50 Jahre „Weißes Album“ – Die Beatles im Winter
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZHADRC44IBWVJGV33RLJPDMAY4.jpg)
Die Beatles im November 1968: Auf dem Set zum Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ bemühen sich die Fab Four (v. l. Paul McCartney, Ringo Starr, George Harrison und John Lennon) um ein Lächeln.
© Quelle: imago/EntertainmentPictures
London. Die zwei Platten steckten in einer Hülle weiß wie Schnee. Friedlich, unschuldig von außen, im Inneren jedoch alles andere als still. Neun Monate nach der farbenfroh gestalteten Doppel-EP „Magical Mystery Tour“ erschien am 22. November 1968 das Doppelalbum „The Beatles“, das als „White Album“ in die Musikgeschichte einging.
Zum Jubiläum erscheint eine opulente „Weiße Box“
Zum 50. Geburtstag wird nun am 9. November 2018 eine Jubiläumsausgabe in diversen Formaten veröffentlicht. Die „kleinste“ Variante enthält auf zwei Vinyl-Platten einen neuen Stereo-Mix der 30 Originalsongs. Die opulente „Weiße Box“ mit sechs CDs, einer Audio-BluRay mit 5.1-Surround-Audio-Mix und einem 164-seitigen Begleitbuch beinhaltet darüber hinaus 19 frühe Demo-Versionen, die im Haus von George Harrison in Esher, Surrey, entstanden.
Dazu gibt es 50 weitgehend unveröffentlichte Studioversionen von Songs, darunter Jams von Klassikern wie W. C. Handys „St Louis Blues“ oder Elvis Presleys „Baby I don’t Care“. Giles Martin, Sohn des Beatles-Produzenten George Martin, will die Hörer damit „so nah wie möglich an das Studio der Beatles bringen“.
„Hol schon mal dein Schlagzeug raus“, schrieben John, Paul und George im Frühjahr 1968 aus Indien an den schon früher aus Indien zurückgekehrten Ringo Starr nach England. Die Auszeit vom Weltpop-Getriebe für einen Kurs in Transzendentaler Meditation hatte sie inspiriert; aus dem spirituellen Aufenthalt beim Yogi Maharishi war insgeheim ein Arbeitsurlaub geworden.
Die Musik des „Weißen Albums“ war bunter denn je
Von Ende Mai bis Mitte Oktober nahmen die Beatles die in Rishikesh entstandenen Songs dann in den Londoner Abbey-Road- und Trident-Studios auf, erstmals in Achtspur-Technik. Technisch waren die Beatles die übliche Nasenlänge voraus.
Die Musik des „weißen Albums“ war bunter denn je: Von Chuck Berry und den Beach Boys („Back in the U.S.S.R.“) bis Karlheinz Stockhausen („Revolution 9“) reichten die verarbeiteten Einflüsse, von Folk („Mother Nature’s Son“) über Psychedelic („Dear Prudence“) bis Hollywood-Sinfonik („Good Night“) und Swing („Honey Pie“) die stilistische Bandbreite.
Mit George Harrisons „While My Guitar Gently Weeps“ war eine der ersten großen Rockballaden (Eric Clapton an der Sologitarre) enthalten, mit McCartneys „Ob-La-Di, Ob-La-Da” und Ringo Starrs „Don’t Pass Me By“ fröhlicher Pop zum Mitsingen.
Die Beatles sangen über Bürgerrechte, Vietnamkrieg, Revolution
Der Vorwurf fehlender Haltung der Beatles zu drängenden politischen Fragen zog nicht mehr. Die Fab Four bezogen hier Position für die Bürgerrechtsbewegung („Blackbird“) und gegen den Vietnamkrieg („The Continuing Story of Bungalow Bill“). Und „Revolution 1“ war ihr uneinheitliches Statement zu den Studentenunruhen und der revolutionären Stimmung des Jahres 1968. Mit diesem Song lieferten die Beatles die Blaupause für den cremigen Glamrock, den Marc Bolan zwei Jahre später zum Sound seiner Band T. Rex erheben sollte.
Fruchtbar und von vielen Musikkritikern als das eigentliche Meisterwerk der Beatles gesehen, waren die Sessions zu „Whitey“ indes eine Zerreißprobe für die Band. Nachdem John Lennon seine neue Lebensgefährtin Yoko Ono für eine Zusammenarbeit am avantgardistischen Stück „Revolution 9“ mitgebracht hatte, wurde sie ein regelmäßiger Studiogast und beendete die strikte „Nur für die vier Musketiere“-Sessionsregel der Band – was bei McCartney, Harrison und Starr Unmut erregte.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Immer mehr arbeiteten die vier Musiker in der Folge getrennt, Stress führte zu Feindseligkeiten. Als sich McCartney ans Schlagzeug setzte, verließ der düpierte Ringo im August kurzzeitig die Band. Als Paul George Martin anfauchte, einen missglückten Gesangspart doch gefälligst selbst einzusingen, zog sich der Produzent für eine Weile zurück.
Zwei Tage nach der Veröffentlichung färbte Schnee London weiß
Toningenieur Geoff Emerick, seit „Revolver“ im Beatles-Team, warf ob der steten Gewitterlage entnervt hin. Das große Scheitern folgte allerdings erst zwei Monate später während der lethargischen, quälerischen und erfolglosen Aufnahmen zu dem Album, das „Let It Be“ werden sollte.
Zwei Tage nach dem Erscheinen des „weißen Albums“, am 24. November, fiel Schnee aus den Wolken über London. Zunächst war er noch nass und unstet, dann stürzten die Temperaturen und die ganze Stadt wurde ein weißes Album. In Indien, wo viele der neuen Beatles-Songs entstanden waren, ist Weiß die Farbe der Trauer. Der Winter der Beatles hatte begonnen.
Und es ist die Ironie ihrer Geschichte, dass gerade das Album, das offiziell nur den Bandnamen trägt, das Dokument des Zerfalls der Beatles in vier Einzelmusiker darstellt. Nur noch anderthalb Jahre, und die Band des Jahrhunderts würde sich auflösen. Sieht man das minimalistische Cover von Richard Hamiltons Pop-Art-Vorreiter Richard Hamilton heute an, lässt es die Farbe im Verbund mit dem erhaben geprägten Schriftzug tatsächlich wie einen Grabstein wirken.
The Beatles: „The Beatles (White Album)“ (Apple Records) als Super Deluxe Edition (7 Discs), Deluxe Edition (3 Discs oder 4fach-Vinyl), Doppel-Vinyl, erscheint am 9. November
Von Matthias Halbig / RND