Warum ein Vater seine zweijährige Tochter off-label gegen Corona impfen ließ
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In dieser Woche entscheidet die EMA, ob der Corona-Impfstoff zukünftig auch für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen wird. Weil das einigen Eltern und Ärzten nicht schnell genug geht, haben sie eine Plattform für Off-Label-Kinderimpfungen initiiert.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
„Ich habe mir schon früh Sorgen gemacht“, sagt Daniel S. „Wenn Corona für Erwachsene schon so brandgefährlich ist, kann das für Kinder ja nicht gut sein. Das sagt einem ja schon der gesunde Menschenverstand.“ Doch bisher gibt es in Deutschland keine Zulassung für Kinderimpfungen gegen Corona – anders als in Israel oder den USA. Die Entscheidung, ob das Biontech-Vakzin künftig auch für Fünf- bis Elfjährige zugelassen wird, wird in wenigen Tagen erwartet. Bis zu den ersten Impfungen dürfte es aber noch bis zum 20. Dezember dauern.
Das war für Daniel S. jedoch weder schnell genug, noch griff es weit genug. Also ließ S. seine zweijährige Tochter off-label impfen – das heißt, außerhalb des von den Zulassungsbehörden genehmigten Gebrauchs. Geimpft wurde sie von einem Arzt, der sich auf Twitter „Dr. Pappa“ nennt. Dass er sein wirklichen Namen nicht verraten will und auch Daniel S. eigentlich anders heißt, liegt daran, dass sie Furcht vor Angriffen haben. „Es gibt ja grade Menschen, die nicht offen sind für rationale Argumente“, sagt „Dr. Pappa“ gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Plattform vermittelt Impftermine
Dass es wie S. vielen anderen Eltern ebenso geht, zeigt der Erfolg von U12schutz.de, einer Plattform für Off-Label-Kinderimpfungen gegen Corona. 15.000 Menschen haben sich dort mit einem Wunsch für einen Kinderimpftermin innerhalb eines Tages registriert. Mehr als 20.000 Kinder unter zwölf Jahren sind laut Angaben der Plattform bereits off-label geimpft. Mehr als 60 Ärztinnen und Ärzte, etwa aus vielen großen Städten, sind Teil des Netzwerks. Daniel S. ist einer einer der rund 30 Initiatoren.
„Informell gibt es das Netzwerk schon seit April in etwa“, berichtet Daniel S. „Da haben sich insbesondere Eltern, deren Kinder Vorerkrankungen haben, via Direktnachrichten mit Medizinerinnen und Medizinern ausgetauscht und Termine organisiert.“ Wie auch bei Erwachsenen führen chronische Erkrankungen bei Kindern in vielen Fällen häufiger zu einem schweren Covid-19-Verlauf.
Die Seite ist also sowas wie die Institutionalisierung einer Internetblase. Oder wie es auf der Website heißt: „Wir sind eine große Zahl an Ehrenamtlichen, die seit Monaten beim Off-Label-Impfen für U12 helfen. Wir machen den Bedarf nach Impfschutz für U12 Kinder sichtbar, denn viele Eltern sind verzweifelt!“ Um ihr Kind impfen zu lassen, sind manche Eltern bereit, weit zu gehen. Nicht immer sind die impfenden Ärztinnen und Ärzte in der Nähe. „Die Eltern fahren zum Teil sehr weit, um die Impfung zu ermöglichen, wenn sie wissen, wohin“, sagt Daniel S.
Mediziner: Können „off label“-Impfungen nicht generell befürworten
Off-Label-Use von Medikamenten ist laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in der Kinder-und Jugendmedizin geläufig. Er betreffe allerdings meist Alt-Generika, für die in Zukunft keine Zulassungsstudien im Kindesalter zu erwarten sind. Anders als bei dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer, der derzeit von der Europäischen Arzneimittelbehörde geprüft wird. Kindern von fünf bis elf Jahren wurden für die klinische Studie der Phase 2/3 – anders als in der Altersgruppe der über Zwölfjährigen – nur ein Drittel der Dosis verabreicht. Die beiden Impfungen lagen drei Wochen auseinander.
Burkhard Rodeck, Generalsekretär der DGKJ, sagt gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: „Die Entscheidung eines Off-Label-Einsatzes können wir generell nicht befürworten, dazu braucht es eine sorgfältige Abwägung von individuellem Nutzen und Risiko.“ Das könne nur im persönlichen Gespräch mit dem Patient und der Patientin beziehungsweise der Eltern und dem impfenden Arzt oder der Ärztin erfolgen.
Ärzte und Ärztinnen, die ohne eine Zulassung durch die EMA impfen, haften selbst für mögliche Impfschäden. Es sei denn, die Eltern unterschreiben einen Haftungsausschluss, bei dem sie selbst die Verantwortung für die potenziellen Risiken übernehmen. Einen Vordruck stellt die Plattform für Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung. „Dass man selber haftet, ist den allermeisten Eltern ziemlich egal“, sagt Daniel S. „Sie machen sich Sorgen um ihr Kind und wollen es schützen. Dazu ist der Impfstoff bekannt und die Risiken sind marginal.“ Seiner Tochter gehe es gut, bis auf einen leichten „Impfarm“ hatte sie keine Beschwerden, erzählt er. Wie andere Impfungen auch wird eine Off-Label-Impfung im Impfpass notiert.
Strengere Kriterien bei Risiko-Nutzen-Abwägung
Viele Experten und Expertinnen sind bei der Impfung von kleinen Kindern jedoch zurückhaltender. „Wir plädieren dafür, zunächst abzuwarten, was die Stiko sagt“, sagte der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, im Bezug auf eine mögliche Zulassung des Impfstoffs ab fünf Jahren. „Es wäre nicht ratsam, dass die Politik die Impfung empfiehlt, solange es keine Empfehlung des Gremiums gibt, das die Politik berät.“ Hintergrund ist, dass die Nutzen-Risiken-Abwägung bei Kindern eine andere sein müsse als bei Erwachsenen: „Weil das Risiko sehr klein ist, muss der Nutzen sehr groß sein“, sagt Maske. Daher müssten für mögliche Nebenwirkungen noch viel strengere Kriterien gelten. „Wenn die Krankheitslast sehr gering ist, muss die Impfung noch viel sicherer sein.“
Doch noch ist unklar, ob beziehungsweise wann die Stiko die Impfung von Kindern empfehlen wird. Eine Empfehlung werde es jedenfalls nicht sofort nach der verkündeten EMA-Entscheidung geben, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens im RND-Interview. „Das ist nicht zu leisten. Wir werden versuchen, so schnell wie möglich nach Datenlage zu entscheiden.“ Mertens sagte, Kinder mit Covid-19 belasteten die Krankenhäuser nicht und erkrankten nur sehr selten schwer. „Ich kann natürlich verstehen, dass Eltern in Sorge sind, weil sich das eigene Kind infizieren könnte. Aber das Gesundheitssystem wird dadurch nicht entlastet.“