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Experte über Corona-Varianten: „Die vielen Mutationen entstehen wegen der wahnsinnig hohen Fallzahlen“

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des „U.S. National Institute of Health“ zeigt das Coronavirus (SARS-CoV-2), das aus der Oberfläche von im Labor kultivierten Zellen austritt (undatierte Aufnahme). (Archivbild)

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des „U.S. National Institute of Health“ zeigt das Coronavirus (SARS-CoV-2), das aus der Oberfläche von im Labor kultivierten Zellen austritt (undatierte Aufnahme). (Archivbild)

Die Corona-Variante Omikron ist inzwischen auch in Deutschland angekommen. Fachleute schauen mit Sorge auf die genetischen Veränderungen des Virus: Mehr als 30 Mutationen wurden allein am Spike-Protein der Variante festgestellt. Wie sich das Virus derart verändern konnte, stellt Expertinnen und Experten vor Rätsel.

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Virologinnen und Virologen wie Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie forschen an Virusvarianten, um ihre Entstehung besser zu verstehen. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt er, warum sich das Coronavirus überhaupt verändert – und unter welchen Bedingungen Mutationen entstehen.

Herr Grundhoff, mit Omikron hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine fünfte Variante des Coronavirus als „besorgniserregend“ bezeichnet. Ist es ungewöhnlich, dass wir es schon wieder mit einer neuen Variante zu tun haben?

Mutationen sind grundsätzlich normal und finden bei allen Lebewesen statt, auch bei Menschen. Nur geht das bei uns über wesentlich längere Zeiträume. Viren haben dagegen vergleichsweise hohe Mutationsraten. HIV ist beispielsweise extrem mutabel, Influenza auch – Coronaviren jedoch nicht ganz so sehr. Die Mutationsrate liegt etwa zehnfach unter der der Influenzaviren und hundertfach unter der von HIV.

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Warum entstehen dann aber so regelmäßig neue Corona-Varianten, wenn die Mutationsrate des Virus eigentlich vergleichsweise gering ist?

Die vielen Mutationen entstehen vor allem wegen der wahnsinnig hohen Fallzahlen. Insgesamt kann es in der Natur unterschiedliche Ursachen für die Entstehung von Mutationen geben. Bei Menschen kann zum Beispiel Strahlung zu Fehlern in der Erbsubstanz führen. Viele Viren machen dagegen sozusagen routinemäßig Fehler beim Kopieren der eigenen Erbsubstanz. Das können sie sich leisten, da sie meist extrem viele Nachkommen in kurzer Zeit produzieren. Viele davon sind zwar defekt, doch aufgrund der schieren Masse an Nachkommen entstehen auch zufällig solche, die an veränderte Umwelteigenschaften – also beispielsweise die Immunantwort ihres Wirtes – besser angepasst sind.

Wenn man den Verlauf der Pandemie mit den zeitweise explodierenden Infektionszahlen betrachtet, könnte man meinen, dass das Coronavirus eigentlich schon gut genug an den Menschen angepasst war.

Tatsächlich war das Coronavirus am Anfang der Pandemie eher nicht gut an den Menschen angepasst. Es konnte zwar viele Menschen infizieren, das lag aber daran, dass wir noch keine Immunabwehr dagegen hatten. Nun haben aber viele seiner Wirte eine Immunabwehr gegen das Virus aufgebaut, nicht zuletzt wegen der Impfungen. Weil wir außerdem viele Fälle haben, gibt es auch viele Genesene mit einer Immunabwehr. Das Virus muss sich nun besser anpassen, um seine Wirte – also Menschen – weiterhin infizieren zu können. Deswegen werden entsprechend mutierte Viren zunehmend einen Vorteil erlangen.

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Was brauchen Viren denn, um besser an ihre Wirte angepasst zu sein?

