Neues Alzheimermedikament: Experten warnen vor falschen Hoffnungen

Eine Alzheimererkrankung lässt sich mit Medikamenten nicht heilen, sondern nur im Verlauf etwas aufhalten.

Eine Alzheimererkrankung lässt sich mit Medikamenten nicht heilen, sondern nur im Verlauf etwas aufhalten.

Mit Aducanumab wurde in den USA ein neuer Wirkstoff zur Behandlung der Alzheimererkrankung zugelassen. Doch Experten warnen davor, zu große Hoffnungen auf das Medikament zu setzen. Denn die Studienlage ist zumindest umstritten.

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Vor zwei Jahren hatte der Hersteller von Aducanumab, der US-Konzern Biogen, seine klinischen Studien selbst abgebrochen: In einer Zwischenauswertung hatte das Arzneimittel nämlich keine bessere Wirkung gezeigt, als ein wirkstoffloses Scheinmedikament (Placebo).

Im Nachhinein hatte Biogen dann die Daten von über 3000 beteiligten Probanden erneut ausgewertet. Danach kam der Hersteller zu dem Schluss, dass Aducanumab wirkt, wenn es in einer höheren Dosierung gegeben wird. Laut Biogen soll es den Verlust der kognitiven Fähigkeiten bei Patienten dann um etwa 20 Prozent verlangsamen können. Im vergangenen Sommer wurde schließlich dann doch bei der amerikanischen Aufsichtsbehörde Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung beantragt.

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Expertengremium zeigte sich nicht überzeugt

Ein unabhängiges, neunköpfiges Beratergremium der FDA hatte die Neu-Interpretation der Studien aber nicht überzeugt. Es hatte mit acht zu einer Stimme bereits im vergangenen Herbst gegen die Zulassung des Medikaments gestimmt. In diesem Jahr bekräftigten drei Mitglieder des Gremiums ihre ablehnende Haltung in einem Artikel im Fachmagazin „JAMA“. Darin rieten sie noch einmal von einer Zulassung ab. Biogen habe gezielt nur solche Daten für seine neue Auswertung ausgewählt, die das gewünschte Ergebnis versprachen, bemängelten die Experten. Im „JAMA“-Beitrag ist auch von einer zu großen Nähe der FDA zum Hersteller Biogen die Rede: Die Objektivität der Behörde könne dadurch beeinträchtigt sein, schreiben die Wissenschaftler.

Kritisch gesehen wird zudem, dass die FDA den Wirkstoff zur Behandlung selbst fortgeschrittener Stadien einer Alzheimererkrankung zugelassen hat, obwohl in den Studien lediglich Patienten in einem frühen Krankheitsstadium behandelt worden waren.

Die FDA hatte Aducanumab eine Zulassung in einem beschleunigten Verfahren erteilt, was den Hersteller dazu verpflichtet, weitere Studien vorzulegen. Diese Möglichkeit der Zulassung besteht, wenn zwar noch nicht genügend Daten vorhanden sind, aber ein dringender Bedarf für ein Medikament besteht. Begründet wurde die Zulassung auch mit dem Wirkprinzip des Medikaments. Aducanumab enthält monoklonale Antikörper, die sich gegen Amyloid-Plaques richten, Ablagerungen im Gehirn von Alzheimerpatienten, die wahrscheinlich zum Absterben von Nervenzellen mit beitragen.

Plaques konnten reduziert werden

Während bisherige Medikamente nur gegen die Symptome von Alzheimer gerichtet seien, ziele Aducanumab als erstes Präparat darauf ab, den Krankheitsprozess zu beeinflussen, so die FDA. Die Behörde weist darauf hin, dass das Medikament Plaques im Gehirn von Probanden reduziert habe. Ein Beweis dafür, dass das Präparat wirklich hilft, ist das aber noch nicht.

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Wie die „New York Times“ berichtet, war genau dieser Effekt nämlich auch schon in klinischen Studien mit anderen Wirkstoffen beobachtet worden. Nur hatten diese es nie bis zu einer Zulassung geschafft – weil sich trotz einer Reduzierung der Plaques keine gleichzeitige Auswirkung auf die kognitiven Fähigkeiten der Probanden gezeigt hatte.

Der Krankheitsprozess der Alzheimererkrankung ist kompliziert und wird bis heute nicht vollständig verstanden, das macht das Finden wirksamer Medikamente so schwer. Neben den Amyloid-Plaques sind in jedem Fall weitere Faktoren beteiligt. Einer davon ist die Bildung sogenannter Tau-Fibrillen, einer anderen Art von Ablagerungen, die vielleicht sogar stärker zum Verlust der kognitiven Fähigkeiten beiträgt.

Keine falschen Hoffnungen wecken

Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative (AFI), die sich für eine unabhängige Forschung zu Alzheimerbehandlung einsetzt, sieht die Zulassung von Aducanumab ebenfalls tendenziell kritisch. In einer Pressemitteilung rät sie Patientinnen und Patienten in Deutschland zur Vorsicht, mit der Zulassung sollten „keine falschen Hoffnungen geweckt werden.“ Auch Aducanumab könne die Alzheimer-Krankheit nicht heilen, sondern verlangsame lediglich den Gedächtnisabbau in einem geringen Ausmaß.

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Die bisherigen Studiendaten, die Biogen vorgelegt habe, seien „nicht eindeutig“ gewesen und hätten zu viele Fragen offengelassen. „Unstrittig ist zwar, dass Aducanumab wirksam die alzheimerspezifischen Eiweiß-Ablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn entfernt. Ob damit aber die kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten substantiell verbessert werden, konnten die widersprüchlichen Ergebnisse der beiden bisherigen Phase-3 Studien nicht zufriedenstellend belegen“, so die AFI in ihrer Pressemitteilung. Biogen müsse nun „nachlegen und mit der gebotenen Sorgfalt in einer weiteren Studie die noch offenen Fragen klären“.

(AFI) verweist auch auf ernst zu nehmende Nebenwirkungen des Medikaments. Dazu zählen Hirnschwellungen, die unerkannt zu Hirnblutungen führen können. In den Zulassungsstudien waren Teilnehmerinnen und Teilnehmer regelmäßig auf Hirnschwellungen hin untersucht worden und sobald diese auftraten, wurde die Behandlung ausgesetzt. Entsprechende Begleituntersuchungen müssten auch regelmäßig bei solchen Patientinnen und Patienten durchgeführt werden, die nun das Medikament erhalten, fordert die AFI.

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