50 Jahre Abbey Road – der letzte Zebrastreifen der Beatles
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Vier auf dem Weg ins Solokünstlertum: Die Beatles (v. l.) George Harrison, Paul McCartney, Ringo Starr und John Lennon auf dem Cover des Albums „Abbey Road“. Am 27. September, 50 Jahre und einen Tag nach der Veröffentlichung, erscheint eine Jubiläumsausgabe.
© Quelle: Apple Corps Ltd/dpa
„Come together“ – damit ging „Abbey Road“ los, das Beatles-Album, das am 26. September 1969 erschien und das somit jetzt seinen 50. „Geburtstag“ feiert. Und obwohl John Lennon mit der ziemlich schrägen Lyrik des Songs über Walrösser, Coca-Cola-Schützen und Affenfinger auf das erstrebenswerte zeitgleiche Kommen beim Sex abzielte, klang es doch auch wie die Kernlosung der späten Sechzigerjahre: „Kommt zusammen“ oder „Tut euch zusammen“ – so essentiell wie „All You Need Is Love“.
Hier kommt die Sonne – alles wird gut
Mit George Harrisons „Here Comes the Sun“ hob dann die zweite Seite an (damals gab es noch keine CDs, ein Album hatte zwei Seiten, man musste die Platte umdrehen, um an die andere Hälfte des Liedguts zu kommen): Hier kommt die Sonne – alles wird gut. Die Beatles 1969 – das war Erfolg durch positives Singen, durch gute Botschaften, die die Köpfe der Menschen und damit die Welt verändern sollten.
Ihr letztes gemeinsam aufgenommenes (nicht ihr letztes veröffentlichtes) Studioalbum „Abbey Road“ und damit ihr Gesamtwerk beschlossen sie dann sinnvollerweise mit einem Lied namens „The End“, mit den klassischen Schlussworten in alten Büchern, damit auch jeder merkte, dass der Roman jetzt vorbei und es Zeit zum Zuklappen war. Da sang Paul McCartney noch schnell, dass das Universum auf Ausgleich aus sei, dass die Liebe, die man nähme, am Ende gleich der Liebe sei, die man gäbe. Tolle letzte Worte. Wenn man mal von der kleinen zwanzigsekündigen Liebesadresse Paul McCartneys an Königin Elisabeth absieht. "Her Majesty's" ist Pauls freches, eigenes "God Save the Queen". Widmungen kommen in literarischen Werken traditionell nach dem Ende des Erzählens.
Kurz danach hat der damals hippe US-Produzent Phil Spector dann doch noch etwas aus den verkrachten „Get Back“-Sessions herausgeholt und das Chaos der verworfenen Beatles-Sessions in das „Album „Let It Be“ verwandelt, das ein paar Tage nach der Auflösung der Band im Mai 1970 erschien und damit das perfekte „Abbey Road“-Finish verhagelte. Jetzt hieß der letzte Song „Get Back“, was entweder mit „Komm zurück“ übersetzt werden kann (wozu es im Fall der Beatles nie kam) oder mit „Hau ab!“ (was sie taten).
Soundmäßig gibt es kein klarer klingendes Album der Fab Four als „Abbey Road“. Hatten die Beatles auf dem „Weißen Album“ 1968 schon zeitlos geklungen, so ist der reguläre Nachfolger (zwischen beiden steckte noch der Zeichentrickfilmsoundtrack zu „Yellow Submarine“) ohne Kenntnis der Rockgeschichte nicht unbedingt in seine Zeit einsortierbar. Erst recht nicht im neuen Giles-Martin-Remix. Der Sohn des 2016 verstorbenen Beatles-Produzenten George Martin hat diese Zeitlosigkeit noch betont und atemberaubende Neuabmischungen von McCartneys Fünfzigerjahre-Hommage „Oh Darling!“, aber auch von John Lennons 16 Tonnen schwerem Liebesgebrüll „I Want You (She’s so Heavy“)“ geschaffen, von George Harrisons Rockballade „Something“ (die sogar den sonst eher Rock-abholden Frank Sinatra betörte) und von dem hymnischen „Carry That Weight“.
