Raumstation ISS: Im All werden Organoide gezüchtet
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Mit dem Versorgungsflug Space X CRS-20 wurde im März 2020 erstmals Forschungsmaterial der Universität Zürich zur Raumstation ISS gebracht.
© Quelle: NASA/Tony Gray and Tim Terry
Zürich. Künstlich erzeugtes menschliches Gewebe wird dringend für die Forschung und für Transplantationen benötigt. Produziert werden könnte es in Zukunft im All. Auf der Raumstation ISS wird derzeit versucht, aus Stammzellen Organoide zu züchten: Strukturen, die menschlichen Organen ähneln.
Das sogenannte Tissue-Engineering, bei dem mithilfe von Stammzellen Gewebe gezüchtet wird, ist seit Jahren ein wachsender Forschungszweig. Stammzellen sind Zellen, die noch nicht ausdifferenziert sind. Im Labor können sie dazu angeregt werden, sich zu verschiedenen Arten von Körperzellen weiterzuentwickeln und dann sogar Gewebestrukturen zu bilden.
Das Verfahren zur Anzucht von Organoiden in der Raumstation ISS haben der Anatomieprofessor Oliver Ullrich und die Biologin Cora Thiel entwickelt, die beide an der Universität Zürich tätig sind. Ihr Forschungsprojekt „3-D-Organoids in Space“ ist auf dem Space Hub der Universität angesiedelt und wird zusammen mit dem Unternehmen Airbus durchgeführt. Der Grund dafür, dass die eigentlichen Versuche im All stattfinden, ist die Schwerelosigkeit. Auf der Erde sei die Anzucht von dreidimensionalen Strukturen wegen der Schwerkraft nur auf Stützskeletten möglich, teilten die Forschenden mit. Im All gelingt dies offenbar auch ohne solche Hilfsmittel.
Versorgungsflug transportierte Zellen ins All
Ziel des Forschungsprojektes ist es, Organoide eines Tages kommerziell und im großen Stil im Weltraum zu produzieren. Zu den Abnehmern könnte die Pharmaindustrie gehören: Toxikologische Studien mit den Organoiden könnten bei der Entwicklung von Medikamenten Tierversuche ersetzen. Auch könnten aus den Stammzellen von Patienten und Patientinnen Organoide gezüchtet werden, um bei ihnen das Gewebe geschädigter Organe zu ersetzen, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Zürich. Denn an Spenderorganen mangelt es weltweit. Organgewebe, das aus den eigenen Stammzellen herangezüchtet wird, hätte zudem den Vorteil, dass es bei Transplantationen nicht zur Abstoßungsreaktionen kommt.
Erste Testreihen im All hatten Ullrich und Thiel bereits im vergangenen Jahr gestartet. Die Forschenden waren dabei nicht selbst zur ISS gereist. Stattdessen hatte ein Versorgungsflug 250 Röhrchen mit Stammzellen zur Raumstation gebracht, die an der Universität Zürich vorbereitet worden waren. Diese wurden unter sterilen Bedingungen und bei konstanter Temperatur in einem Bioreaktor der Raumstation gelagert.
Ergebnisse werden für November erwartet
Im Laufe nur eines Monats hatten sich aus den Zellen organähnliche Leber-, Knochen- und Knorpel-Strukturen entwickelt. In Zellkulturen, die zum Vergleich auf der Erde angelegt worden war, kam es hingegen nicht oder kaum zur Bildung solcher Strukturen.
Am vergangenen Samstag wurden nun vom Kennedy Space Center in Florida mit einem Versorgungsflug erneut Gewebestammzellen zur ISS geschickt. Diese stammten von zwei Frauen und zwei Männern unterschiedlichen Alters. So lässt sich später vergleichen, wie sich Alter und Geschlecht auf die Fähigkeit der Zellen auswirken, Organoide zu erzeugen. Es gelte jetzt zudem herauszufinden, wie lange und in welcher Qualität sich die im All gezüchteten Organoide nach der Rückkehr zur Erde halten würden, wird Ullrich in der Mitteilung zitiert.
Die Zellkulturen, die sich derzeit auf der ISS befinden, sollen im Oktober zurück zur Erde gebracht und dann begutachtet werden. Im November wird eine erste Auswertung der Ergebnisse erwartet.