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Französin gewinnt Literaturnobelpreis

Annie Ernaux und ihr besonderer Stil

Die franzöische Autorin Annie Ernaux ist nun Nobelpreisträgerin.

Die franzöische Autorin Annie Ernaux ist nun Nobelpreisträgerin.

Endlich. Dieses Mal passt alles. Der Literaturnobelpreis geht an die französische Schriftstellerin Annie Ernaux. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt. Die 82-Jährige bekomme den Preis „für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufdeckt“, sagte der Ständige Sekretär der Akademie Mats Malm.

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Es ist eine wunderbare Entscheidung. Denn was Annie Ernaux schreibt, hat Gewicht, weil es politisch ist und persönlich, schmerzhaft und pointiert. Es ist Sprache, ist Geschichte, sie webt den Stoff des Lebens. Auf Deutsch erscheint ihr Werk im Suhrkamp Verlag, am Montag kommt „Das andere Mädchen“ in die Läden – vielleicht nun ein paar Tage eher.

Neues Werk: Ein Brief an die Schwester

Das neue Buch ist ein Brief von Ernaux an ihre Schwester, die sie nicht hat kennenlernen können. Die Ankündigung des Verlags verspricht einen „Brief von überwältigender Klarheit und zarter Traurigkeit, über Trennendes und Gemeinsames, über Kindheit und Geschichte und über Schicksalsschläge, die eine Familie auf immer verändern“.

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Ernaux erzählt dem abwesenden Du von ihrer Annäherung über ein Foto, die Besuche auf dem Friedhof. Sie beschreibt jene Szene, wie sie im Alter von zehn Jahren zufällig von der „anderen Tochter“ ihrer Eltern erfuhr, wie ihre Mutter sagte: „Sie war viel lieber als die da.“ Durch das Erzählen wird es bald „vorbei sein mit der Unschärfe des Erlebten, als würde ich einen Film entwickeln, der sechzig Jahre im Schrank gelegen hat“. Jahrzehnte später stößt sie sich noch immer an dem Wort „lieb“.

Annie Ernaux hat diesem Buch ein Zitat Flannery O‘Connors vorangestellt: „Kinder sind dazu verdammt, alles zu glauben.“ Die Schriftstellerin glaubt nicht, sie folgt den Spuren zu dem, was ist. Aber: Ernaux glaube an die befreiende Kraft des Schreibens, heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie. Sie schreibe kompromisslos und in klarer, sauberer Sprache.

Ernaux arbeitete zunächst als Lehrerin

Annie Ernaux wurde 1940 in Lillebonne in der Normandie geboren und arbeitete zunächst als Lehrerin. Ihr erster Roman, „Les armoires vides“, erschien 1974 und kreiste bereits um eine Abtreibung, die als „Das Ereignis“ im Jahr 2000 zum Buch wurde und 2021 zum Film, der den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig gewann. Ernaux schaut zurück auf die 60er-Jahre: „Mein Leben erstreckt sich also zwischen der Knaus-Ogino-Verhütungsmethode und dem Kondom zu einem Franc aus dem Automaten.

Dies ist eine gute Möglichkeit, es zu beschreiben, eine bessere sogar als andere.“ In „Die Jahre“ benennt sie verschwindende Bilder und sich auflösende Wörter, mit denen die Welt sich halten ließe. Eine Erzählform des Bewahrens. Sie selbst bezeichnet sich als „Ethnologin ihrer selbst“, wurde und wird von Publikum und Kritik geliebt.

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Andere ihrer über 20 Bücher heißen „Die Scham“, „Eine Frau“, „Der Platz“ oder „Erinnerung eines Mädchens“, ins Deutsche übersetzt von Sonja Finck. Darin laufen die eigenen Spuren mit denen anderer zusammen, und das ist der Moment, in dem die Lektüre des Werks von Annie Ernaux in eine Tiefe führt, die mehr ist als Erfahrung. Es ist eine Essenz.

Das macht ihr autobiographisches Schreiben zum Gedächtnis eines Kollektivs der Lesenden. Man kann es politisch nennen oder als feministisch wahrnehmen oder aus anderen Gründen genießen. Der Suhrkamp Verlag rechnet mit einem Ansturm auf die Bücher und plant Neuauflagen. Es ist eine reine Freude.

Literatur-Nobelpreis

Der Nobelpreis für Literatur gilt als die prestigeträchtigste literarische Auszeichnung der Welt. Auf der sogenannten Longlist standen in diesem Jahr 233 Kandidaten – welche Namen darunter sind, wird streng geheim gehalten. Die Auszeichnung ist mit zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp 920 000 Euro) dotiert und wird am 10.Dezember in Stockholm übergeben.

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