Der Überlebende – Beach-Boys-Genie Brian Wilson wird heute 80 Jahre alt
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Ein Genie im Alter: Der Musiker Brian Wilson, Gründungsmitglied und Genius der Band The Beach Boys, wird heute (20. Juni 2022) 80 Jahre alt.
© Quelle: Cyril Zingaro/KEYSTONE/dpa
Es gibt Lieder, die scheinen wie die Sonne. Und wenn der Sommer blau und warm ist, macht eine Kassette vom Besten der Beach Boys im Autoradio aus jedem noch so tristen Landstrich ein zweites Kalifornien.
Brian Wilson ist der Erschaffer dieses universalen Sommergefühls. Er, der am heutigen Montag 80 Jahre alt wird, hat all diese Popklassiker der Sechzigerjahre zumindest arrangiert, die meisten auch geschrieben. Geschichten von den lustigen Surfern mit ihren buschigen Frisuren, ihren mageren Bronzebäuchen, ihren fliegenden Brettern und ihren Mädchen. „I Get Around“, „Do It Again“, „Help Me Rhonda“, „Wouldn‘t It Be Nice?“, „Dance Dance, Dance“, „California Girls“. Und die Coverversionen von Chuck Berrys „Sweet Little 16″ (bei den Beach Boys „Surfin‘ USA“), des karibischen Folksongs „John B. Sails“ (alias „Sloop John B.“) und von „Barbara Ann“, die man sich in einer Milchbar vorstellt, vor einem Erdbeershake, lächelnd: „A ba-ba-ba Barbara Ann …“
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Brian Wilson war lange krank, aber er ist längst wieder okay. Er ist groß und bleich. Steht er auf der Bühne, scheint er sich jede Bewegung vom Leib abzusparen. Manchmal wird seine Stimme in den Höhen brüchig, manchmal presst er Worte aus, sein Gang ist ein schweres Schweben. Die Dämonen haben jahrzehntelang in ihm getanzt, LSD und die Wahnsinnsangst des Genies vor Spott und Unverstandenbleiben. Der Vater war ein Tyrann, der die Band seiner Söhne knechtete, die Band wollte Hits, Hits, Hits, während Wilson anderswohin wollte, dorthin, wo die Beatles aus England waren, mit denen ein heimlicher Wettbewerb herrschte.
Brian Wilson hörte komplette Popsinfonien in seinem Kopf. Mit dem Album „Pet Sounds“ (1966) wurde das Klangbild der Beach Boys komplexer, machten ihm die anderen Boys, die um Ruhm und Geld fürchteten, das Leben schwer. Von allen Beach Boys war Brian Wilson am wenigsten Beach. Bald blieb er den Tourneen fern, um zu Hause zu frickeln. Geniebewusstsein und Minderwertigkeitskomplex im Wechsel ergaben Nervenzusammenbrüche.
An dem Album „Smile“ zerbrach Brian Wilson
An dem Album „Smile“, das es 1967 mit „Sergeant Pepper‘s Lonely Hearts Club Band“ aufnehmen sollte und das nie erschien, zerbrach Wilson fast ganz. Der exzentrische Musiker kam damals ein Stückchen über den Rand zum Wahnsinn hinaus, ließ seine Mitmusiker zur Inspiration für „Mrs. O`Learys Cow“ mit Feuerwehrhelmen anmarschieren. Danach hörte er Stimmen in seinem Kopf. Die der Musen?
In dem Kino-Biopic „Love & Mercy“ (2014) hat der wunderbare Wilson-Darsteller Paul Dano diesen Prozess der inneren Musik sogar sichtbar gemacht. Dieser Film zeigt auch, wie der psychisch angeschlagene Wilson aus den Fängen des Psychologen Eugene Landyen befreit werden musste, der die Vormundschaft über ihn übernommen hatte. Und wie er sich mühsam und zerbrechlich wieder ins Rampenlicht traute. 2002 besuchte Wilson zum ersten Mal Europa, stand in einem grauen Hausvaterblouson auf der Bühne des Hamburger Congress Centrums und schnippte zaghaft mit den Fingern. Definitiv kein Popstar.
2004 rekonstruierte Wilson das verlorene Jahrhundertalbum „Smile“ – von „Our Prayer“ bis „Good Vibrations“. Er nahm die alten Bänder nicht als Basismaterial, sondern spielte den Stoff mit seiner brillanten Tourband neu ein. Wundersame Songs, die wildorchestrale „Teenage Symphony to God“, die er damals erschaffen wollte, schimmert auch durch. Eines der größten Geheimnisse der Popmusik war gelüftet.
Wiewohl gelöste Geheimnisse auch immer etwas von ihrem Zauber missen lassen. „Smile“ fühlte sich fremd im CD-Player an, es klang damals, als wäre es lieber eine richtige schwarze Vinylplatte mit Aufkleber in der Mitte. Und kam halt 37 Jahre zu spät, um den Weg zu leuchten für die anderen Suchenden der Musik und zugleich ein Bestseller und Klassiker zu werden, wie es „Revolver“ und „Pepper“ der Beatles waren. Musikgeschichte wird nicht im Nachhinein geschrieben. „Smile“ wurde das Meisterwerk mit Konjunktiv. Alben macht Wilson heute noch, zuletzt Neuinterpretationen alter Songs auf „At My Piano“ (2021). Und er tritt buchstäblich bis heute auf – im Starlight Theater in Kansas City wird er die Geburtstagsshow heute Abend wohl mit „California Girls“ beginnen.
Ein Fels – nicht gemacht für diese Zeiten
„Ich bin ein Fels in der Landschaft“, sang Brian Wilson vor 20 Jahren in Hamburg. „Ich bin einfach nicht für diese Zeiten gemacht“, sang er auch. Beides ist wahr. Und dann sang er: „I... I love the beautiful clothes she wears...“, den Auftakt zu „Good Vibrations“. Was den Hörer da überflutete, lässt sich nicht beschreiben. Es war Sommer im Winter, die Stimmen der Band, die sich nicht Beach Boys nannte (weil auch parallel eine Band dieses Namens unter Gitarrist und Leadsänger Al Jardine unterwegs war), gingen an wie Lichter und man fühlt sich von allen guten Geistern der Popmusik begleitet. Paul McCartney, der nur zwei Tage früher 80 Jahre alt wurde, nannte als sein Lieblingslied wiederholt „God Only Knows“ von den Beach Boys. In manchen Konzerten, auch damals in Hamburg, erwähnt Brian Wilson das leise und stolz. Gott weiß, was wir an ihm haben.
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