Nahrungsergänzungsmittel zum Abnehmen: „Sie sind keine Wundermittel“

Nahrungsergänzungsmittel verkaufen sich gut. Die Menschen sollten sich jedoch bewusst sein, wie wenig tatsächlich über ihre Sicherheit bekannt ist, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Erica Bessell von der Universität von Sydney.

Nahrungsergänzungsmittel verkaufen sich gut. Die Menschen sollten sich jedoch bewusst sein, wie wenig tatsächlich über ihre Sicherheit bekannt ist, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Erica Bessell von der Universität von Sydney.

Sydney/Potsdam. „Ich bin in der schlechtesten Form meines Lebens“: Mit diesem Kommentar postete US-Schauspieler Will Smith Anfang Mai im sozialen Netzwerk Instagram ein Foto von sich, das ihn mit Speckröllchen zeigte – und fast sieben Millionen Menschen weltweit klickten auf „Gefällt mir“. Tatsächlich scheinen Corona-Pfunde ein globales Phänomen zu sein. „Studien aus Lateinamerika, Asien, dem Nahen Osten, Europa und Nordamerika haben ergeben, dass etwa ein Viertel der Erwachsenen über eine Gewichtszunahme während des Lockdowns berichtet“, bilanzierte etwa Corinna Hawkes, Leiterin des Centre for Food Policy an der City University in London, in einem Kommentar für das Fachjournal „Nature Food“. Hierzulande stellte das Robert-Koch-Institut fest, dass das Durchschnittsgewicht der Deutschen zwischen April und August 2020 – also während und nach dem ersten Lockdown – bei 78,2 Kilogramm lag. Das ist ein Kilo mehr als im Vorjahreszeitraum.

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Angesichts dieser Entwicklung erscheinen frei verkäufliche Nahrungsergänzungsmittel, die eine spürbare Gewichtsabnahme versprechen, umso verheißungsvoller. Doch diese Versprechen halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, lautet das klare Urteil zweier Übersichtsstudien, die auf dem diesjährigen European Congress on Obesity im Mai vorgestellt wurden. Für Susanne Klaus, Leiterin der Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels am Deutschen Institut für Ernäh­rungs­forschung Potsdam-Rehbrücke, kein überraschendes Ergebnis: „Es handelt sich schließlich um Nahrungs­ergänzungs­mittel und nicht um Medikamente.“

Erste Analyse: 54 Studien mit mehr als 4300 Übergewichtigen ausgewertet

Um nun den konkreten Nutzen von Nahrungs­ergänzungs­mitteln (NEM) zu untersuchen, die mit einer gewichts­reduzie­renden Wirkung werben, schaute sich ein Team um die Ernährungswissenschaftlerin Erica Bessell von der Universität von Sydney bereits vorhandene Studienergebnisse zum Thema noch einmal an.

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In der ersten Übersichtsarbeit analysierten die Wissenschaftler alle Studien, die bis August 2018 in einer von vier ein­schlä­gigen Wissenschaftsdatenbanken eingetragen wurden und die die Wirkung von pflanzlichen NEM mit Placebos zur Gewichtsabnahme verglichen. Voraussetzung war, dass die Teilnehmer der Studien zufällig auf die Versuchs- und die Kontrollgruppe verteilt wurden. Die untersuchten NEM enthielten als Wirkstoffe ganze Pflanzen oder Kombinationen von Pflanzen. Die Wissenschaftler berücksichtigten Studien zu Präparaten mit grünem Tee, den tropischen Früchten Garcinia cambogia (Malabar-Tamarinde) und Mangostan, weißen Kidneybohnen, afrikanischer Mango, dem Kräutertee Yerba Mate, Cissus quadrangularis (Feldtraube), Süßholzwurzel, ostindischer Kugeldistel sowie Ephedra (Meerträubel). Sie werteten Daten aus insgesamt 54 Studien mit mehr als 4300 gesunden übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen aus. Sie sahen dabei einen Gewichtsverlust von mindestens 2,5 Kilogramm als klinisch bedeutsam an.

Ergebnisse beider Analysen waren wenig viel versprechend

Jene erste Analyse ergab, dass lediglich der Wirkstoff der weißen Kidneybohne im Vergleich zum Placebo zu einem statistisch bedeutsamen Gewichtsverlust führte – mit minus 1,6 Kilogramm war dieser für die Wissenschaftler allerdings nicht klinisch relevant. Darüber hinaus zeigten einige Kombinationspräparate zwar viel versprechende Ergebnisse, wurden aber in nur drei oder weniger Studien untersucht und das oft mit schlechter Forschungsmethodik. Jene Ergebnisse sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden, so die Autoren.

Auch die zweite Untersuchung zeichnete ein eher ernüchterndes Bild der Schlankmachermittel: Hier wurden 67 ran­do­mi­sier­te Studien untersucht, die bis Dezember 2019 veröffentlicht worden waren und knapp 5200 gesunde übergewichtige oder fettleibige Erwachsene umfassten. Im Fokus dieser Analyse standen diätetische Nahrungsergänzungsmittel, welche natürlich vorkommende isolierte Verbindungen aus Pflanzen und tierischen Produkten enthalten. Konkret berücksichtigten die Wissenschaftler Forschungsarbeiten zu:

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  • Chitosan: Dieser komplexe Zucker, der oft aus der Schale von Garnelen und Krabben, aber zum Teil auch aus Pilzen gewonnen wird, verspricht Nahrungsfett zu binden;
  • Glucomannan: Der lösliche Ballaststoff aus der Wurzelknolle des Konjak-Gewächses soll genau wie die ebenfalls untersuchten Fruktane (Kohlenhydrate, die aus Fruktoseketten bestehen) ein Sättigungsgefühl auslösen;
  • konjugierte Linolsäuren (CLA): Diese werden als Stoffwechselprodukt der Linolsäure im Pansen und im Euter von Wiederkäuern gebildet und sollen Körperfett reduzieren.

