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Charlie Watts ist tot: ein betäubender Moment für Rockmusik­fans

Charlie Watts, Drummer der Rolling Stones, im Jahr 1960.

Charlie Watts, Drummer der Rolling Stones, im Jahr 1960.

Charlie Watts ist tot. Diese Nachricht hatte am Dienstag, während die Welt sich für die anderen mit allem Furchtbaren und Guten einfach weiterdrehte, etwas Bremsendes und Betäubendes für all die, die Rockmusik lieben und mit ihr leben. Es war ein Moment wie 1970, als sich die Beatles auflösten, wie 1977, als Elvis Presley starb, oder wie 1980, als John Lennon ermordet wurde.

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Die Rolling Stones waren (in den letzten 46 Jahren jedenfalls) die Mick-Keith-Charlie-und-Ronnie-Einheit, was einem zwar nicht so flüssig über die Lippen ging wie die John-Paul-George-und-Ringo-Einheit der Beatles, aber ihre Liverpooler Konkurrenz hatten die Stones aus London immerhin um 51 Jahre überlebt. Sie waren die Dienstältesten, die großen Überlebenden der mythischen Sechzigerjahre, die Giganten und Garanten einer vielgesichtigen Musik, die Rock ’n’ Roll genannt wurde, unsterblich schien und sich immer wieder erneuerte.

Geschichte der Rolling Stones geht zu Ende

Charlie ist nicht der erste Rolling Stone, der geht. Schon in den Sechzigerjahren war Brian Jones, der Gitarrist und Mädchen­schwarm, tot in seinem Swimming­pool aufgefunden worden. Der stille Bassist Bill Wyman verließ die Band 1993 lebend, der Keyboarder Ian Stewart, Gründungsmitglied und Pianist der Stones im Studio und bei Konzerten, starb 1985 – kaum bemerkt von den Massen, war er doch der unsichtbare Stone, der vom ersten Manager früh aus dem offiziellen Line-up verstoßen wurde, weil er optisch nicht zum Image der bösen Anti-Beatles passte.

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Und doch ist es Charlie Watts’ Tod, mit dem die Geschichte der Rolling Stones an ihr Ende gelangt. Er gehörte zum harten Kern. Wer anders sollte künftig auf Charlies Schlagzeugschemel sitzen? Charlie Watts war stoisch. Mit steinernem Gesicht trommelte er sich durch die Stones-Jahrzehnte und verwandelte sich dabei auf der Bühne vom rebellischen Rock-’n’-Roller immer mehr in einen ehrwürdigen britischen Gentleman. Während der dynamische Mick Jagger noch spät in den Zehnerjahren als angewitterter Faun vorne über die Bühne flog und Gitarrist Keith ebenfalls vorne die legendären Riffs all der großen Songs säbelte und dabei immer grinste wie ein abgeliebter, alter Teddybär, war Hintermann Charlie der heimliche Liebling der Fans.

Unvergessenes Konzert in Hannover

Unvergessen, wie er in Hannover im Juni 1995 in einem Konzert plötzlich von den Fans gefeiert und bejubelt wurde, wie die 60.000 im Niedersachsenstadion dem verlässlichen Charlie plötzlich mit klatschenden Händen und stampfenden Füßen ihre Zuneigung offenbarten. Minutenlange Ovationen, bis sich Charlie erhob, sich mit vor der Brust gekreuzten Stöcken verneigte – und tatsächlich lächelte. Ein Jazzschlagzeuger war er, der seine Kunst unsinnigerweise zu schlecht für den Jazz befand und deshalb Alexis Korners Blues Incorporated 1962 verließ, der der Musik der Rolling Stones aber eine federnde Leichtigkeit verschaffte, die sie anders klingen ließ als das Gros des Rock. 2010 schlüpfte er wieder in seinen Jazz hinein, in seiner Zweitband The ABC&D of Boogie Woogie mit Axel Zwingenberger. Und er wirkte dabei glücklich.

Wie es sei, sich auf der Leinwand zu sehen, wurde die Band 2006 zur Premiere von Martin Scorseses Stones-Doku “Shine A Light” bei der Berlinale gefragt. „Das will ich beantworten“, meldete sich der bis dahin stumme Charlie. Päuschen. „Ich hasse es“, sagte er und grinste. „You look good“, tröstete ihn Mick. „Bis jetzt jedenfalls, Charlie!“, feixte Keith. Auch dann noch, in Zeiten, in denen nur noch pro Jahrzehnt ein Studioalbum mit neuen Songs veröffentlicht wurde und sie sich zwischen ihren Tourneen kaum sahen, erschienen die Rolling Stones in Berlin als eine Gemeinschaft von streitbaren Freunden. Die sich blind aufeinander verließen.

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Dieses Leben kann nicht ewig währen

Wenn Keith Richards im Studio mit einer Auswahl von Ideen spielte, so verriet er vor drei Jahren im Interview mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND), war es der Moment, wenn Charlie zu den Stöcken griff, der ihm anzeigte, etwas Besonderes gefunden zu haben. „Let’s spend our lives together“, das sang Mick Jagger 2006 in Hannover statt „the night together“. Wir wussten damals, dass es Kitsch sein könnte, Lug ’n’ Trug. Und dennoch wurden wir sentimental. „Our lives“, was für ein Angebot. Auch wenn man wusste, dass dieses Leben nicht ewig währen konnte. Und jetzt ist es vorbei.

Es gibt noch Mick Jagger, Keith Richards und Ronnie Wood. Ein schon vor drei Jahren fast fertiges Album wartet auf seine Veröffentlichung. Und es wird bestimmt ein gigantisches Charlie-Watts-Gedächtniskonzert geben. Aber die Geschichte der Rolling Stones ist nach 59 Jahren an ihr Ende gekommen. Hört Rock auf, wenn jetzt die Stones aufhören? Wohl nicht. Denn wann immer heute eine neue Rock-’n’-Roll-Band geboren wird, um die Welt zu erobern, sind die Rolling Stones, ist Charlie Watts in ihrem Genpool.

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