys Berejiklian, in einer ihrer täglichen Pressekonferenzen. Die Menschen würden sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern selbst im Supermarkt oder in der Apotheke anstecken. Dies treibt die Fallzahlen in Sydney derzeit trotz eines strengen Lockdowns nach oben. Allein in den vergangenen zwei Wochen verzeichnete die Stadt über 1500 Fälle. Am Freitag wurde sogar der Notstand ausgerufen. Vor allem der Tod einer 38-jährigen Frau am Wochenende schockierte die Menschen.

Infektion im Freien sehr wahrscheinlich

Lockdowns, Quarantäne und Kontaktverfolgung funktionieren im Falle der Delta-Variante nur noch bedingt. Laut MacIntyre mache die neue Variante deswegen Impfungen besonders dringlich. Im Falle von Australien sind jedoch weniger als 13 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. „Die Tatsache, dass wir weitgehend ungeimpft sind, macht uns anfällig für schwere Ausbrüche, insbesondere bei der schwereren Delta-Variante“, sagte sie. „In einer weitgehend ungeimpften Bevölkerung ist dieses tödlichere Virus katastrophal.“

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Letzteres zeigte sich über die vergangenen Wochen und Monate vor allem in Indien und Indonesien, wo das Virus Tausende Todesopfer forderte. Doch während die Pandemie in diesen Ländern weitestgehend unkontrolliert wütet, ist Australiens Datenlage exzellent. Internationale Experten erhoffen sich deswegen nun wichtige Erkenntnisse von dem australischen Ausbruch. Der ehemalige Harvard-Professor Eric Feigl-Ding, ein Epidemiologe und Gesundheitsexperte in den USA, interessiert sich beispielsweise besonders für Infektionen, die in einem Sportstadion in Melbourne stattfanden, sowie für Fälle in Sydney, die sich in einem Café im Freien angesteckt haben. All diese Menschen haben sich das Virus laut der australischen Gesundheitsbehörden ohne direkten Kontakt zum Infizierten geholt.

Feigl-Ding zieht daraus den Rückschluss, dass die Delta-Variante auch im Freien übertragen werden kann – einfach, weil die Viruslast so hoch sei. „Es ist etwas, das die Leute zuvor abgelehnt hatten, weil es entweder selten oder schwer nachzuverfolgen war“, sagte er dem australischen Sender ABC. Doch die Beispiele aus Australien zeigen seiner Meinung nach nun das Gegenteil.

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