Das neue Album von Coldplay: So ist „Music of the Spheres“
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Horch, wie das glitzert! Chris Martin und seine Band Coldplay haben mit „Music of the Spheres" ein Album mit Musik für die Discothek am Start.
© Quelle: Stefan Jeremiah/FR171756 AP/dpa
Eigentlich könnte „Humankind“ so ein schöner, klassischer Coldplay-Popsong sein. Mitreißendes Tempo, eine eingängige Melodie, die klingelnde, wonnige Gitarre von Jonny Buckland und der verständnisvolle Mitsingrefrain von Chris Martin: „I know, I know, I know, we‘re only human“. Aber der Song über die Menschlichkeit steckt in einem Soundpanzer. Beats und Synthesizer, verzerrte Micky-Maus-Stimmen. Noch überwältigender ist „My Universe“, ein Lied über die Liebe, die alle Gegensätze überwindet – dazu haben Coldplay sich gewinnträchtig mit den global umarmten K-Pop-Göttern BTS zusammengetan. Ein Overkill an Sound, der sofort den Spitzenplatz in den US-Singlecharts einfuhr.
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So viel wurde hier gewollt. Die ganze Welt möchte Coldplay diesmal in Bewegung bringen. Songweise sind sie ja schon seit Langem auf Tanzkurs gegangen, und mit Max Martin haben sie für ihr Album „Music of the Spheres“ einen Produzenten gewonnen, der ein versierter, ja weltberühmter Tanzlehrer ist. Zu den Referenzen des Schweden zählen die Britney Spears der Anfangstage, die Backstreet Boys, aber auch The Weeknd, Pink und Taylor Swift. Er nutzt Mathematik, um mit seinen Songs maximale Wirkung zu erzielen.
„Olé, olé, olé“-Gesänge sind der Tiefpunkt des Albums
Und genauso klingt die neue Coldplay-Platte. Sphärisch ist dabei vornehmlich die erste Minute. Die Anmut, das Anrührende, der erhabene Pop, für den die vier Briten lange Jahre standen, ist in der Folge weitgehend perdu. In „Infinity Sign“ hört man zu Beginn im Hintergrund sogar ewig lang „Olé, olé, olé“-Gesänge. Wohl für Fans, die die Stadionkonzerte des Quartetts vermissen. Oder für die nächste Fußballmeisterschaft. Der Tiefpunkt des Albums.
„Music of the Spheres“ ist ein technischer Brecher, ein Album des Kalküls. Die erste Single „Higher Power“ wurde sogar auf der ISS präsentiert, höher kann man auf diesem Planeten nicht hinaus. So hoch waren U2 jedenfalls nie. Für das Album haben Coldplay ein eigenes Sternensystem mit neun Allbällen kreiert – einen für jeden Song. Heute und morgen ist diesbezüglich – auch in Berlin – die Installation „The Atmospheres“ zu sehen.
Atmosphäre – genau das, was dem Album fehlt. Ein Science-fiction-Kunstwerk, das als künstlich empfunden wird, zu dem Chris Martin Inspiration angeblich bei den Spacejazzern aus dem ersten „Star Wars“-Film fand. Wir hätten lieber das „Game of Thrones“-Fake-Musical genommen, das Coldplay mit den Stars der Fantasyszene vor ein paar Jahren in einem (hinreißenden) Video ankündigten. Der Witz von damals ist besser als der Ernst von heute.
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In diesen Ernst wurde außer den Bangtan Boys auch noch Selena Gomez einbezogen. Der Teeniestar von einst, der jüngst als Schauspielerin in der Comedy-Crime-Serie „Only Murders in the Building“ überzeugte, singt zusammen mit Martin „Let Somebody Go“ – eine eher austauschbare Abschiedsballade. In „Biutyful“ erbringt der Sänger zur vielleicht eingängigsten Melodie des Albums noch einen Zwiegesang mit der eigenen kindlich verfremdeten Autotunestimme. Und mit „People of the Pride“ wehrt die Band allen Tyrannen, ohne dabei relevante Lyrik zu erzeugen. Der Song hat ein Glamrockriff, ohne dabei je ein Glamrockkracher zu sein.
„Wenn du dein Bestes versuchst, dir das aber nicht gelingt“, hatte Chris Martin vor langer Zeit in „Fix You“, einer der schönsten Coldplay-Balladen, versprochen, „werde ich versuchen, dich wieder aufzurichten“. Jetzt müsste das jemand vielleicht doch mal mit Coldplay anstellen. Wie berührend waren Songs wie „The Scientist“, „Yellow“, „In My Place“ wie euphorisch waren „Violet Hill“ und „Viva La Vida“. Man hatte eigentlich gedacht, sie hätten ihre Discophase, die mit dem Avicii-Teamwork „A Sky Full of Stars“ begann und während der sie vor sechs Jahren bei „Hymn for the Weekend“ sogar Beyoncé an Bord hatten, überwunden.
Denn auf dem wundersamen Doppelalbum „Everyday Life“ waren sie vor zwei Jahren durch viele Popwelten gewandert. Hatten zwischendurch sogar orientalische Klänge eingestreut und waren im Song „Arabesque“ für Frieden auf der Welt und zwischen den Religionen eingetreten. Ein Versöhnungs- und Umarmungswerk – auch für die Fans der ersten Stunde. Und wenn dort vom Tanzen die Rede war, hieß es „du musst weitertanzen, auch wenn das Licht angeht“, sang Martin damals. Sehr simpel, und – wie er es sang – sehr romantisch.
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Mit dem letzten Song von „Music of the Spheres“ erinnern Coldplay, nachdem sie vielleicht ihre Angst besiegt haben, nicht mehr zu Megachartsmonstern zu taugen, dann doch noch an sich selbst, wie sie mal waren, als mancher Kritiker sogar Vergleiche zu Pink Floyd zog. „Coloratura“ heißt diese zehnminütige Spacesuite, die wie die Einstimmung eines Weltraumorchesters beginnt und ein traumwalzerndes, zwischenzeitlich taktwechselndes, dann wieder hymnisches Progpopding mit Piano und Glockenspiel wird.
Und das am Ende nur ein Lied für die Liebe ist: „In dieser verrückten Welt will ich nur dich“, singt Martin, wie nur er Einfaches groß klingen lassen kann. „Zusammen – so kommen wir durch.“
Und Coldplay sind durchgekommen – bis zur Spitze. Was zu beweisen war. Aber um welchen Preis? „Music of the Spheres“ ist ein ziemlich kaltes Spiel.
Coldplay – „Music of the Spheres“ (Parlophone) – erscheint am 15. Oktober