Neue Studie zum Pandemieursprung: Tiermarkt in Wuhan nur erster größerer Ausbruch?
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Das Coronavirus stammt ursprünglich von Fledermäusen.
© Quelle: Sherri Fenton/Brock Fenton/dpa
Auf einem Tiermarkt in Wuhan wurden die ersten Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 offiziell bestätigt. Wie aus einer aktuellen Veröffentlichung im Magazin „Science“ hervorgeht, könnte das Virus aber schon früher aufgetreten sein. Die Autoren halten es für möglich, dass es bereits zwei Monate zuvor zu Ansteckungen gekommen sein könnte. Der Tiermarkt wäre dann nur der Ort des ersten größeren Ausbruchs gewesen. Aber: Viele Fragen zum Ursprung des Coronavirus sind nach wie vor offen.
Als relativ sicher gilt, dass das Virus ursprünglich von Fledermäusen stammt, die in der südchinesischen Provinz Yunnan heimisch sind. Durch den Klimawandel hat sich der Lebensraum der Tiere in den letzten Jahrzehnten vergrößert. So hatten sich immer mehr verschiedene Arten von Fledermäusen dort angesiedelt und wohl auch Krankheitserreger untereinander ausgetauscht. Die Region soll so zu einer Art „Hotspot“ für Fledermaus-Coronaviren geworden sein, so eine Theorie von Potsdamer Klimafolgenforschern.
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2013 eng verwandtes Virus entdeckt
Schon 2013 wurde in Yunnan bei einer Hufeisennasen-Fledermaus ein Virus entdeckt, das eng mit dem neuartigen Coronavirus verwandt zu sein scheint. Der Erreger, der CoV RaTG13 genannt wurde, ist zu 96 Prozent mit Sars-CoV-2 identisch. Wissenschaftler gehen davon aus, dass beide Viren von der gleichen Ursprungsvariante abstammen, sich aber seit einigen Jahrzehnten als getrennte Linien weiterentwickelt haben.
Allerdings liegt Wuhan, wo Sars-CoV-2 erstmals festgestellt wurde, gut 1600 Kilometer von der Provinz Yunnan entfernt. Ungeklärt ist daher, wie es dort zum Ausbruch auf dem Tiermarkt – oder auch Fischmarkt – kommen konnte. Eine wichtige offene Frage bleibt auch, wie sich das Virus so gut an den Menschen angepasst hat, dass es ihn nun millionenfach infizieren konnte.
Vermutet wurde unter anderem, das Virus könne von Fledermäusen auf Pangoline (Schuppentiere) und von denen auf den Menschen übergesprungen seien. Diese sind ebenfalls in Yunnan heimisch sind und wurden auch auf dem Markt in Wuhan als Delikatesse verkauft. Schnell kam zudem eine weitere Theorie auf, die bis heute weder bewiesen noch ausgeräumt werden konnte: Stammt das Virus aus einem Labor?
Wie wahrscheinlich ist die Laborhypothese?
Ebenfalls in Wuhan liegt nämlich ein virologisches Institut, das eine der größten Sammlungen von Fledermaus-Coronaviren weltweit beherbergt. Ein Team um die Virologin Zheng-Li Shi forscht dort seit Jahren mit den Erregern. Die Wissenschaftler reisten auch schon mehrfach nach Yunnan, um Coronaviren von Fledermäusen zu isolieren. Für Vertreter der Laborhypothese der Beweis dafür, dass Sars-CoV-2 in Versuchen entstanden und durch einen Unfall entwichen sein soll.
Die chinesische Regierung bestreitet das. Auch Wissenschaftler wie der US-Forscher Christian G. Andersen waren schon früh von einem natürlichen Ursprung des Virus überzeugt. So hatte Andersen im März vergangenen Jahres eine Untersuchung veröffentlicht, wonach es in der Struktur von Sars-CoV-2 keine Hinweise auf eine genetische Manipulation gibt. Viele Experten, wie auch der deutsche Virologe Christian Drosten, vertreten die Ansicht, dass das Virus auch durch zufällige Mutationen für den Menschen infektiös geworden und von Tieren direkt auf den Mensch übertragen worden sein könnte.
Innsbrucker Forscherin glaubt an Ursprung aus Labor
Die Innsbrucker Mikrobiologin Rossana Segreto hatte im November vergangenen Jahres eine Studie veröffentlicht, die zu einem anderen Ergebnis kommt. Sie sieht Hinweise darauf, dass Sars-CoV-2 sehr wohl genetisch manipuliert worden sein könnte. Segreto beschreibt außerdem, welche Experimente die Forscher in Wuhan durchgeführt haben. Sie sollen diese Coronaviren von Fledermäusen so verändert haben, dass sie besser an menschliche Zellen andocken konnten.
Tatsächlich deutet aber auch einiges darauf hin, dass Fledermaus-Coronaviren Menschen direkt befallen können. So waren 2012 in einer Kupfermine in Yunnan, in der auch Fledermäuse heimisch waren, sechs Arbeiter an einer mysteriösen Lungenkrankheit verstorben: ein Jahr, ehe in derselben Gegend CoV RaTG13 bei Fledermäusen entdeckt wurde, die eng mit Sars-CoV-2 verwandte Linie. Einige Jahre später fanden Forscher aus Wuhan dort bei Fledermäusen noch ein weiteres Coronavirus mit ähnlichen Eigenschaften. Ein Zusammenhang mit den erkrankten Arbeitern wurde vermutet, wenn auch nicht sicher bewiesen.
Zwischenwirt wurde nie gefunden
Bis heute wurde Sars-CoV-2 in seiner heutigen Form aber bei keinem möglichen Ursprungstier gefunden, weder bei Fledermäusen noch bei möglichen Zwischenwirten. Tatsächlich schließen sich die Laborhypothese und ein natürlicher Ursprung auch nicht zwangsläufig aus: So könnte das Virus rein theoretisch auf natürliche Weisen entstanden, aber trotzdem bei einem Unfall aus dem Labor entwichen sein.
Eine Reise von WHO-Experten nach China zu Beginn des Jahres konnte die offenen Fragen vorerst nicht klären. Nach ihrer Rückkehr hatten die Forscher zunächst verkündet, die Herkunft aus dem Labor sei unwahrscheinlich. Dann stellte sich heraus, dass die Wissenschaftler vor Ort offenbar nicht wirklich Zugang zu Informationen bekommen hatten und weder Belege für noch gegen die Labortheorie sammeln konnten. Die WHO war daraufhin zurückgerudert: Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus gab bekannt, dass alle Hypothesen „weiterhin offen“ blieben und „weitere Analysen und Studien“ erforderlich seien.