75 Jahre Lucky Luke: Der letzte echte Kerl der Welt hat Geburtstag
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Der Mann, der schneller schießt als sein Schatten, feiert Geburtstag: Zum 75-jährigen Jubiläum des Comichelden ist der 100. Band mit dem Titel „Die Ursprünge – Western von gestern“ erschienen.
© Quelle: Lucky Comics/Egmont Comic Collec
Spätestens seit Johnny Cash wegen illegalen Blumenpflückens im Gefängnis saß, ist die Welt kein Ort mehr für Kerle, die in ihren Stiefeln schlafen. Der harte Hund, der Streichhölzer an den Schwielen seiner Hände entzündet und sich nächtens auf dem Sattel bettet, hat seine Zeit gehabt. Der um sich schießende Outlaw ist ein Auslaufmodell. Stattdessen diskutieren wir uns wund über metrosexuelle Muttersöhnchen, diverse Toiletten und toxische Maskulinität. Das trendige Männerbild der Stunde ist nicht mehr der knurrige Grenzgänger am Feuer, sondern der clevere Nerd am Rechner – der Mann also, der schneller liest als sein Schatten.
John Wayne ist tot und Willie Nelson vollends dem Kiffen anheimgefallen; ein anderer rastloser Cowboy jedoch erweist sich als erstaunlich robust. Er hat sich der neuen, neurotisch-empfindsamen Welt zaghaft angepasst wie James Bond oder Christian Lindner. Er tötet schon lange nicht mehr, er raucht auch nicht mehr, seit 1983 schon kaut er politisch korrekte Grashalme, aber er ist – anders als Bond oder Lindner – kein Opportunist, sondern eben immer noch ein Cowboy. Ein einsamer Wolf. Ein Hüter des Rechts und loyaler Reiter für das Gute. Lucky Luke feiert seinen 75. Geburtstag.
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Ewige Jagd: Immer wieder muss Lucky Luke die ausgebrochenen Dalton-Brüder wieder einfangen, auch im Film „Lucky Luke – das große Abenteuer“ von 1983.
© Quelle: picture alliance / United Archives/IFTN
Einsamer Wolf mit schwarzer Schmalztolle
Im November 1946 erschien die erste Geschichte über den spindeldürren Moralisten („Arizona 1880“) im „Spirou Almanach 1947″, der damals schon dem heutigen Luke glich – mit schwarzer Schmalztolle, rotem Halstuch und gelbem Hemd, wenn auch noch mit deutlich runderem Kinn. Rund zwanzig Jahre und 40 gemeinsame Alben lang schufen der belgische Zeichner Maurice de Bevere alias Morris (1923–2001) und der französische Texter und spätere „Asterix“-Vater René Goscinny (1926–1977) lustvoll ein Wildwest-Universum voller historischer Bezüge, bevölkert mit „echten“ Westernhelden von Calamity Jane bis Billy the Kid („Ist der aber klein, ist der aber hässlich!“), von Buffalo Bill bis Jesse James. Seit Goscinnys Tod 1977 wechselten die Autoren, Morris selbst verfügte, dass Kollege Achdé (bürgerlich Hervé Darmenton) nach seinem Tod den Cowboy mit wechselnden Autoren weiterzeichnen sollte. Bis heute sind 100 Alben erschienen, allein in Deutschland wurden 30 Millionen Stück verkauft. Nur „Asterix“ schaffte mehr.
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Grashalm statt Zigarette: Schon seit 1983 raucht Lucky Luke nicht mehr.
© Quelle: picture alliance / dpa
Seit Goscinnys Tod 1977 wechselten die Autoren, im gleichen Jahr startete der Egmont-Ehapa-Verlag seine Lucky-Luke-Reihe in Deutschland. Der erste Band trug damals kurioserweise die Nummer 15 („Die Postkutsche“), weil der Konkurrenzverlag Koralle noch die Rechte an 14 früheren Bänden hielt. Als diese Verträge schließlich ausliefen, brachte Egmont Ehapa sie nach und nach in seiner Reihe heraus. Morris selbst schließlich verfügte, dass Kollege Achdé (bürgerlich Hervé Darmenton) nach seinem Tod (2003) den Cowboy mit wechselnden Autoren weiterzeichnen sollte. Bis heute sind 79 Alben erschienen, dazu vier Cartoonfilme, drei Trickfilmserien, vier Realkinofilme – darunter ein zu Recht vergessener Flop mit Til Schweiger in der Titelrolle –, diverse Dokus und elf Videospiele.
