FAQ: Arzneimittel für Kinder immer noch knapp, woran liegt das?
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Immer noch fehlt es an wichtigen Medikamenten für Kinder wie Antibiotika und Fiebersäften.
© Quelle: Victoria Model/Pixabay
Seit Monaten herrscht ein Mangel an Antibiotika und Fiebersäften für Kinder. Welche Wirkstoffe sind besonders knapp und woran liegt das? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Welche Kinderarzneimittel sind knapp?
In Deutschland und Europa gibt es seit Monaten Lieferengpässe bei Medikamenten für Kinder. Betroffen sind vor allem fieber- und schmerzsenkende Mittel und Antibiotika in speziellen Darreichungsformen für Kinder.
Laut Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) werden bei dessen Lieferengpass-Onlineportal seit Herbst 2022 vermehrt Meldungen zur Nichtverfügbarkeit verschiedener Antibiotika eingereicht. Diese betreffen laut BfArM „vornehmlich sogenannte Breitspektrum-Antibiotika, die bei einer Vielzahl bakterieller Infektionen zum Einsatz kommen“, aber auch Penicillin V, das bei Infektionen mit Streptokokken und ähnlichen Erregern eingesetzt wird.
Am 19. April hatte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Bundesanzeiger offiziell einen Versorgungsmangel mit antibiotikahaltigen Säften für Kinder bekannt gegeben (siehe unten). Vertreter und Vertreterinnen von europäischen Fachgesellschaften für Kinder- und Jugendmedizin hatten zudem Ende April einen offenen Brief an die Politik verfasst. Darin warnten sie vor den Folgen des Medikamentenmangels. Die Engpässe der letzten Monate führten dazu, „dass weder kindgerechte noch an Therapierichtlinien ausgerichtete Behandlungen“ möglich seien. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen werde „dadurch nachhaltig gefährdet“.
Was ist der Grund für die Knappheit bei Medikamenten?
Seit dem vergangenen Herbst waren besonders viele Kinder an Atemwegsinfektionen erkrankt. Ihr Immunschutz gegen etliche Erreger wie zum Beispiel RS-Viren hatte als Folge der Corona-Maßnahmen nachgelassen. Die Nachfrage nach fiebersenkenden Mitteln und Antibiotika war dadurch deutlich gestiegen.
So sieht das BfArM als Grund für die gemeldeten Lieferengpässe bei Kinderantibiotika „vornehmlich deutlich gestiegene Bedarfe, die nicht kompensiert werden können“, da „auch erhöhte Produktionskapazitäten eine flächendeckende und bedarfsgerechte Verfügbarkeit nicht gewährleisten“ könnten. Auch als im vergangenen Jahr Fiebersäfte für Kinder knapp wurden, hatte das BfArM gemeldet, dass „unter anderem die erhöhte Atemwegsinfektionsrate bei Kindern“ zu einem Mehrbedarf dieser Produkte geführt habe, der „nicht im vollen Umfang“ kompensiert werden könne.
Laut Bundesgesundheitsministerium hingegen sind die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln vielfältig. Zu den Gründen gehören demnach „Engpässe bei Grundstoffen“ oder auch „Produktionsprobleme“. Laut BMG findet bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien statt, vor 20 Jahren seien es noch 30 Prozent gewesen.
Der GKV-Spitzenverband als Vertretung der gesetzlichen Krankenkassen sieht einen Grund für den Medikamentenmangel in dieser Praxis der Pharmaindustrie: Diese habe in der Vergangenheit Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.
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Welche Ausweichmöglichkeiten gibt es, wenn ein Medikament fehlt?
Bei Fiebersäften für Kinder gibt es die Möglichkeit, auf eine andere Darreichungsform wie Zäpfchen oder Tabletten auszuweichen. Viele Apotheken haben wegen der Lieferengpässe auch damit begonnen, selbst Fiebersäfte für Kinder herzustellen. Diese Säfte haben die gleiche Qualität und enthalten die gleichen Wirkstoffe wie Fertigpräparate. Es kann allerdings sein, dass sie wegen ihres anderen Geschmacks von den Kindern schlechter angenommen werden.