Wenn das Virus in der Lage sein will, Wirte in einer Bevölkerung zu infizieren, die es schon mal infiziert hat, muss es vor allem die Fähigkeit der Immunflucht haben. Das heißt, es muss in der Lage sein, dem Immunsystem zumindest teilweise zu entgehen. Dazu gehört, dass es beispielsweise Stellen auf der Oberfläche verändert, die oft durch Antikörper erkannt werden. Die bisherigen Varianten wie Alpha und Delta waren noch weniger auf Immunflucht ausgelegt. Sie haben sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass sie leichter zu übertragen waren. Deswegen haben sie sich durchgesetzt.

Ich denke, dass Omikron sich wahrscheinlich als etwas, aber nicht als wesentlich ansteckender als Delta erweisen wird.

Trifft mit Omikron aber nun eine Corona-Variante auf uns, die auf Immunflucht ausgelegt ist?

Genau das würde ich bei Omikron annehmen. Die Vielzahl von Mutationen, die eben genau in den kritischen Stellen auftreten – also beispielsweise Antikörper-Bindestellen –, lassen vermuten, dass es sich um eine Fluchtmutante handelt. Dann gibt es auch noch Mutationen an Stellen, die die Übertragungsfähigkeit beeinflussen könnten. Hinsichtlich der Übertragbarkeit würde ich allerdings vermuten, dass das Virus langsam das Ende der Fahnenstange erreicht hat. Ich denke, dass Omikron sich wahrscheinlich als etwas, aber nicht als wesentlich ansteckender als Delta erweisen wird. Überraschend ist aber, wie plötzlich Omikron aufgetaucht ist. Für an Evolution interessierte Virologen stellt sich nun die Frage: Wo kommt Omikron her, wie ist die Variante entstanden?

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Einige Expertinnen und Experten vermuten, dass Omikron in einem mit HIV infizierten Menschen entstanden ist. Was sagen Sie dazu?

Es ist natürlich möglich, dass diese Variante in einem Menschen mit unterdrücktem Immunsystem entstanden ist. Die Hypothese ist auch deshalb naheliegend, weil es in Südafrika vergleichsweise viele HIV-Patienten gibt. Und in der Vergangenheit hat man bei immunsupprimierten Menschen mit einer sogenannten chronischen Sars-CoV-2 Infektion – also einer Infektion, die über mehrere Wochen geht – beobachtet, dass sich das Virus über die Zeit hinweg verändert. Ich halte es allerdings nicht für die wahrscheinlichste Hypothese, dass Omikron in einem Menschen mit einem unterdrückten Immunsystem entstanden ist.

Die Vielzahl an Mutationen spricht meiner Meinung nach dafür, dass komplexere Vorgänge dafür verantwortlich waren.

Grundhoff über Omikron

Was spricht gegen die Hypothese?

Vor allem die Komplexität, also die große Menge an Mutationen, die Omikron aufweist. In einem HIV-Infizierten oder einem anderen immunsupprimierten Patienten, der im Krankenhaus behandelt wird, würde ich vielleicht ein paar dieser Mutationen erwarten, aber nicht diese Menge. Auch die Tatsache, dass diese Mutationen an Stellen liegen, die eine Immunflucht suggerieren, spricht gegen die Hypothese. Schließlich übt das unterdrückte Immunsystem von HIV-Erkrankten kaum Druck auf Coronaviren aus, eine Immunflucht zu entwickeln. Möglich wäre zwar, dass diese Patienten zum Beispiel mit Antikörper-Präparaten behandelt wurden und dieser Faktor einen Immundruck auf das Virus ausgeübt hat. Aber selbst dann würde ich nicht derart viele Mutationen erwarten, wie sie bei Omikron aufgetreten sind.

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Welche Erklärung für die Entstehung von Omikron halten Sie für wahrscheinlicher?

Die Vielzahl an Mutationen spricht meiner Meinung nach dafür, dass komplexere Vorgänge dafür verantwortlich waren. So ist es wahrscheinlicher, dass das Virus irgendwo in einer menschlichen Population entstanden ist, die vielleicht ein wenig isoliert war und in der man eine hohe Rate an Menschen hatte, die schon genesen und immun waren. Das heißt, dass das Virus in einer relativ kleinen Population über längere Zeit einem hohen Druck ausgesetzt war und deshalb eine Immunflucht entwickelt hat.