Ringo Starrs zweite Eigenkomposition für die Beatles, das kinderliedhafte, später von den „Sesamstraße“-Puppen okkupierte „Octopus‘s Garden“ klingt so plastisch wie ein Blick durchs Bullauge des „Yellow Submarine“ in die bunten Unterwasserwelten des gleichnamigen Zeichentrickfilms. Unter den Fittichen von Giles Martin könnte man meinen, „Abbey Road“ sei eine in diesem Sommer eingespielte Platte.
Und zu „Come And Get It“: kaum zu glauben, dass gerade dieser Song von den Beatles aus dem Album geworfen wurde. Was für eine Melodie! Er wäre eine todsichere weitere Nummer eins für die Beatles geworden, vielleicht eine Motivation, es doch noch weiter miteinander zu versuchen.
Die Beatles waren mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile
Auf dem Cover von „Abbey Road“ aber waren die Beatles schon keine Gruppe mehr. Sonst waren sie auf den Plattenhüllen stets dem Publikum zugewandt aufgetreten. Als Einheit Schulter an Schulter oder mit ihren Einzelfotos (etwa auf dem Innencover des „Weißen Albums“) kleeblattartig als Gemeinschaft erkennbar. Hier nun ging’s über den Zebrastreifen der Abbey Road, wo die EMI-Studios waren, in denen sie seit 1962 aufgenommen hatten: John Lennon ist der Erste, abgewandt, man sieht nur Haare. Dann kommt Ringo Starr, dann Paul McCartney, der sich wohl Schuhe über die Füße gezogen hätte, hätte er gewusst, dass er mit dem Barfußauftritt die „Paul ist tot“-Theorie lostreten würde. Und schließlich folgte George im legeren Jeans-Look. Die einstigen Fab Four sehen aus, als würden sie nach Erreichen der gegenüberliegenden Straßenseite in verschiedene Richtungen davonlaufen. Was sie praktisch auch taten: Sie wurden der „Back of Boogaloo“-Ringo, der „What Is Life“-George, der „Imagine“-John und der „Maybe I’m Amazed“-Paul. Die Beatles aber waren mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile.
„Everest“ hatte das Album zunächst heißen sollen, was nach „forever“ (für immer) klang. Aber die Beatles hatten keine Lust mehr auf ein Fotoshooting auf dem Dach der Welt. Es wäre ein prophetischer Titel gewesen – im Himalaya der Popmusik sind die vier heute der Mount Everest. Woran man das merkt? Keine andere Band der Pophistorie hätte einen Film darüber, dass die Welt ihre Lieder vergessen hat (und sich nur ein kleiner Straßen- und Klubmusiker – gewinnträchtig – an sie erinnert) zum Komödienhit des Jahres 2019 werden lassen können.
„Abbey Road“ – die Jubiläumsausgaben: Das dickste Paket, das zum Jubiläum geschnürt wird, ist die „Super Deluxe Edition“ von „Abbey Road“. Es enthält drei CDs, dazu eine Audio-Blu-Ray mit dem Album in Dolby Atmos. Auf der ersten CD befindet sich das Originalalbum im neuen Mix, auf den zusätzlichen CDs sind 23 (chronologisch sortierte) Aufnahmen aus den „Abbey Road“-Sessions versammelt. Die großformatige Box enthält ein 100-Seiten-Hardcoverbuch, in dem Beatles-Biograf Kevin Howlett ausführlich von den Aufnahmen des Albums erzählt. Das Vorwort hat Paul McCartney verfasst, die Einleitung stammt von Giles Martin. Eine Schatztruhe. Eine Drei-LP-Edition wird in einer Box die komplette Musik der drei CDs auf 180-Gramm-Vinyl-Scheiben versammeln. Eine Zwei-CD-Version enthält neben dem neuen „Abbey Road“-Mix Demoversionen der Albumsongs in der Originalreihenfolge. Für Otto Normalbeatlesfan, der nicht auf musikarchäologischen Pfaden wandeln möchte, gibt es das klangtechnisch aufgebrezelte Originalalbum als einfache CD oder LP sowie als limitierte Picture-Disc. Die „Super Deluxe Digital Audio Version“ enthält alle 40 Tracks als Download und Stream in Standard- und MFiT-Format sowie in High Resolution Audio (96 kHz/24 Bit) als Download.
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