David Garrett: „Ich hatte Angst vor der Bühne“

David Garrett im Berliner Hotel Adlon mit Ausblick auf das Brandenburger Tor.

David Garrett im Berliner Hotel Adlon mit Ausblick auf das Brandenburger Tor.

Herr Garrett, Sie tragen Ringe, Halsketten, ein aufgeknöpftes Hemd – es wirkt, als wären Sie gern ein Rockstar geworden.

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Nein, gar nicht! Ich liebe es, Rock zu spielen, darin steckt viel Energie. Aber ich bin nicht der Typ, der sich wie ein Rockstar benimmt. Denn ich bin kein Bühnenmensch. Ich wollte Musik machen, hatte aber als Kind geradezu Angst vor der Bühne und musste sie mir erst mal schönreden.

Ihr lässiger Look und die ausverkauften Auftritte lassen eher vermuten, Sie seien für die Bühne geboren.

Als professioneller Musiker versucht man natürlich, die Aufregung vor einem Konzert unter Kontrolle zu haben. Das sieht nur so gelassen aus. Der Chirurg sagt auch nicht vor der Operation zum Patienten: „Könnte schiefgehen …“ Eine positive Ausstrahlung ist wichtig, sonst wird es nichts. Auch der große Geiger Itzhak Perlman war zittrig vorm Konzert. Dieser Exhibitionismus, sich auf der Bühne zu zeigen, war nie meine Sache. Es gehört einfach dazu, sich zusammenzureißen.

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Aber der Applaus ist schon schön, oder? Sind Sie süchtig danach?

(überlegt) Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte: Als ich sieben oder acht Jahre alt war, wurde ich darum gebeten, Weihnachten in einer Kirche in Aachen die Chaconne von Bach zu spielen. Das habe ich natürlich gemacht, und hinterher fragte meine Mutter: Bist du enttäuscht? Ich meinte: Alles ist gut, warum? Niemand hat geklatscht, sagte meine Mutter – weil es in der Kirche eben keinen Beifall gibt. Bei mir war es schon immer so, dass Applaus nicht entscheidend ist. Was ich aber wahrnehme, sind die Gesichter der Menschen, die in meine Konzerte kommen.

Auch wenn der Applaus nicht über allem für Sie steht, scheint es Ihnen wichtig, wie Sie ankommen. Die Zahl Ihrer Plattenverkäufe haben Sie im Kopf.

Ich wäre ein ganz schlechter Künstler, wenn ich nicht auch an das Geschäft denken würde. Denn ich habe keine Lust, mit 40 Jahren zu fragen: Wo ist mein Geld geblieben? Jedem jungen Künstler rate ich, die Verträge präzise zu lesen. Vergiss das Kleingedruckte nicht, es ist das Wichtigste im Leben.

Hatten Sie mal etwas unterschrieben, was Sie später bereuten?

Nie. (Er grinst und schaut zu seinem Manager, der verzieht keine Miene.)

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Welches Stück von Ihren Cross-over-Alben, auf denen sie Rock mit der Geige interpretieren, spielen Sie live am liebsten?

„Purple Rain“ von Prince.

Warum?

Weil ich den Wechsel zwischen akustischer und E-Geige toll finde. Das passt wie die Faust aufs Auge bei dem Song. Prince war ein exzellenter Gitarrist, gerade seine Blue Notes, die traurigen Töne, die im Jazz so wichtig sind, würden auf der akustischen Geige furchtbar schief klingen. Doch auf der E-Geige sind sie wunderbar.

Wann kam der Rock ’n’ Roll in Ihr Leben?

Als Kind lief bei uns zu Hause immer Klassik, mit 16 Jahren drang zum ersten Mal Rock zu mir durch. Als ich mit 19 nach New York ging, hörte dort keiner der Geiger oder Pianisten ausschließlich Klassik. Da gehörte Singen und Tanzen dazu. Die Stadt war viel zu groß und von so vielen Einflüssen geprägt, dass ein Leben in purer Klassik nicht denkbar war.

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Es heißt, Sie seien ein Arbeitstier. Wie lange üben Sie täglich?

Das möchte ich gar nicht sagen, weil ich zu viel gemacht habe. Ich musste mein Programm jetzt sogar zurückfahren. Ein übertriebenes Pensum führt auch zu Verletzungen, das habe ich kürzlich gemerkt. Mehr als dreieinhalb, viereinhalb Stunden muss man nicht spielen. Früher waren es auch mal sieben oder acht Stunden.

Warum so lange?

Der Wille zur Perfektion. Ehrgeiz kann aber auch ungesund sein. Stellen Sie sich mal fünf Stunden mit der Geige hin. Sie merken schon nach fünf Minuten, dass Ihnen der Arm schwer wird.

Hat Ihnen die Zwangspause in der ersten Jahreshälfte gutgetan?

Ich kam endlich dazu, den Erfolg der letzten zehn Jahre zu reflektieren. An 250 Tagen im Jahr bin ich sonst im Flugzeug, oft zwischen den Kontinenten mit Zeitumstellung, dazu kamen Plattenaufnahmen, Promotion, Tourvorbereitung. Es fehlte an Ruhe, um die schönen Momente zu genießen. Sie sind oft an mir vorbeigezogen. Das Glück lässt sich manchmal erst im Nachhinein, in einem Moment der Ruhe, als solches erkennen.

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Ist es wichtig, dass die Klassik sich dem Geist der Zeit anpasst und nicht zu steif daherkommt? Auch die französische Spitzenküche hatte ja darunter gelitten, dass sie in Ritualen und fast höfischem Zeremoniell erstarrt war und die Gegenwart aus den Augen verloren hatte.

Die Qualität darf nicht unter den Bräuchen und Ritualen leiden, darum geht es. Musik muss gut gespielt sein, ob in der Philharmonie oder einer riesigen Rockarena, tut nichts zur Sache.

Wird es die reine Klassik auf Dauer schwer haben, weil das Publikum für diese strenge Form irgendwann nicht mehr da ist?

Überhaupt nicht! Alle Künstlergenerationen haben immer wieder Zugang zu Ihrem Publikum gefunden. Jedes Genre muss für sein Publikum arbeiten, das betrifft nicht nur die Klassik, das ist im Pop genauso. Die Promotion muss immer wieder verbessert werden. Wenn eine Schokolade fantastisch schmeckt, sollte man sie nicht im grauen Karton servieren. Auch die Verpackung muss toll aussehen, das gehört dazu. Das Image des armen, leidenden Künstlers, der erst durch seine Qual zur Qualität findet, ist letztlich ein Klischee.

Von Lars Grote/RND

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