Keine klinisch bedeutsame Gewichtsabnahme – Mittel können eher Risiko bergen

Wie die Auswertung der Forscher zeigt, führten Chitosan (-1,84 kg), Glucomannan (-1,27 kg) und CLA (-1,08 kg) im Vergleich zu Placebos zwar zu einer statistisch, aber nicht klinisch signifikanten Gewichtsabnahme. „Kräuter- und Nahrungsergänzungsmittel mögen wie eine schnelle Lösung für Gewichtsprobleme erscheinen, aber die Menschen müssen sich bewusst sein, wie wenig wir wirklich über sie wissen“, sagt Erica Bessell. Insgesamt seien größere und sorgfältigere Studien nötig, um Sicherheit und Wirksamkeit der Mittel zu gewährleisten: „Auch wenn die meisten Nahrungs­ergänzungs­mittel für eine kurzfristige Einnahme sicher zu sein scheinen, werden sie keine klinisch bedeutsame Gewichtsabnahme bewirken.“

Auch Susanne Klaus unterstreicht, dass derartige NEM in der Regel keinen Schaden anrichten würden – wenn man nicht mehrere Präparate auf eigene Faust kombiniere und sich an die Dosierungsempfehlungen halte. So hätten etwa Studien zu Epigallocatechin gallate, einem Wirkstoff aus grünem Tee, gezeigt, dass dieser bei sportlich aktiven Menschen die Fett­ver­bren­nung tatsächlich verstärken könne – allerdings nur minimal. Vor allem aber seien entsprechende Präparate zum Teil hoch dosiert: „Eine Kapsel enthält dann die gleiche Menge an Wirkstoff wie zehn Tassen grüner Tee, die man sonst über den Tag verteilt trinkt, was sofort in die Leber geht.“ In einigen Fällen sei es so zu Leberschäden gekommen. Aufklärung zu dieser Nebenwirkung, aber auch zu potenziellen Risiken anderer NEM bietet etwa das Portal Klartext Nahrungsergänzung der Verbraucherzentrale NRW.

Nahrungsergänzungsmittel hierzulande aber unbedenklich

Für Ernährungswissenschaftlerin Klaus ist es aber nicht nur wichtig, sich möglichst gut über Präparate zu informieren, sondern auch nur auf solche zurückzugreifen, die in Deutschland zugelassen sind. „Diese sind lebensmittelrechtlich unbedenklich.“ Hierzulande zählen NEM gesetzlich nicht zu den Arzneimitteln, sondern zu den Lebensmitteln. Damit gilt für sie die Health-Claims-Verordnung (HCVO) der EU, die streng regelt, welche Gesundheitsversprechen in welchem Rahmen auf Lebensmitteln erlaubt sind. Von den in den beiden Übersichtsarbeiten untersuchten Wirkstoffen befindet sich nur Glucomannan auf der Positivliste. Dort ist als erlaubte Angabe vermerkt: „Glucomannan trägt im Rahmen einer kalorienarmen Ernährung zu Gewichtsverlust bei.“

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In der Tat könnten solche Ballaststoffe wie jener Wirkstoff aus der Konjakwurzel laut Klaus eine Gewichtsabnahme durch das Volumen, das sie im Magen entfalten, unterstützen, indem sie ein Sättigungsgefühl auslösten. Versprechen anderer Prä­pa­ra­te wie etwa eine Reduzierung des Körperfetts sollte man allerdings kritisch betrachten: „Der Körper verbrennt nur dann Fett, wenn er Energie braucht. Und die braucht er nur, wenn er in Bewegung ist.“ Letztendlich sei der Stoffwechsel ein sehr komplexes System und wir Menschen seien so evolviert, dass wir sehr effizient mit unserer Energie seien: „Das kommt uns in Hungersnöten zugute, kann aber in Zeiten von Nahrungsüberfluss negative Auswirkungen haben.“

„Man sollte sich nicht nur darauf konzentrieren, was die Waage anzeigt – entscheidend ist die allgemeine Gesundheit.“

Susanne Klaus ist Ernährungswissenschaftlerin.

Ernährungsberatung kann helfen, Gewicht zu verlieren

Was ist nun der beste Weg, um Gewicht zu verlieren? Klaus rät, sich Unterstützung in Form einer Ernährungsberatung zu suchen, denn bei dieser finde eine individuelle Anamnese statt: „Was esse ich wann warum? Diese Frage zum Beispiel in Form eines Ernährungstagebuchs zu beantworten hilft, das eigene Verhalten zu reflektieren und passende Lösungen zu finden.“ Nahrungsergänzungsmittel können unterstützend wirken: „Sie sind aber keine Wundermittel.“ Wichtig sei neben der Ernährung auch ausreichend Bewegung, betont Klaus: „Man sollte sich nicht nur darauf konzentrieren, was die Waage anzeigt – entscheidend ist die allgemeine Gesundheit.“

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RND/dpa

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