Bei Antibiotika mangelt es an gleichwertigen Alternativen: Wenn das für ein Kind am besten geeignete Antibiotikum nicht verfügbar ist, muss laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) zu einem Antibiotikum der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber schlechter wirkt und das Risiko für sich bildende Antibiotikaresistenzen erhöht.
Welche Maßnahmen wurden eingeleitet?
Eine Maßnahme war die offizielle Anerkennung einer Versorgungsnotlage bei den Kinderantibiotika durch das BMG. Den Bundesländern gibt das mehr Spielraum beim Import von Medikamenten aus dem Ausland. Sie können nun bei Kinderantibiotika auch die Einfuhr größerer Mengen von Medikamenten erlauben, die in Deutschland nicht zugelassen sind. So hatten Rheinland-Pfalz, Bremen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bekannt gegeben, dass sie von dieser Regelung Gebrauch machen wollen.
Das Bundeskabinett hat zudem den Entwurf für ein „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) beschlossen. Es sieht unter anderem vor, bei Kindermedikamenten Fest- und Rabattverträge abzuschaffen. Pharmafirmen können dadurch ihre Preise erhöhen und die Medikamente müssen trotzdem von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Dadurch will es Gesundheitsminister Karl Lauterbach für die Konzerne attraktiver machen, Kinderarzneimittel auf dem deutschen Markt anzubieten.
Der GKV-Spitzenverband kritisierte das Gesetzesvorhaben: „Die Bundesregierung setzt hierfür alles auf eine Karte: mehr Geld für die Pharmaindustrie. Aber mehr Geld schafft nicht zwangsläufig mehr Liefersicherheit. Liefer- und Versorgungsprobleme bei Arzneimitteln haben vielfältige, meist globale Ursachen“, heißt es in einer Stellungnahme. Rabattverträge und Festbeträge seien „bewährte Instrumente“. Wenn solche Mechanismen ausgehebelt würden, belaste man die Portemonnaies der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zusätzlich, „ohne eine wirkliche Verbesserung der Versorgung“, so der GKV-Spitzenverband.
Sind importierte Medikamente schlechter geeignet?
Bei Antibiotika, die aus dem Ausland eingeführt werden, handelt es sich in der Regel um dieselben Wirkstoffe, diese sind also genauso gut für die Versorgung geeignet. Allerdings kann es sich um andere Packungsgrößen oder Dosierungen handeln, und es ist nicht immer eine Packungsbeilage in deutscher Sprache vorhanden. Daher ist es wichtig, sich bei Unsicherheiten in der Apotheke oder beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin über die richtige Anwendung beraten zu lassen. Unklar ist zudem, in welchem Ausmaß Kinderantibiotika importiert werden können, da diese auch in vielen anderen Ländern knapp sind. Laut BfArM sind Einschränkungen in der Verfügbarkeit von Antibiotika insbesondere bei Amoxicillin und Penicillin V „sowohl in nahezu allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als auch international“ festzustellen. Dadurch sei die Möglichkeit des Bezugs von Arzneimitteln zur Kompensation aus diesen Staaten als „stark begrenzt“ einzuschätzen.
Welche Entwicklung ist für die kommenden Monate zu erwarten?
Noch ist unklar, wie sich die Situation in den kommenden Monaten entwickeln wird. Im Sommer könnte zumindest die Nachfrage nach Antibiotika und Fiebermitteln sinken, wodurch sich deren Verfügbarkeit theoretisch verbessern könnte. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sieht laut einem Bericht der „Tagesschau“ auf europäischer Ebene „erste Signale für eine Stabilisierung der Verfügbarkeit von Antibiotika“.