Lucky Luke reiste schon immer nachhaltig
Comichauptfiguren sind ja oft ziemliche Streber. Asterix, der brave Soldat. Mickey Maus, der alte Klugscheißer. Luke, der Hilfssheriff. Für ordentlich Remmidemmi sorgt erst das töffelige Begleitpersonal: Obelix bei Asterix, Pluto bei Micky Maus. Und Rantanplan bei Lucky Luke – der erfreulich dämliche Hund, der schneller schläft als sein Schatten. Oder die Daltons: Joe, William, Jack und Averell, das haarigste Quartett seit John, Paul, George und Ringo. Allesamt Helden mit Pech beim Denken. Aber was für ein Idyll wäre eine unschuldige Welt, in der die bösesten Menschen ein cholerischer Minimacho („Gaaanz ruhig, Joe!“), zwei egale Mittelkinder und ein hungriger Schlaks namens Averell sind?
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Der Erfinder: Der belgische Zeichner Maurice de Bevere, besser bekannt als Morris, hier im Jahr 2000, knapp zwei Jahre vor seinem Tod.
© Quelle: picture-alliance/ dpa
Alle paar Jahre erlebt der Wilde Westen eine kleine kulturelle Renaissance als Sehnsuchtsort und Referenzrahmen für allerlei zivilisationsmüde Träume von Freiheit, Männlichkeit, Sozialdarwinismus, Überlebenskampf und Zusammenhalt. Lucky Luke versieht diese mythologisch überladene Machokultur seit 75 Jahren mit ironischer Brechung und Liebe. Er sorgt sich um die Schwachen, er verzichtet auf Statussymbole, er reist nachhaltig und behandelt sein treues Mitgeschöpf Jolly Jumper auf Augenhöhe. Insofern war dieser Cowboy seiner Zeit schon immer weit voraus.
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Der Nachfolger: Seit dem Tod von Lucky-Luke-Vater Morris zeichnet der französische Kollege Achdé – hier 2012 auf der Frankfurter Buchmesse – die Abenteuer des Cowboys.
© Quelle: picture alliance / dpa
Möge er ewig in den Sonnenuntergang reiten
Ernster war er zuletzt, auch in Lucky Luke keimt ein gesellschaftliches Gewissen. Der bisher letzte reguläre und deutlich düstere Band „Fackeln im Baumwollfeld“ (Nummer 99) von 2020 war eine Hommage an die Black-Lives-Matter-Bewegung. Von plumper Zeitgeistanbiederung aber war Autor Jul weit entfernt. Aktualitätsbezüge sind immer eine Gratwanderung, aber solange die Daltons nicht mit Wattebäuschchen werfen, Luke nicht auf Druck von Peta-Aktivisten mit dem Bobbycar in den Sonnenuntergang rollt und die texanischen Rinderbarone in Band 34 („Stacheldraht auf der Prärie“) keine Tofu-Steaks futtern, dürfen auch Comichelden ihre Popularität gern mal in den Dienst sozialer Belange stellen. Das muss nicht zwangsläufig darin enden, dass Iron Man mit Ökostrom läuft, Obelix Veganer wird und Donald Duck aus Jugendschutzgründen eine Hose anzieht.
Es wird immer verschreckte Dorfbewohner, überfallene Postkutschenreisende, stocksteife Kavalleristen, verfeindete Clans, verzweifelte Ladenbesitzer und überforderte Gefängniswärter geben, die seine Hilfe benötigen. Möge dieser Mann in den Sonnenuntergang reiten, bis die Sonne selbst in Jahrmillionen vom Roten Riesen zum Weißen Zwerg geschrumpft sein wird.