Oft ist es so, dass die Anhäufung von Immunflucht-Mutationen im Gegenzug negative Auswirkungen auf die Übertragbarkeit hat. Wenn ein solches Virus zufällig eine weitere Mutation entwickelt, die solche Effekte zumindest teilweise wieder aufhebt, könnte eine daraus resultierende Variante aus so einer geschlossenen Gemeinschaft wieder ausbrechen. Das muss dabei nicht zwingend in Südafrika passiert sein: Es gibt eine Menge Orte, an denen wir sehr hohe Infektionsraten haben, wo aber eben nicht ständig sequenziert wird.

Wir müssen immer schauen, dass wir dem Virus einen Schritt voraus sind. Und hierfür sind die Impfstoffe der beste Weg.

Das Coronavirus mutiert demnach also dann, wenn der Immundruck hoch ist. Tragen im Umkehrschluss also auch Impfungen dazu bei, dass Mutationen entstehen?

Ja. Die Gefahr der Mutationen ist zum einen dann besonders groß, wenn viele Infektionen stattfinden und Viren erneut auf viele Wirte treffen, die sich schon mal infiziert haben und deren Immunsystem nun Druck ausübt. Dieser Immundruck ist zum anderen aber auch bei Geimpften vorhanden. Das heißt aber nicht, dass wir nicht mehr impfen sollten, nur weil Mutationen entstehen können. Das wäre so, als würden wir sagen, dass Fahndungserfolge der Polizei dazu führen, dass Diebe schlauer werden – und die Polizei aus diesem Grund nicht mehr fahnden sollte. Wir müssen immer schauen, dass wir dem Virus einen Schritt voraus sind. Und hierfür sind die Impfstoffe der beste Weg.

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Der Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery befürchtete jüngst, dass das Coronavirus irgendwann so weit mutiert, bis eine Variante entstanden ist, die „so gefährlich wie Ebola“ sein wird. Ist das eine berechtigte Sorge?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, zumindest was die Pathogenität angeht. Ebola-Viren sind im Menschen sehr pathogen, verursachen also eine sehr schwere Erkrankung. Ihr natürlicher Wirt sind allerdings wahrscheinlich Flughunde, und diese werden nicht krank. Bei Viren ist die Pathogenität in erster Linie immer ein Kollateralschaden. Davon profitiert das Coronavirus nicht, und deswegen wird es sich im Menschen auch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so entwickeln. Wahrscheinlicher ist, dass ein Virus über einen längeren Zeitraum weniger pathogen wird, wenn es sich einer Population langfristig anpasst. Das wäre für das Coronavirus sogar vorteilhafter.

Wie kann das Coronavirus davon profitieren, weniger schwere Krankheitsverläufe bei Menschen zu verursachen?

Wenn ein infizierter Mensch draußen rumläuft und nicht krank im Bett liegt, dann hat das Virus größere Chancen, andere zu infizieren. Für das Coronavirus ist es optimal, wenn der Mensch die Infektion gar nicht mitkriegt und unbemerkt andere ansteckt, dann kann es sich leichter verbreiten. Wenn so etwas in jüngeren Altersgruppen passiert, kann es aber trotzdem so sein, dass Ältere schwer erkranken. Denn das ist eine Gruppe, die für die Ausbreitung des Virus insgesamt eine eher untergeordnete Rolle spielt – also praktisch ein Kollateralschaden, den das Virus verkraften kann. Aber dass das Coronavirus noch pathogener oder gar so gefährlich wie Ebola wird, brauchen wir meiner Ansicht nach nicht zu befürchten.

Könnte man also hoffen, dass Omikron eventuell sogar weniger schwere Krankheitsverläufe verursacht?

Um das bei Omikron beurteilen zu können, haben wir noch zu wenige Fälle. Außerdem wurde bislang eher von Infektionen mit der Variante bei Jüngeren berichtet – uns fehlen also die Daten zum Krankheitsverlauf bei vulnerableren Gruppen. Theoretisch kann man trotzdem die leise Hoffnung haben, dass Omikron vielleicht eine weniger schwere Covid-19-Erkrankung auslöst – in ein paar Wochen werden wir schlauer sein.

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